Gesellschaftliche Entwicklungen als Treiber neuer Technologien im Banking
Ist die Rede von Technologie, denken viele von uns wohl an Roboter, selbstfahrende Autos oder virtuelle Realitäten. Im Zentrum steht dabei die Datenverarbeitung. Dabei kann der Eindruck entstehen, als würde die Technologie ihre Verbreitung der Tatsache verdanken, dass sie einen neuen Bedarf in der Gesellschaft erzeugt, der ohne sie unentdeckt geblieben wäre. Technologie wäre demnach der Treiber gesellschaftlicher Veränderungen. Diese Annahme ist jedoch falsch, so Mark Kurlansky in seinem Buch Paper. Paging through history. Es sei genau anders herum, der gesellschaftliche Bedarf gehe der Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien voraus.
von Ralf Keuper
Society develops technology to address the changes that are taking place within it. … A technology that is intended to redirect society will usually fail. In fact, most technology companies do not introduce new technology but new ways to use ideas that already exist.”
Insofern sind Ängste neuen Technologien gegenüber in gewisser Weise paradox:
Am Beispiel des Papiers, der bis heute erfolgreichsten Technologie überhaupt, zeigt Kurlansky, dass es Veränderungen in der Gesellschaft, in der Kultur sind, welche die Voraussetzung für den Bedarf an Papier geschaffen haben – vor allem der Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Überlieferung.You cannot warn about what a new technology will do to a society because that society has already made the shift. … Those who critized the written word in Plato’s time were not different from writers today who sit at their computers and tap out critiques, even diatribes, against computer technology. They are working with the same compromise. They recognize that the new technology is now the way to do things, but they regret it.”
Mit der Zeit konnte sich das Papier als Medium gegenüber Steinen, Wachs oder Papyrus durchsetzen. Wichtiger Auslöser für den Siegeszug des Papiers war das Aufkommen der Bürokratie. Vorgänge mussten dokumentiert und vervielfältigt werden – hierfür war ein leichtes, gut zu beschreibendes, günstig herzustellendes und beständiges Material nötig. Die Chinesen waren die Ersten, deren gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung den Einsatz von Papier erforderte. Erst deutlich später kamen die arabischen und europäischen Länder hinzu. Es waren auch die Chinesen, die das Papiergeld erfanden (Vgl. dazu: China und die Erfindung des ersten Papiergelds vor eintausend Jahren).
Von der Papier-Geschichte zur Technologie der Gegenwart
Der Blick zurück in die Geschichte, die Entstehungszeit der bislang erfolgreichsten Technologie der Menschheit hilft uns, die Veränderungen besser zu verstehen und einzuordnen, die sich seit einigen Jahren im Banking vollziehen und häufig mit den Begriffen FinTech, Bitcoin und Blockchain assoziiert werden.
Noch heute ist das Papiergeld in vielen Ländern, insbesondere in Deutschland und Japan, weit verbreitet. Jedoch befindet sich das Bargeld in vielen Ländern auf dem Rückzug. Es dominieren die unbaren Zahlungen, die sich entweder bequem und (ausreichend) sicher mit der Girokarte, der Kreditkarte, dem Smartphone oder mit dem PC durchführen lassen. Die Menschen haben sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte daran gewöhnt, dass Geld in unstofflicher Form übertragen und gespeichert werden kann. Eine arbeitsteilige, mobile und vernetzte Gesellschaft erzeugt einen anderen Umgang mit Geld. Für die Verrechnung und Dokumentation der Geldflüsse wird seit dem Mittelalter die von Luca Pacioli entwickelte doppelte Buchführung eingesetzt (Vgl. dazu: Luca Pacioli: Geistiger Vater der doppelten Buchführung).
Bitcoin folgt der Veränderung in der Gesellschaft
Wenn die Anzeichen nicht täuschen, dann stehen die diversen digitalen Währungen wie Bitcoin für einen Wandel, der sich bereits vor einiger Zeit in der Gesellschaft ereignet haben muss. Es besteht Bedarf nach der Möglichkeit, Geld direkt ohne Zwischenschaltung eines Intermediärs wie einer Bank zwischen den Beteiligten zu versenden.
