Finanzkrise: Das Internet ist schuld – und die Lösung
Wie konnte das passieren? Google hat es schon lange gewusst, was sich da in den Finanzmärkten der Welt zusammenbraute. Wer nach „mortgage crisis“ sucht, findet Artikel aus den Jahren 2003, in denen bereits vor dem Platzen der Immobilien-Blase 2009 in den USA gewarnt wurde. Es konnte also schon damals keiner behaupten, er habe es nicht gewusst. Das Internet war schuld an dem globalen Zusammenbruch der Finanzmärkte. 2016 ist es Teil der Lösung.
von Tim Cole
Eigentlich müsste das Internet also wie ein Frühwarnsystem funktionieren – tut es aber offensichtlich nicht. Das kann nicht daran liegen, dass Banker nicht surfen. Wohl aber, so scheint es, schauen sie sich die falschen Seiten an. Wer immer nur wie ein Kaninchen auf die Schlange auf die Aktienkurse bei Bloomberg starrt, dem geht über kurz oder lang die Übersicht übers große Ganze verloren.Regulierungssysteme hängen im Analogzeitalter
Das globale Finanzsystem ist durch die Technologie der New Economy in atemberaubendem Tempo beschleunigt worden. Das Problem ist nur: Die weltweiten Regulierungssysteme und Bürokratien hängen immer noch im Analogzeitalter fest. Jeder Amateur-Investor mit einem Online-Maklerkonto und einem Breitband-Anschluss kann heute ein Global Player sein. Aber er tut es am Rande oder sogar außerhalb des abgesteckten Spielfelds des klassischen Finanzmarkts. Früher rief man seinen Broker an, um eine Order zu platzieren. Heute mutieren triviale Konversationen per Blackberry plötzlich zu Millionen-Transaktionen. Sie möchten einen Credit Swap von $100 Millionen aufsetzen?
Eine Instant Message an einen Hedge Fund auf den Caymans genügt. Alles völlig unbeaufsichtigt, unkontrolliert, aber am Schluss mit einem netten Smiley signiert. Kein Wunder, dass unser altes Finanzsystem nicht mehr funktioniert.”
Alan Greenspan, der große amerikanische Zentralbanker, war es, der davon schwärmte, das Internet ermögliche es der Finanzwelt, „Risiko zu verteilen“ und „komplexe Finanzprodukte zu schaffen, zu bewerten und zu handeln“. Dass aber selbst gestandene Finanzprofis von der Flut der Online-Informationen überschwemmt werden, hat er nicht bedacht. Das Ergebnis: Statt eigenverantwortlich zu handeln, folgen sie ihrem Herdeninstinkt – notfalls in den Abgrund. Das scheint Greenspan übrigens durchaus erkannt, zumindest aber geahnt zu haben, als er vor einem Kongressausschuss einmal sinnierte: „Unternehmen scheinen gleichmäßiger als früher zu reagieren. Innovationen werden nicht nur früher, sondern auch synchroner eingeführt. Der Wandel wird so in zunehmend kürzere Zeitrahmen gepresst.”
Das Internet ist also schuld an der globalen Finanzkrise
… weil sie systematische Verfehlungen im globalen Finanzgefüge mit „Cyberspeed“, im Internet-Tempo, wie ein Pestvirus rund um den Globus verbreitet hat. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Das Internet hat es Zentralbanken, Wirtschaftspolitikern und Finanzexperten ermöglicht, schneller und konformer als je zuvor auf den drohenden Kollaps des Systems zu reagieren. „Es ist so, als hätten sie alle in einem Raum gesessen, sich gegenseitig in die Bücher geschaut und in enger Abstimmung gehandelt“, wundert sich der US-Unternehmensberater Zachary Karabell. Und auch das Magazin „Newsweek“ kam zu dem gleichen Schluss: „Die Werkzeuge, die zur Krise geführt haben, haben die Reaktion darauf ermöglicht.“
Nationalbanken, Finanzministerien und Schatzkanzler in den wichtigsten Industrienationen hätten zwar unabhängig voneinander gehandelt, aber Informationen über Bilanzen, Liquiditätsengpässe und versteckte Risiken „per Mausklick und mit den gleichen Modellen ausgetauscht“. Dadurch wären sie besser in der Lage gewesen, sich abzustimmen, als wenn sie tagelang irgendwo zusammen in einem Konferenzraum gesessen hätten.
Die Lehren aus der ersten globalen Finanzkrise des Internet-Zeitalters
Wir brauchen Online-Systeme, die in der Lage sind, selbst komplexeste Finanzinformationen so darzustellen, dass sie ein Mensch verstehen kann.
Wir brauchen Online-Systeme, die in der Lage sind, selbst komplexeste Finanzinformationen so darzustellen, dass sie ein Mensch verstehen kann.
Der Venturekapitalist Paul Kedrosky fordert von den Internet-Entwicklern eine Art Armaturenbrett mit Knöpfen und Zeigern, die das komplexe Geschehen in den Kreditmärkten, bei Derivatives und Aktien auf einen Blick überschaubar macht. Statt endloser Tabellen wünscht er sich einfache Infografiken mit Säulen oder Balken in Ampelfarben (grün ist gut, rot ist schlecht), die Finanzmanager aus ihrem Dämmerschlaf aufschrecken und frühzeitig zum Gegenlenken anstiften sollen.
Transparenz im Markt
Und wir müssen Systeme schaffen, die Händler besser überwachen und Transparenz im Markt schaffen – damit wir nicht wieder auf dem falschen Fuß erwischt werden. Das ist einfacher, als es zunächst klingt, denn jede Finanztransaktion läuft heute über Computernetze. Und es gibt geeignete Systeme, um zumindest innerhalb von Firmennetzwerken und Trading Systemen festzuhalten, wer, wann, was, getan hat. Das Internet vergisst nichts, und nichts lässt sich auf Dauer geheim halten. Das ist die erfreuliche Seite der neuen Transparenz, die wir ansonsten meist nur als Bedrohung unseres Privaten wahrnehmen.
Das Internet könnte der Schlüssel zur Lösung der gegenwärtigen Finanzkrise sein, und es kann helfen dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommen kann. Das jedenfalls wollen wir hoffen. Es hat uns ja schließlich auch den ganzen Ärger eingebrockt.Tim Cole
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