Das Organisationshandbuch: Stiefkind der Banken-IT
Wenn es um IT-Systeme für Banken geht, fallen häufig Schlagworte wie eine integrierte Finanz-Architektur, digitale Abläufe oder FinTechs, mit denen die Institute kooperieren wollen, um das Kundenerlebnis zu verbessern. Eine aktuelle Studie von Roland Berger zeigt etwa, dass FinTechs umgekehrt auch sehr gerne mit der etablierten Finanz-„Old Economy“ zusammenarbeiten. 86 Prozent der vermeintlichen Bankenkiller setzen auf Kooperationen mit den Branchenführern. Doch einheitliche Methoden und Standards fehlen oft. Viele Banken sind gar nicht anschlussfähig an das, was die potenziellen Partner am Markt anbieten.
von Ralf Heydebreck, Procedera Consult
Technische Probleme allein führen vergleichsweise selten dazu, dass eine Bank darauf verzichtet, mit einem externen Partner zusammenzuarbeiten. Vielmehr spielen organisatorische Gründe oft die entscheidende Rolle dabei.54 Prozent der Fach- und Führungskräfte deutscher Banken bemängeln beispielsweise, dass nicht dokumentiert ist, welche IT-Anwendungen für bestimmte Abläufe notwendig sind.”
Das gesetzlich vorgeschriebene Organisationshandbuch gibt diese Information nicht oder allenfalls unvollständig her. Folglich steigt der Aufwand, um überhaupt zu ermitteln, wie sich ein Outsourcing- oder Digitalisierungsprojekt auf das Prozessmodell der Bank auswirkt. In gut zwei von drei Fällen sind die Anweisungen zudem textlich ausformuliert. In anderen Worten: Veränderte Abläufe führen schlimmstenfalls dazu, dass die Mitarbeiter zunächst teils gigantische Bleiwüsten umständlich durchkämmen müssen (siehe Abb.).
Veraltetes Organisationshandbuch versus aktuelle Regulierung
Diese lästige Aufgabe lässt sich zudem kaum vermeiden. Umso wichtiger ist es, einen leichten Zugang zu benötigten Informationen zu ermöglichen und auch bei vermeintlichen Pflichtübungen nicht darauf zu verzichten, benutzerfreundliche Lösungen zu schaffen. Je eher Banken das gewährleisten, desto leichter fallen von der Aufsicht geforderte Aktualisierungen im Prozessmodell. Die Institute sind etwa verpflichtet, bereits vor wesentlichen Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation sowie in den IT-Systemen die damit verbundenen Auswirkungen auf interne Kontrollverfahren zu analysieren (MaRisk AT 8.2).
Will ein Institut etwa gemeinsam mit einem FinTech einen digitalen Kontowechsel-Service einführen, müssen die mit den späteren Arbeitsabläufen betrauten Organisationseinheiten eingeschaltet werden und auch die wesentlichen Kontrollinstanzen, zu denen vor allem Risikocontrolling, Compliance und interne Revision gehören.”
Falls der Kooperationspartner auch nur Teile der IT-Infrastruktur stellt oder gar in bankfachliche Abläufe eingebunden ist, gilt das Projekt möglicherweise als Auslagerung, die mit besonderen aufsichtsrechtlichen Anforderungen einhergeht. Das Institut muss dabei prüfen, ob die ausgelagerten Aktivitäten und Prozesse unter Risikogesichtspunkten wesentlich sind oder nicht (MaRisk AT 9) und entsprechende Vorkehrungen treffen. Bei Verstößen sieht sich die Geschäftsleitung anderenfalls schnell mit strafrechtlichen Konsequenzen konfrontiert. Denn ein mangelhaftes Risikomanagement gefährdet möglicherweise den Bestand eines Instituts – und genau das will die Aufsicht vermeiden, damit sich Geschichten wie die Pleite einer systemrelevanten Bank nicht wiederholen und das Finanzsystem insgesamt gefährden.
