Kernbankensysteme: Herausforderungen beim Wechsel – Avaloq Co-CEO Dr. Thomas Beck im Interview
Welche Schlüsselaspekte und Herausforderungen fordern bei der Migration von Kernbanksystemen heraus. Im IT Finanzmagazin-Interview beleuchtet Dr. Thomas Beck, Co-CEO von Avaloq, die Bedeutung von Flexibilität, Skalierbarkeit und Sicherheit in der heutigen dynamischen Finanzwelt und erklärt, wie Banken sich strategisch und technologisch für die Zukunft rüsten können.
Herr Dr. Beck, was ist für Sie – mit Blick auf Zukunftssicherheit – der wichtigste Aspekt bei Kernbanksystemen?
Die Frage aller Fragen, die sich eine Bank stellen muss, lautet: „Was ist mein Erfolgsmodell für die Zukunft beziehungsweise wie will ich in zwei Jahren meinen Alltag gestalten?“ Es gibt Banken, die ein sehr einfaches Geschäftsmodell haben, das keine besonderen Anforderungen an ihre Kernbankensysteme stellen. Deswegen können sich diese Institute für eine vorkonfigurierte Standardlösung entscheiden. Anders sieht dies beispielsweise bei einer Privatbank aus, die flexibel in ihrer Produktpalette sein will, die über Ländergrenzen hinweg beraten muss und die sich bemüht, durch Innovationen ihren zukünftigen Kundenkreis zu halten.Privatbanken haben in der Regel auch einen Schwerpunkt im Bereich der Vermögensbildung und damit im Wertpapiergeschäft, was eine spezialisierte Plattform erfordert. Wenn wir darüber hinausgehen und von einer Universalbank sprechen, dann reden wir allerdings über alle denkbaren Bankprodukte, die dann eventuell auch noch besondere Spezialthemen abdecken müssen.
Solche Anforderungen können keine Kernbankensysteme der Welt aus seinem existierenden Standard heraus bedienen. Dies bedeutet: technische und fachliche Flexibilität, Skalierbarkeit und regulatorische Sicherheit auf Basis eines wachsenden Marktstandards.”
Zudem birgt es einfach ein langfristiges Risiko, an Legacy-Systemen festzuhalten. Viele dieser Kernbankenlösungen sind so alt, dass sie auf veralteten Programmiersprachen basieren – und Spezialisten, die sich mit diesen Sprachen auskennen, gibt es immer weniger. Neue Anwendungen funktionieren kaum mit diesen Legacy-Systemen, und gerade über ihre Altsysteme könnten Banken für Hacker eine offene Flanke bieten.
Weswegen zögern Banken derzeit noch, sich mit dem Thema „Wechsel Kernbankensystem“ auseinanderzusetzen? Ist das Schwierige das Erkennen des Zeithorizonts? Oder das Feststellen der Voraussetzungen, unter denen Banken einen Wechsel vollziehen möchten? Oder tun sich Banken schwer mit der Abschätzung möglicher Marktentwicklungen?
Das häufigste projektspezifische Risiko besteht vermutlich darin, dass man versucht, zu viele Sonderwünsche von Anfang an zu berücksichtigen, dass man sich in den Details verliert.”
Aus diesem Grund ist die Vorbereitungsphase so wichtig. Finanzinstitute müssen sich zu Beginn zwei zentrale Fragen stellen: Welche Prozesse und Daten müssen aus dem Altsystem übernommen werden, und ist die Organisation auf diese Veränderung vorbereitet? Der Weg von einem Kernbanksystem in ein anderes hat immer mit einem prozessualen „Frühjahrsputz“ einherzugehen, der durch die Fachbereiche getragen sein muss. Damit solch ein Projekt erfolgreich wird, muss das Team in der Bank die Veränderungen, die damit verbunden sind, vollkommen unterstützen.
In der Praxis finden sich neben „Single Source“-Architekturen von einem Anbieter häufig „Best-of-Breed“-Architekturen, die eine Kombination verschiedener Kernbankensysteme oder eine Ergänzung von Kernbankensystemen mit spezialisierten Produkten (z. B. im Portfolio-, Risiko- oder Kundenmanagement) vorsehen. Womit ist man Ihrer Auffassung nach für die Zukunft besser aufgestellt?
