Neustart im neuen Jahr: Modernisierung von Kernversicherungssystemen
Die Transformation der IT-Systeme in der Versicherungswirtschaft ist im vollen Gange. Ein Großteil der deutschen Versicherer ist sich darin einig, dass große Digitalisierungspotenziale und Verbesserungsmöglichkeiten insbesondere in den Kerngeschäftsbereichen Schadenmanagement, Bestandsverwaltung und Zahlungsverkehr nicht nur möglich sind – sondern entscheidend. Angelpunkt sind die Kernversicherungssysteme.
von Claus Heller, Executive Consultat GFT Technologies
Trotz des Willens der Versicherer zur digitalen Transformation stellen veraltete Legacy-Systeme im Kernversicherungsbereich ein großes Hindernis dar, um die Erweiterbarkeit der Systemlandschaft für neue technologische, regulatorische oder kundengetriebene Anforderungen flexibel und leistungsfähig zu gestalten. Dabei ist die Modernisierung der Altsysteme eine zentrale Bedingung, um die Anforderungen an effiziente und digitale Infrastrukturen, gepaart mit einer operativen Leistungsfähigkeit der Systeme, sicherzustellen.Die Herausforderung: das historische Vermächtnis
Die heutige Systemlandschaft vieler Versicherer ist durch alte, historisch gewachsene Kernversicherungssysteme charakterisiert, die für die Verarbeitung und Abbildung der Kerngeschäftsprozesse verantwortlich sind. So haben einige Versicherer inzwischen IT-Systeme im Einsatz, die teilweise 20 Jahre und älter sind.
Die Mehrheit dieser Systeme ist in Eigenentwicklung entstanden und lässt kaum Raum für Standardisierung zu.”
Oftmals basieren diese Kernsystemlandschaften auf veralteten Programmiersprachen wie PL/I oder COBOL, deren Ursprung in den frühen 60er Jahren liegt und in der modernen Informatik kaum noch gelehrt werden. Weiterentwicklungen der Legacy-Systeme sind daher schwierig und stellen auch keine langfristige Lösung dar. Hinzu kommt, dass zwischenzeitlich viele der COBOL-Programmierer bereits im Ruhestand sind oder kurz davorstehen, womit der Markt für COBOL-Entwickler mittel- bis langfristig immer enger wird und somit ein Systemrisiko für die Legacy-Systeme darstellt.
Durch historisch bedingte Zukäufe und Konsolidierungen in der Versicherungsindustrie haben viele Versicherungsunternehmen mehrere Kernversicherungssysteme im Einsatz, die parallel zueinander existieren, ohne dass diese vereinheitlicht wurden. Diese Co-Existenz der Kernsysteme hat zwangsläufig sog.
Silo-Systemlandschaften zur Folge, die zu multiplen Schnittstellen in der Prozessabwicklung führen und durch Komplexität gekennzeichnet sind.”
Somit entstehen gravierende Nachteile bei der Einführung neuer Produkte durch hohe Fertigungstiefen, zahlreiche Schnittstellen und immense Wartungskosten, gepaart mit suboptimalen Prozessabläufen und geringer Flexibilität und Geschwindigkeit. Folglich beschränken veraltete Kernversicherungssysteme die Leistungsfähigkeit erheblich und erschweren die Umsetzung erfolgsversprechender Digitalisierungsprojekte, die mit hohen Effizienz- und Qualitätsverbesserungspotenzialen verknüpft sind.
Dabei ist der Transformationsdruck in der Versicherungsbranche deutlich zu spüren: Veränderte Kundenanforderungen, die Intensivierung des Wettbewerbs durch InsurTechs oder steigende Kosten erhöhen zunehmend den Handlungsbedarf, um mit neuen Flexibilitäts- und Effizienzanforderungen mitzuhalten. Die Notwendigkeit zur Modernisierung veralteter Kernversicherungssysteme stellt damit eine logische Konsequenz dar.
