Tokenisierung von Vermögenswerten: So funktionierte sie & so wird die Zukunft des Eigentums wirklich aussehen
„Die Zukunft des Eigentums ist digital“ – diesen Eindruck gewinnt man aus gängigen Prognosen. So sollen nach dem Bericht des World Economic Forum in wenigen Jahren bereits Tokens im Wert von 10 Prozent des Weltsozialprodukts auf der Blockchain liegen. Das klingt verführerisch. Aber ist das wirklich realistisch? Der Antwort wollen wir uns in fünf Schritten nähern.
von Professor Dr. Hans-Gert Penzel, ibi research
Was sind Tokens – wie ordnen sie sich in Welt digitaler Lösungen ein?
Befassen wir uns erstens mit der Definition dieser Tokens: Es sind digitale Objekte, die eigenständig einen Wert darstellen. Der Übernehmer akzeptiert sie, erhält sie direkt von E-Wallet zu E-Wallet oder auch als Anhang in einer E-Mail (wie ein PDF-Dokument), ohne dass er sich explizit bei einer zentralen Stelle rückversichern müsste. Er schiebt den Token auf seinen Desktop oder in seine E-Wallet, und das ist es.
Das läuft also genauso, wie wenn man in der heutigen analogen Welt einen Geldschein akzeptiert: auch da nehmen wir in der Regel mit Vertrauen, was wir vom Gegenüber bekommen, ohne gleich zur Prüfung die Bundesbank zu bemühen. Wir stecken den Schein in unsere physische Geldbörse, und das ist es.
Drei Gruppen solcher Wert-Tokens lassen sich unterscheiden:
- Payment Tokens wie der privatwirtschaftliche USD Coin oder der öffentlich herausgegebene kommende digitale Euro.
- Finanz- oder Security Tokens wie digitale Wertpapiere. In diese Gruppe fallen auch die – eher im Niedergang begriffenen – ICOs (Initial Coin Offerings), die künftigen Hoffnungsträger Immobilien-Tokens sowie NFTs (Non Fungible Tokens), z.B. für digitale Kunstobjekte.
- Sonstige Tokens, in der Regel Utility Tokens, die diverse Nutzungsrechte garantieren. Beispiele sind Tokens als Ersatz für die Saisonkarte des FC Bayern München oder ein Abo-Paket für Konzerte und weitere Leistungen der Böhsen Onkelz.
Unter ihnen liegt eine Datenbank-Infrastruktur; das ist in der Regel ein Decentralized Ledger. Entweder in den Tokens oder auf der Ebene darüber liegen Smart Contracts, die die Tokens mit automatisierten Rechten und Pflichten ausstatten.”
Bei Ethereum liegen sie beispielsweise im Token selbst, denn dort wurde von Anfang an eine eigene Software-Schicht vorgesehen, der Abstract Layer. Dagegen ist die Bitcoin „dumm“, d.h. Vertragsregeln müssen außerhalb der Bitcoin in einer darüber liegenden Software-Ebene programmiert werden.
Warum sind Tokens so interessant – wo liegt der potentielle Nuzten?
Damit können wir uns zweitens dem deklarierten Nutzen solcher Tokens nähern: Sie stellen sich als natürliche Teile der digitalen Welt dar, erlauben die volle Digitalisierung von Prozessen ohne analoge Unterbrüche. Die Wertspeicher werden genauso digital wie die einzelnen Prozess-Schritte.
Wer Services für die Token-Economy anbietet, spricht auch gerne von quantifizierten Vorteilen. So nennt Cashlink 65 Prozent geringere Kosten und eine um 99 Prozent schnellere Abwicklung. Andere Anbieter wie Finexity zeigen plakative Token in der Praxis. Durchaus verständlich, dass das World Economic Forum zur oben genannten Prognose über eine dramatisch wachsende Marktdurchdringung gelangt.
Wie funktionieren Tokens – am Beispiel von Wertpapieren?
Nach der Feststellung des möglichen Nutzens machen wir im dritten Schritt den Praxistest: Wir betrachten den heutigen Prozess der Tokenisierung Schritt für Schritt am Beispiel von digitalen Wertpapieren, also zum Beispiel von Schuldverschreibungen.
