STRATEGIE4. August 2025

Geopolitik an der Kasse: Digitaler Euro = Unabhängigkeit; Im Interview: Dr. Heike Winter, Bundesbank

Dr. Heike Winter, Bereichsleitung - Analyse, Policy, Ökosystem Digitaler Euro bei der Bundesbank, thematisiert die strategischen Aspekte des Zahlungsverkehrs. Ihr Fokus liegt auf der Resilienz der europäischen Zahlungsinfrastruktur im Kontext des digitalen Euros.
Dr. Heike Winter, Bereichsleitung – Analyse, Policy, Ökosystem Digitaler Euro, BundesbankBundesbank

Der Zahlungsverkehr hat natürlich viele technische Aspekte, aber die politischen, strategischen Perspektiven treten immer mehr in den Vordergrund. Dr. Heike Winter, Volkswirtin und in der Deutschen Bundesbank für den Bereich Digitalisierung im Zahlungsverkehr verantwortlich, gibt im Interview einen Einblick, wie die Bundesbank sich derzeit den geopolitischen Fragen und auch dem Digitalen Euro nähert.

von Dunja Koelwel

Frau Dr. Winter, auf der BaFinTech 2023 sprachen Sie über die geopolitischen Aspekte des Zahlungsverkehrs. Die Welt ist seitdem nicht stehengeblieben. Welche fünf Aspekte würden Sie Stand heute als am wichtigsten hervorheben?

Ausgangspunkt waren 2023 die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf den europäischen Zahlungsverkehr. Finanzsanktionen, die als politisches Instrument gegenüber russischen Unternehmen und Personen eingesetzt wurden, betrafen auch den Zahlungsverkehr als ein strategisches Element. Seither steht der europäische Zahlungsverkehr vor neuen Herausforderungen.

  • Erstens ist der europäische Kartenzahlungsverkehr zunehmend von großen US-amerikanischen Kreditkartenunternehmen abhängig. Rund zwei Drittel der Kartenzahlungen in Europa werden derzeit von diesen Anbietern abgewickelt.
  • Zweitens ist das im Onlinehandel ganz ähnlich. Im E-Commerce greifen die Deutschen gerne auf Paypal zurück. Diese Abhängigkeit ist unter dem Souveränitätsaspekt problematisch. Vor allem in politisch unruhigen Zeiten sehen wir zunehmend Bedarf für ein eigenes europäisches Verfahren, das auch auf europäischen Infrastrukturen läuft.
  • Drittens erheben BigTechs und internationale Kartensysteme im E-Commerce vergleichsweise hohe Transaktionsgebühren von den Händlern. Wertschöpfung findet dann so zu einem großen Teil außerhalb Europas statt.
  • Viertens fließen mit jeder Transaktion sensible Zahlungsdaten aus der EU in die USA oder nach China und das zu privaten Unternehmen. Mit der Akzeptanz der AGB von Paypal geben viele Verbraucher sorglos ihr Einverständnis, dass ihre Daten an zahlreiche US-amerikanische Unternehmen weitergegeben werden. Datenhoheit geht anders.
  • Fünftens treten heute insbesondere US-Dollar gestützte Stablecoins als Alternative zu herkömmlichen Zahlungen auf den Plan. Diese Entwicklung könnte der Währungshoheit im Euroraum und unseren Banken schaden. Der Bundesbank ist es ein Anliegen, dass der Euro genutzt wird.

Der digitale Euro könnte die Abhängigkeit von Nicht-EU-Anbietern und ihren Zahlungsmitteln verringern. Durch eine eigene Infrastruktur für den digitalen Euro und die Möglichkeit, den digitalen Euro auch offline zu nutzen, würde auch die  Widerstandsfähigkeit des europäischen Zahlungsverkehrs steigen.”

Dr. Heike Winter, Bundesbank
Eine Person mit braunen, lockigen Haaren und Brille lächelt in die Kamera. Sie trägt einen dunklen Blazer und ein gemustertes Oberteil. Der Hintergrund ist unscharf, was den Fokus auf die Person lenkt. Das Bild könnte im Kontext des ZahlungsverkehrsDr. Heike Winter ist Volkswirtin und in der Deutschen Bundesbank (Website) für den Bereich Digitalisierung im Zahlungsverkehr verantwortlich. Dazu gehören die Gremienarbeit im Eurosystem und im deutschen Kreditgewerbe ebenso wie Analysen der Marktentwicklung und des Zahlungsverhaltens. Sie arbeitet seit Februar 1999 bei der Deutschen Bundesbank, zunächst in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und ökonomische Bildung und seit März 2007 im Zahlungsverkehr.

„Der digitale Euro ist kein Selbstzweck, sondern Weg zu mehr Unabhängigkeit“, so das Credo der Banken. Was müsste man mehr tun, damit diese Erkenntnis auch bei den Konsumenten bzw. den Unternehmen ankommt?

