Für 10 Jahre: Commerzbank lagert Zahlungsverkehrs-IT an equensWorldline aus – das Interview
Die Commerzbank geht im Juli eine 10 Jahre-Partnerschaft mit equensWorldline ein. Das Unternehmen wird sämtliche SEPA-, Instant-, Multi-Currency- und Inlandszahlungen für die Commerzbank abwickeln. Rudolf Linsenbarth befragte Martin Birkel (IT – also: Principal Project Manager in der CIO-Einheit “Commercial Banking”) und Stefan Wloch (Prozessmanagement Payments/Bereichsleiter für Zahlungsverkehr) zu Hintergründen und Auswirkungen.
Die Commerzbank hat eine umfassende Kooperationsvereinbarung mit equensWorldline zur Auslagerung der IT für den Zahlungsverkehr getroffen. Gilt das auch für die Tochterunternehmen comdirect und die polnische mBank?
Martin Birkel: Die Abwicklung unserer Zahlungsverkehrstransaktionen wird künftig über die IT-Systeme von equensWorldline laufen. Unsere Systeme, beispielsweise die, die den Kundenauftrag entgegennehmen, buchen, bleiben unverändert, docken aber an die Systeme von equensWorldline an.Der Zahlungsverkehr der comdirect-Kunden wird bereits heute über die gleiche Plattform abgewickelt wie die der Commerzbank-Kunden. Daher wird auch der comdirect-Zahlungsverkehr über equensWorldline abgewickelt werden. Die mBank betrifft das in dem Fall nicht.”
Ist mit dieser Vereinbarung auch ein Personalübergang verbunden, oder stemmt equensWorldline die Prozesse komplett mit eigenen Ressourcen? Wie ist ein reibungsloser Betriebsübergang sichergestellt?
Stefan Wloch: Zunächst einmal ein ganz wichtiger Aspekt: Für unsere Kunden wird sich nichts ändern, sie werden das gewohnt hohe Servicelevel der Commerzbank behalten. Gleichzeitig müssen wir mit Blick auf die Zukunft aber auch Kosten senken, dem gestiegenen regulatorischen Druck entsprechen und ganz wichtig, unsere IT-Systeme mit gewohnter operativer Stabilität und Verlässlichkeit noch leistungsfähiger machen.
Unser Ziel bei diesem Thema ist es, die IT-Systeme des Dienstleisters zu nutzen, dieser wird den Übergang mit Bordmitteln stemmen. Das heißt, es wird keinen Personalübergang geben.”
Martin Birkel: Den reibungslosen Übergang stellen wir im Kern folgendermaßen sicher: Im ersten Schritt übernimmt equensWorldline das Application Management, also die Entwicklung und Betreuung der Anwendungssoftware. Im zweiten Schritt erfolgt die Abwicklung der Zahlungsverkehrstransaktionen der Commerzbank unter Einbeziehung der IT-Systeme des Dienstleisters. Diesen Übergang zwischen Schritt eins und zwei wollen wir so sicher wie möglich umsetzen, daher gibt es keinen Big Bang. Dabei wird es immer wieder parallele Phasen geben, in der Alt- und Neusysteme gleichzeitig laufen. So können wir die Ergebnisse der beiden Welten vergleichen und mögliche Fehler ohne Kundenauswirkung beheben. Die vollständige Umstellung erfolgt erst, wenn eine Parallelphase erfolgreich war.
Inwieweit ist das Kernbankensystem von dieser Vereinbarung betroffen?
Martin Birkel: Wie bereits beschrieben, sind die IT-Systeme für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs Gegenstand der Vereinbarung.
Das bedeutet umgekehrt, dass viele wesentliche Funktionen, die man dem Begriff Kernbanksystem zuordnet, bei der Bank verbleiben und die IT von equensWorldline an diese angedockt werden.”
Beispielsweise bleiben die Kundenstammdaten, die Disposition, die Buchung und alle Compliance-Aufgaben bei uns.
Wie sieht es beim Online-Banking aus? Die dort getätigten Überweisungen sind ja ebenfalls dem Zahlungsverkehr zuzurechnen? Wer liefert in Zukunft die Technologie für die Kunden-Autorisierungen bei diesen Prozessen (Stichwort PIN/TAN oder ähnliches)?