- Zunächst wird das geplante Produkt und der dafür einzusetzende Token gemäß Taxonomie zugeordnet. Das ist heute aufgrund des Fehlens der MiCA-Verordnung (Markets in Crypto Assets) aufwändig und bleibt auch mit MiCA ein teilweise analoges Verfahren.
- Anschließend trifft der Emittent die Entscheidung, wie weit er den Prozess outsourcen will. Im Zweifel geschieht das zu erheblichen Teilen, da er sehr komplex ist. Er muss mithin analog alternative Outsourcing-Partner evaluieren und einen davon auswählen.Autor Prof. Dr. Hans-Gert PenzelProf. Dr. Hans-Gert Penzel, Jahrgang 1956, lehrt und forscht an der Universität Regensburg. Er ist Gründungsgesellschafter des ibi research, Institut für Bankinnovation an der Universität Regensburg (Website).
- Danach muss das Wertpapier strukturiert werden. Auch hier wird die MiCA-Verordnung helfen, aber auch dieser Schritt wird immer in Teilen analog verlaufen.
- Nun folgen die aufwändigen Aktivitäten der Pre-Emission-Phase: Je nach Strukturierung ist ein einfacher oder umfassender Prospekt zu erstellen, der geplante Token ist im Wertpapierregister (nicht immer ein Krypto-Register) anzumelden etc. …
- Danach erfolgt die Emission, wobei sämtliche Regeln des Smart Contracts sauber in Software programmiert und umfassend getestet werden müssen.
- Schließlich sollten in der Post-Emission-Phase tatsächlich alle wesentlichen Aktivitäten hochautomatisch und digital verlaufen.
Welche Hürden gibt es noch für den breiten Einsatz von Tokens?
Im vierten Schritt können wir nun deklarierten und heutigen Praxis-Nutzen vergleichen, wobei vier Kriterien entscheidend sind:
- Die Technologie ist im Wesentlichen reif für die Realisierung der Tokens, wobei aber die Protokolle insbesondere für Smart Contracts deutlich stärker standardisiert werden müssen.
- Die Regulation hat noch viele Schritte zu bewältigen, wobei einiges über die MiCA-Verordnung bis hoffentlich 2024 klargestellt werden sollte.
- Die Wirtschaftlichkeit leidet unter der Vielzahl analoger Zwischenschritte, von denen einige verschwinden werden, andere aber auch im erstrebten Zielzustand erhalten bleiben werden.
- Schließlich bleibt die Akzeptanz: Sie wird sicher steigen, wenn der Prozess eleganter und weniger aufwändig wird. Aber ob ein digitales Kunstwerk in absehbarer Zeit für eine ausreichend große Zielgruppe attraktiv sein wird, bleibt abzuwarten.
Die Gesamtbetrachtung führt also zu einer deutlichen Desillusionierung.
Heute spart man, gemessen an den oben genannten Zahlen, viel weniger als 65 Prozent der Kosten und wohl nur einen Bruchteil der behaupteten 99 Prozent an Zeit.”
In Zukunft kann es mehr sein, aber der Prozess dorthin ist aufwändig.
Fazit – und wann wird unser Eigentum über Tokens abgebildet werden?
Somit können wir im fünften Schritt ein Fazit ziehen: Ohne Zweifel haben Tokens ein enormes Potenzial und werden als Träger von Werten essenzielle Komponenten einer zunehmend digitalisierten Welt werden. Aber auch hier gilt, was für grundlegende Innovationen typisch ist: Die Menschen unterschätzen die langfristigen, aber sie überschätzen die kurz- und mittelfristigen Effekte. Insofern wird der Weg zu einer breiten Nutzung lang und steinig; die Mehrzahl der Tokens befindet sich auf der Gartner-Kurve noch vor dem Tal der Enttäuschungen oder bewegt sich gerade hinein. Das Plateau der Produktivität werden wir wohl in der Breite erst in 10 bis 15 Jahren erreichen.
Prof. Dr. Hans-Gert Penzel, ibi researchSie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
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