Eines unserer großen Anliegen ist es, mehr Bewusstsein für technologische Abhängigkeiten als strategisches Risiko zu schaffen. Die Kontrolle über kritische Infrastrukturen, Datenhoheit und politische Handlungshoheit stehen auf dem Spiel.

Von den Konsumenten hören wir oftmals, dass man doch schon überall digital bezahlen kann. Die Frage ist nur zu welchem Preis.

Solange di­gi­ta­les Be­zah­len über­all in Eu­ro­pa funk­tio­niert, so­lan­ge Eu­ro­pä­er nicht wahr­neh­men wol­len, dass mit ih­ren Zah­lungs­da­ten auch nicht­eu­ro­päi­sche An­bie­ter Ge­schäf­te ma­chen – so­lan­ge ist die­se Ab­hän­gig­keit im All­tag nicht di­rekt spürbar.”

Als Zentralbank informieren wir darüber, dass diese Abhängigkeit problematisch werden könnte, und machen Privatkunden das Kleingedruckte in ihrem täglichen Zahlungsverhalten bewusst.

Auch in Unternehmen ist das Gefühl der Abhängigkeit von nichteuropäischen Dienstleistern entstanden. Der US-amerikanische Präsident könnte TechKonzerne dazu anhalten, ihre Dienste von einem auf den anderen Tag einzustellen. Ebenso könnten Zahlungssysteme gesperrt werden. Viele Unternehmenskunden wünschen sich daher einen digitalen Euro.

Der digitale Euro als Zahlungsmittel muss für alle funktionieren. Doch was ist derzeit bei Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen? Was ist hier geplant?

ibi-Zahlungsverkehrsforum 2025
Dieses Thema finden Sie auch auf dem ibi-Zahlungsverkehrsforum am 04. und 05.12.2025 in Frankfurt. Leser des IT Finanzmagazin erhalten exklusiv Tickets mit 10 % Preisnachlass. Ticketcode: ITF-ZV-10%

Der digitale Euro soll ein inklusives Zahlungsmittel werden, das für alle Menschen, auch für Menschen mit Einschränkungen, zugänglich ist. Das Eurosystem sieht Barrierefreiheit, auch basierend auf dem European Accessibility Act (EAA), als Ausgangspunkt bei der Entwicklung des digitalen Euro an.

Der Legislativvorschlag der Europäischen Kommission schreibt zudem den flächendeckenden Zugang zum digitalen Euro vor. Es soll Stellen geben, die Bürgern zur Seite stehen, wenn sie kein Bankkonto haben oder Unterstützung bei Zahlungsdiensten brauchen. Wie genau dies in jedem Land aussehen kann, wird aktuell diskutiert. Hierbei werden die Perspektiven der verschiedenen Betroffenengruppen einbezogen.

Der digitale Euro muss online und offline funktionieren. Was sind hier derzeit noch die Hürden?

Die größte Hürde ist der noch nicht abgeschlossene Gesetzgebungsprozess.  Dafür hat die Europäische Kommission das Single Currency Package zur Einführung des digitalen Euro und Stärkung des Euro-Bargelds im Sommer 2023 vorgelegt. Dieser Legislativvorschlag wird derzeit im Europäischen Rat und hoffentlich auch bald im Europäischen Parlament verhandelt. Denn ohne gesetzliche Grundlage kann das Eurosystem den digitalen Euro nicht in Verkehr geben.

Aktuell leistet das Eurosystem Vorarbeiten für den Aufbau der benötigten Infrastruktur. Als Großprojekt für etwa 350 Millionen Bürger des Euroraums durchläuft der digitale Euro  verschiedene Planungs- und Abstimmungsphasen innerhalb des Eurosystems – sowohl für die Online- als auch Offline-Version.”

Auf der BafinTech 2025 war eine der Aussagen: Nur sechs Prozent der Europäer nutzen Mobile Payment, ein Mehrwert muss politisch aufgebaut werden. Wie lässt sich das bewerkstelligen?

Tatsächlich hat sich im Euroraum der Anteil von Mobile Payments an den Zahlungstransaktionen in unserer Zahlungsverhaltensstudie innerhalb von zwei Jahren verdoppelt: von drei Prozent im Jahr 2022 auf sechs Prozent im Jahr 2024. Besonders bei jüngeren Altersgruppen hat die Nutzung von mobilen Bezahlverfahren stark zugenommen. Dies dürfte Teil des laufenden Digitalisierungsprozesses sein. Ich gehe davon aus, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis sich die Zahlungsgewohnheiten der Menschen ändern. Es braucht einfach Übung, bis jemand an der Kasse statt dem Portemonnaie das Smartphone zückt. Die steigende Nutzung von Mobile Payment zeigt aber, dass hier der Grundstein gelegt ist.

Frau Dr. Winter, vielen Dank für das Gespräch und ich freue mich, wenn Sie auf dem diesjährigen ibi-Zahlungsverkehrsforum im Dezember in Frankfurt in Ihrem Vortrag noch mehr in die Details gehen.dk

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