agree21-Migration: Banken droht neue Silodenke
Die Fiducia GAD IT hat mit der Serienmigration für mehr als 400 VR-Banken begonnen. Bis 2019 soll das einheitliche Banksystem agree21 überall laufen. Dabei steht für jedes Institut nur ein Wochenende zur Verfügung, um die Migration durchzuführen. Damit die Bank am Montag für die Kunden möglichst unbemerkt wieder öffnen kann, müssen organisatorisch Vorkehrungen getroffen werden. Vor allem bei der Vorgangssteuerung im Kernbanksystem droht sich ein allzu technischer Blick später zu rächen, sagt die Berliner Unternehmensberatung Procedera Consult.
von Daniela Söthe, Senior Consultant, Procedera Consult
Das Wichtigste gleich vorweg:agree21 ist ein leistungsstarkes und ausgereiftes Kernbanksystem. Wie so häufig steckt der Teufel jedoch im Detail, wenn es darum geht, eine gewohnte Welt zu verlassen und die Bank auf das neue Verfahrensfundament zu stellen.”
Eine Stolperfalle lauert bereits bei der Datenmigration an sich. Je höher die Datenqualität im Quellsystem, desto reibungsloser lassen sich die Informationen übertragen. Genau darauf legt die Fiducia GAD IT größtes Augenmerk. Das allein gewährleistet aber noch nicht den Migrationserfolg, da auch die Geschäftslogik – also die zwischen den Daten bestehenden logischen Verknüpfungen – mit übertragen werden muss. Dafür ist bei agree21 vor allem die Vorgangssteuerung von Bedeutung. Wer sich keine übergreifenden Regeln für die Workflow-Steuerung gibt, der riskiert, dass das Haus redundante Vorgänge schafft und in eine gefährliche Silodenke verfällt.
Vorgangssteuerung: Keine Überraschungen zulassen
Vorgänge sind die zentrale Steuerungsgröße in agree21, um sämtliche Abläufe innerhalb der Bank zu steuern, zu dokumentieren und elektronisch zu unterstützen. Dabei baut das System auf dem Lego-Prinzip auf: Einmal entwickelte Bausteine lassen sich für alle folgenden Legomodelle – oder eben für jeden Vorgang – erneut verwenden. Der Vorteil liegt auf der Hand. Bei digitalen Bausteinen brauchen eventuell notwendige Veränderungen dann nur an einer Stelle vorgenommen werden.
Das Problem: Wer nicht weiß, dass einzelne Bausteine bereits existieren, entwickelt möglicherweise redundante Bausteine oder baut diese in Vorgängen nach.”
Auf Fachbereichsebene fällt das nicht auf, da die Endbenutzer nur das Ergebnis eines solchen Vorgangs sehen. Nicht aber, ob sich das Ergebnis IT-architektonisch auf schlaueren Wegen erreichen ließe.
Die Migrationsbanken sind also gut beraten, bereits vorab sämtliche IST-Prozesse aufzunehmen und ein Verständnis dafür aufzubauen, wie die agree21-Vorgänge funktionieren. Möglicherweise zeigen sich aufbau- oder sogar ablauforganisatorische Baustellen, die vor der Migration noch nicht sofort ins Auge fallen. Das gilt umso mehr, als dass sich sowohl Geschäftsmodell als auch Ablauforganisation typischerweise erst nach der erfolgreichen Datenmigration optimieren lassen – also erst, nachdem der Stein bereits ins Rollen geraten ist. Schlimmstenfalls sehen sich die Banken plötzlich mit einem Aufwand konfrontiert, mit dem kaum jemand gerechnet hat.
Regeln für die Vorgangssteuerung etablieren
Damit agree21 effizient funktioniert und beispielsweise auch bei gesetzlichen Anforderungen wie der MaRisk-Novelle einfach zu warten ist, gilt: so wenig Vorgänge wie möglich, so viele wie nötig. Diese Regel muss das Institut im Blick behalten, um überflüssige Vorgänge zu vermeiden und bei notwendigen Änderungen an möglichst wenigen Stellen in die Vorgangssteuerung eingreifen zu müssen. Im Anweisungswesen, bei dem strukturell dieselbe Gefahr droht, beruft man sich deshalb auf eine Organisationsanweisung für Organisationsanweisungen – die sogenannte OA der OA. Sie legt fest, nach welchen Kriterien und mit welchen Prüfverfahren neue Anweisungen erlassen und für gültig erklärt werden dürfen. Genau das brauchen die Migrationsbanken für agree21 auch. Sie brauchen ein auf die technische Umgebung von agree21 abgestimmtes Prozessmodell, da sich die Fiducia vor allem um die Migration an sich kümmern dürfte und keine Zeit für komplizierte Vorarbeiten haben wird.
Für die vorab zu schaffende Transparenz gibt es noch einen zweiten Grund: Anders als bei bank21 handelt es sich bei agree21 um ein weitgehend geschlossenes Ökosystem.”
Wichtige Funktionen, die sich bei bank21 ziemlich flexibel durch Drittsysteme anbauen ließen, liefert agree21 über zusätzliche Modelle beziehungsweise Tools. Und die wiederum werden über Vorgänge gesteuert. Klarheit über die nach der Migration benötigten Vorgänge zu schaffen, sorgt also bereits im Vorfeld dafür, den Migrationsaufwand für Drittmodule abschätzen zu können. In einem Merkblatt zur Migration empfiehlt der Genossenschaftsverband deshalb, unbedingt noch vor Projektbeginn neben der Datenqualität auch die Prozesse intensiv zu beleuchten.
Fachbereiche und IT noch besser integrieren
Damit das gelingt, sollten die zu migrierenden Banken umgehend damit beginnen, eine eigene Projekt- und Ressourcenplanung aufzubauen. Ein wesentlicher Fokus dabei sollte auf einer bereits vor der Migration stattfindenden Weiterbildung liegen.
Denn neben den späteren Anwendern müssen insbesondere die bank21-Administratoren fachlich und auch technisch umschulen.”
Für beide Zielgruppen wäre wünschenswert, dass sie hinsichtlich agree21 gar nicht erst das falsche Vorgehen oder gar unsinnige Workarounds lernen. Einmal falsch aufgebautes Anwenderwissen zu korrigieren, ist deutlich teurer, als von vornherein in die richtigen Schulungen zu investieren. Dazu gehört auch, während der Projektlaufzeit und idealerweise auch danach von der klassischen Rollenverteilung abzuweichen, nach der die Fachanwender ihre Anforderungen definieren und die IT diese weitgehend alleinverantwortlich umsetzt. Besser ist ein reger Austausch.
Eine gut geölte Schnittstelle zwischen Fachbereich und IT-Abteilung dürfte am ehesten in der Lage sein, fachliche und IT-technische Redundanzen aufzuspüren, während das bestehende Prozessmodell in die Vorgangswelt von agree21 übersetzt wird. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass die Vorgangsmodellierer Muster erkennen und auch die Fachabteilungen Alarm schlagen, sobald sich wiederholende Abläufe an verschiedenen Stellen auftauchen. Ein Assessment, um spätere Migrationsmängel auszugleichen, hält die Bank unnötig auf.
Zudem – und das übersehen viele Institute – müssen sämtliche Anpassungen sowohl in der IT als auch bei den Abläufen schnellstmöglich im Organisationshandbuch dokumentiert werden (MaRisk).”
Auch hier zahlt sich also eine frühzeitige IST-Aufnahme aus, um den damit verbundenen Aufwand vorab einzugrenzen.aj
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