Die Vorteile – operationale Excellenz, Automatisierung und neue digitale Geschäftsmodelle
Moderne Kernversicherungssystemen bieten Chancen, bestehende Kernprozesse zu optimieren und mit den Möglichkeiten der Automatisierung und Standardisierung Geschäftsabläufe spürbar zu verbessern. Es muss dabei aber berücksichtigt werden, dass in den Altsystemen das technische KnowHow zum aktuellen Produktportfolio enthalten ist, die für die Modernisierung von besonderer Relevanz ist. Damit sollte primär die Öffnung und sukzessive Überführung der vorhandenen Systeme in eine moderne und dezentrale Infrastruktur im Vordergrund stehen, die die Rahmenbedingen für eine langfristige Modernisierungsstrategie schaffen. Eine radikale „rip and replace“ Strategie, die eine vollständige Erneuerung bzw. den abrupten Austausch der bestehenden Live-Systeme vorsieht, ist selten eine präferierte Option.
Dabei können insbesondere Vorteile in Bezug auf Flexibilität, Produktivität und Funktionalität der Systeme erreicht werden, die durch intelligente und automatisierte Beschleunigung und Optimierung der Abläufe zu gewährleisten sind. Ob durch Senkung der Durchlaufzeiten in der Schadenserfassung und -bearbeitung, durchgängige Dunkelregulierung der Abläufe, Reduzierung der Fehleranfälligkeit der Prozesse durch Automatisierung, Ablösung ressourcenintensiver manueller Bearbeitungen, KI-basierte Betrugsprävention oder automatische Quantifizierung von Regresspotenzialen durch Modernisierung der Kernversicherungssystemen können zahlreiche Versicherungsabläufe digitalisiert und optimiert werden. Betriebswirtschaftliche Vorteile wie Kostensenkung, Produktivitätserhöhung oder Erweiterbarkeit der Produkte und einfache Modifikation von Versicherungsverträgen sind damit wichtige Faktoren, die mit der Transformation der Systeme einhergehen. So ergeben sich beispielsweise aus der Erhöhung der End-to-End Dunkelverarbeitungsgrade und Automatisierung in strategischen Geschäftsbereichen wie Schaden oder Rechtschutz, Vertrag- oder Stammdatenveränderung messbare betriebswirtschaftliche Vorteile, die Kosten senken, Leistungsfähigkeit erhöhen und Ressourcen schonen.
Moderne IT-Systeme unterstützen darüber hinaus auch die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, indem innovative Technologien wie bspw. Data Analytics durch intelligente Vernetzung und Interpretation großer Datenmengen die Grundlage für datenbasierte Geschäftsmodelle schaffen. Dabei können durch analytische, datenbasierte Technologien innovative Versicherungsdienstleistungen wie bspw. „pay as you behave“ oder „pay per use“ entstehen, die mit transparenten und kundenorientierten Versicherungslösungen und individuellen Preismodellen neue Wachstums- und Ertragspotenziale schaffen.
Flexibel wählbare und individuelle Versicherungsbausteine, dynamische Prämien auf Grundlage personalisierter Risikoprofile können in Folge als innovative Versicherungsleistungen Mehrwerte schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.”
Zusammenfassend stellen bestehende Legacy-Systeme in der Versicherungswirtschaft eine erhebliche Barriere für die erfolgreiche digitale Transformation der Versicherer dar. Vor dem Hintergrund der Nachteile und potenziellen Risiken, die von Altsystemen ausgehen, wird die Wettbewerbsfähigkeit der Versicherungsindustrie ohne die Modernisierung der IT-Landschaft eine kaum zu bewältigende Herausforderung sein. Die Notwendigkeit, auf die sich verändernden Anforderungen zu reagieren und die Vorteile der digitalen Transformation zu nutzen, erfordert zwangsläufig die Anpassung und Modernisierung der Systemlandschaft.Claus Heller, GFT
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