Das kommt auf die Bank an. Hier spielt wieder der individuelle Anspruch an die Flexibilität eine wesentliche Rolle. Wir ermöglichen es unseren Kunden beispielsweise, einen Teil ihres bestehenden Kernbanksystems weiter zu betreiben, zum Beispiel für das Retailkunden-Geschäft, während die Bank mit neuen Kernbankensysteme vielleicht nur das Private Banking abwickelt. So kann sich eine Win-Win-Situation ergeben: Die Bank schützt ihre getätigten Investitionen und deckt doch in Zukunft den wichtigen Bereich der vermögenden Kunden optimal ab.
Aus Perspektive der Datenhaltung ist es immer einfacher, möglichst viel Bankgeschäft über eine einzige Produktsuite abzuwickeln, nicht über mehrere. Diese Abwägung sollte eine Bank so früh wie möglich anstellen.
Bei einer Migration kommen dann auch weitere IT-Themen wie die Migration der Daten aus dem Altsystem, Cut-Over-Management, Datenqualitätsmanagement und die Archivierung der Daten. Ihr Ratschlag hier an Banken?
Aufräumen – so früh und so viel es irgend geht. All diese Themen und Fragestellungen, die Sie aufwerfen, unbeantwortet zu lassen, hat schon etliche Banken bei ihrer Migration viel Zeit gekostet und unnötigen Ressourceneinsatz verursacht. Wir nutzen darum bei Migrationsprojekten einen Standard, dem wir den Namen „Global Implementation Method – GIM“ gegeben haben. Bei jedem Projekt, bei dem wir Generalunternehmer sind, ist GIM die Grundlage unserer Arbeit. Auf diese Weise werden alle Herausforderungen frühzeitig erkennbar und wir verhindern die meisten Probleme.
Mit dem Wechsel des Kernbanksystems sind auch strategische Fragestellungen verbunden. Insbesondere geplante Änderungen in der zukünftigen Ausrichtung des Geschäftsmodells, wie Marktpositionierung und Produktportfolio, sind in die Auswahlentscheidung mit einzubeziehen. Umgekehrt bietet es sich im Rahmen eines Kernbanksystemwechsels an, das bestehende Leistungs-/Produktportfolio in Bezug auf Kosten, Erträge und Mengengerüste kritisch zu hinterfragen. Wie ehrlich sind Banken hier in ihrer Selbsteinschätzung?
Die Banken wissen alle sehr gut, was sie eigentlich machen müssten, um weiterhin erfolgreich zu sein.”
Wie in allen anderen Unternehmen besteht aber auch im Management von Banken die Herausforderung darin, Entscheidungen treffen zu müssen, deren Wirkungshorizont über die eigenen Vorstandsverträge hinaus reicht. Denn das Zielbild, das ein Vorstand mit seiner Entscheidung anvisiert, kommt ja unter Umständen erst nach seinem Mandat zum Tragen. Die Umsetzungsphase und die damit einhergehenden schwierigeren Zeiten fallen aber sehr oft noch in die Verantwortung der Entscheider, unter Umständen, ohne dass sie vom letztlich positiven Ergebnis schon profitieren könnten. Nicht selten führt dies dazu, dass über eine Entscheidung erst sehr lange nachgedacht wird, teils zu lange.
Und wie in allen anderen Unternehmen ist es auch in Banken vor allem eine kulturelle Frage, wie mit Veränderungen umgegangen wird.”
Oft rufen Mitarbeiter so lange nach einer Veränderung, bis es an die eigene Komfortzone geht. Sobald der oder die Einzelne sich anpassen muss, kann der Wunsch nach Veränderung schnell verstummen. Darum ist es so wichtig, dass der Vorstand so früh wie irgend möglich die gesamte Belegschaft mitnimmt.
Was passiert eigentlich nach der Einführung eines neuen Kernbanksystems?
Die Migrationsphase der Kernbankensysteme dient in der Regel dazu, neue Anforderungen zu sammeln und nach der Einführung des neuen Systems sukzessive umzusetzen. Generell mündet die Migration nach dieser Einführungszeit dann in eine Phase der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Pflege.
Dabei ist die enge Kommunikation mit unserem Betreuungsteam der Schlüssel zum langfristigen Erfolg.”
Bei den meisten unserer Kunden besteht das Zielbild darin, neben dem Betrieb der Plattform auch die prozessuale Abwicklung des Wertpapierbereichs und den Zahlungsverkehr an uns auszulagern. Zudem unterstützen wir proaktiv bei Compliance-Fragen. So schaffen wir für unsere Kunden die Flexibilität und den Freiraum, ihr Wertversprechen zu optimieren und ihre Leistungen auf neue Märkte und Kundensegmente auszuweiten.
Herr Dr. Beck, vielen Dank für das Interview.dk
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