Stefan Wloch: Diese Funktionen und IT-Systeme zählen nicht primär zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, sind und werden aber selbstverständlich unter dem Aspekt „Ende-zu-Ende-Sicht“ berücksichtigt. Sie sind für uns Schnittstelle zum Kunden und bleiben in unserer Hoheit. Hier kann man sich vom Wettbewerb unterscheiden. In der eigentlichen Abwicklung, also dem Nachrichtenaustausch mit anderen Banken und den Abwicklern, kann man sich kaum vom Wettbewerb differenzieren. Diese ist in hohem Maße standardisiert und wenig differenzierend.
Wird equensWorldline auch die entsprechend der PSD2 geforderten Schnittstellen für die sogenannten Konto-Informationsdienste und Zahlungsauslösedienste zur Verfügung stellen?
Stefan Wloch: Nein, das sind Aufgaben und Funktionen an der Kundenschnittstelle. Sie bleiben in unserer Hoheit und damit auch die Umsetzung der erforderlichen Veränderungen.
Bekommt die Commerzbank dann auch eine FINT-TS Schnittstelle, so wie die comdirect?
Stefan Wloch: Wir planen derzeit, unser Leistungsangebot über die FinTS-Schnittstelle zu erweitern, um künftig unter anderem das PIN/TAN-Verfahren anbieten zu können. Aktuell steht dieser Service leider noch nicht zur Verfügung.
Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Beauftragung von equensWorldline war ja wohl auch SCT Inst, die schnelle SEPA-Überweisung. Können Sie uns dazu noch etwas sagen und ab wann können die Commerzbank Kunden das nutzen?
Stefan Wloch:
Eine Einführung von Instant Payments streben wir an. Das wäre der erste Release, den wir mit equensWorldline umsetzen. Welche Funktion wir wann produktiv setzen, entscheiden wir noch.”
Gibt es keine Bedenken über den Know-how-Verlust, so dass eine spätere Re-Integration des Zahlungsverkehrs nicht mehr möglich sein wird?
Martin Birkel: Wir kaufen Dienstleistungen beim Marktführer in der Zahlungsverkehrsabwicklung. Diese ist in hohem Maße standardisiert und reguliert: Der Austausch von Nachrichten zwischen Banken, Clearing-Systemen und den Abwicklern folgt klar definierten und starren Standards.
Das grundlegende bankfachliche Wissen verbleibt in der Bank. Die Frage einer möglichen Rückabwicklung stellt sich für uns aber aktuell nicht.”
Das Processing der Kreditkarten erfolgt ja bereits bei equensWorldline. Werden diese Leistungen dann in Zukunft auch für die GiroCard erbracht?
Stefan Wloch: Nein, dies ist nicht geplant.
Zahlungsverkehr ist im Prinzip elementarer Teil der Wertschöpfungskette einer Bank. Gehen Sie also bei der Commerzbank davon aus, dass es hierbei kein Differenzierungspotenzial mehr gibt?
Stefan Wloch: Der Weg zu einem digitalen Technologieunternehmen ist für die Commerzbank eine langfristige Strategie, das geht nicht über Nacht. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass wir damit richtig liegen. Und alles, was wir dabei tun, muss am Ende auf unsere Kunden ausgerichtet sein, das ist unser Kerngeschäft. Klares Ziel ist es, schneller neue Produkte auf den Markt zu bringen und Kosten zu senken. Das betrifft selbstverständlich auch den Zahlungsverkehr, auch hier wollen wir den Marktanteil ausbauen und unseren Kunden Mehrwert bieten.
Martin Birkel: Das, worüber wir hier sprechen, und was künftig vom Dienstleister erbracht wird, betrifft die Teile der Wertschöpfungskette, die in hohem Maße standardisiert und reguliert sind.
Differenzierung entsteht nicht durch standardisierte Basisabwicklungssysteme, sondern durch Kosteneffizienz und fachkundige Beratung der Kunden entlang der Wertschöpfungskette.”
Daher bleiben wir auch in Zukunft führender Anbieter im Zahlungsverkehr.
Denken Sie, dass bis auf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die ihren Zahlungsverkehr im Prinzip bereits ausgelagert haben, alle Banken einen solchen Schritt nachvollziehen werden?
Stefan Wloch:
Nun, spannender ist aus meiner Sicht die Frage, ob es auf europäischer Ebene eine Konsolidierung bei den Zahlungsverkehrsabwicklern geben wird.”
Herr Birkel, Herr Wloch – vielen Dank für das Interview.Rudolf Linsenbarth
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