Die Rolle des Staates als oberste Instanz für die Währungen steht damit infrage.”
Die Blockchain wiederum könnte als eine Veränderung interpretiert werden, die sich im Bereich der Dokumentation und der Bürokratie vollzogen haben. Historisch betrachtet handelt es sich um einen natürlichen, logischen Prozess, der bereits im antiken Griechenland und bei Sumerern einsetzte, so Michael Paetau in Bitcoin und die Provokation der “Blockchain-Economy”. Mit Blick auf heute schreibt er:
Es lässt sich also festhalten, dass wir heute aus einer Situation des entwickelten kapitalistischen Finanzwesens heraus behaupten können, dass wir den Geldbegriff abstrakter fassen müssen, .. , indem wir anerkennen, dass Geld zunächst ein System von Kreditkonten und ihrer Verrechnungen ist, und dann erst eine bestimmte Form als Münze, Wechsel, Banknote oder eben Bitcoin annehmen kann.”
Die Blockchain-Technologie, wie generell die Distributed Ledger Technologies, sind im Grunde nichts Neues, sie kombinieren jedoch Verfahren (verteilte Datenhaltung, Verschlüsselung, P2P) in einer neuen Art und Weise.
So betrachtet ist die Behauptung, eine Bank sei eigentlich nur ein digitales Hauptbuch, nicht (mehr) allzu weit hergeholt (Vgl. dazu: Die Bank: Letzten Endes nur ein digitales Hauptbuch?).
Eine “neue” Sprache, die für die Banken an Bedeutung gewonnen hat, ist die Software als Lingua Franca des IT-Zeitalters. Banken müssen diese neue Sprache beherrschen, sofern sie nicht von Internet- und Technologiekonzernen wie Google, Alibaba oder Amazon aus dem Geschäft gedrängt werden wollen. Was die “Sprachkenntnisse” betrifft, sind Amazon & Co. ebenso wie viele FinTech-Startups den Banken voraus. Die Software selbst ist die Antwort auf die zunehmende Automatisierung, die fast alle Lebensbereiche durchdringt. Der Einsatz von Software als Koordination- und Abstimmungsmechanismus hat neue Organisationsformen entstehen lassen wie digitale Plattformen.
Piktogramme und die Identität
Die Sprache wird im Banking an vielen Stellen durch Symbole und Piktogramme ersetzt, wie überhaupt Bilder das bevorzugte, universelle Kommunikationsinstrument sind, wie bei WeChat und Capital One (Vgl. dazu: Das WeChat-Ökosystem & Emoij Banking).
Der nächste logische Schritt in der digitalen Ökonomie besteht nun darin, dass die digitalen Identitäten von Personen, Organisationen und Geräten eine wichtige Funktion übernehmen werden. Auf diese Weise können Transaktionen zwischen Personen, Unternehmen und Geräten, die sich nicht kennen, sicher und rechtswirksam abgeschlossen werden können.
Die Banken befinden sich nun im Zentrum dieses gesellschaftlichen Wandels, der nach entsprechenden Technologien verlangt. Ihre Rolle als Finanzintermediäre und “Hüter des Geldes” ist längst nicht mehr so gefragt, wie in der Vergangenheit. Die FinTech-Startups waren eines der ersten Signale für diesen Wandel, gefolgt von Bitcoin, der Blockchain und den digitalen Plattformen. Das Bankgeschäft ist insgesamt unstofflicher, ortsunabhängiger und unpersönlicher geworden. Demzufolge müssen sich auch die Institutionen wandeln, die bislang für die sichere Versorgung der Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Geld zuständig waren.
Wohin gehst Du? Banken haben sich noch nicht entschieden …
Es scheint, als befände sich das Geschäftsmodell der Banken in der Schwebe, noch nicht bereit, sich auf eine bestimmte Form festzulegen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die “digitale Bank” tatsächlich die Technologie ist, welche die Gesellschaft schon längst in ihrem Alltag antizipiert hat. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Funktion ist noch auf der Suche nach der passenden Form.”
Die Suche wird nicht mehr allzu lange dauern, wie nicht nur ein Blick in die Geschichte des Papiers zeigt.Ralf Keuper
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