Bedienkomfort immer wichtiger für das Organisationshandbuch
Das ideale Organisationshandbuch leistet daher zweierlei: es erfüllt sämtliche regulatorischen Vorgaben als unverzichtbare Grundvoraussetzung – und es bietet Anwendern sowohl auf Fach- wie auch Managementebene einen optimalen Überblick über alle unternehmerischen Abläufe sowie individuellen Zuständigkeiten, erforderlichen Dokumente und IT-Komponenten. Aktuell ist das noch längst nicht in allen Häusern umgesetzt. Elementare Basisfunktionen wie eine Suche oder eine nachvollziehbare Gliederungsstruktur weisen nur gut 60 Prozent der derzeit eingesetzten Systeme auf. Magere 31 Prozent verfügen über einen elektronischen Freigabe-Workflow. Änderungen und Anpassungen müssen also häufig händisch freigegeben und gesteuert werden (vgl. Abb. 2).
Viele Banken unterschätzen auch die Vorteile, die ein bequem zu bedienendes OHB-System nicht nur den eigenen Mitarbeiter bietet, sondern auch externen Prüfern. Ob BaFin oder Wirtschaftsprüfer – mit einem optimal gepflegten und möglichst intuitiv zu bedienenden OHB-System fallen Kontrollen und vor allem Plausibilitätsprüfungen deutlich leichter.Ein Instrument, um diesen Komfort bereits auf der ersten Anwendungsebene zu schaffen, ist eine Prozesslandkarte, die mit wenigen Klicks erlaubt, die wesentlichen Zusammenhänge einer Bank zu erfassen.”
Doch 82 Prozent der befragten Bankexperten geben an, dass genau dieser Service nicht zu Verfügung steht. Statt über eine Prozesslandkarte zu navigieren (vgl. Abb. unten), müssen sich Mitarbeiter und Prüfer benötigte Ablaufdaten auf Umwegen beschaffen. Ein Grund für dieses nicht eher zeitgemäße Vorgehen: ein historisch gewachsenes Organisationshandbuch, das bislang eher reinen Dokumentationscharakter aufwies und für die heute geforderte Art von Abfragen gar nicht ausgelegt war.
Fünf Kriterien für ein gutes Organisationshandbuch
Wollen die Institute mit der Zeit gehen, kommen sie um Investitionen in die OHB-Systeme nicht herum. Die aktuelle MaRisk-Novelle ist durchaus als Fingerzeig zu verstehen, Anweisungen künftig prozessorientiert darzustellen und das Organisationshandbuch dafür vorzubereiten, sämtliche Informationen für interne Abläufe direkt am Prozess zu verorten. In der Praxis haben sich OHB-Systeme bewährt, die fünf maßgeblichen Anforderungen genügen:
1. Ein modernes Organisationshandbuch ist vom Umfang gegenüber historisch gewachsenen Handbüchern deutlich reduziert und auf das Wesentliche konzentriert (entschlackt). 2. Das Organisationshandbuch enthält keine Redundanzen mehr und schildert ausschließlich Abläufe. Überflüssige Informationen wie etwa Begriffserläuterungen sind verschwunden. 3. Alle Informationen sind übersichtlich – in der Regel grafisch – dargestellt und lassen sich von jedem Arbeitsplatzrechner im Unternehmen abrufen. 4. Eine zentral verantwortliche Abteilung kümmert sich um methodische und redaktionelle Kriterien wie richtige Notation oder Modellierungskonventionen und stößt notwendige Aktualisierungen an. Die Fachbereiche dagegen verantworten inhaltliche Vollständigkeit, Korrektheit und Aktualität. Beides dient einer einheitlichen Pflege des OHB-Systems. 5. Das Organisationshandbuch liegt elektronisch vor und ist in eine leistungsfähige IT-Infrastruktur eingebunden (OHB-System).Große Software-Hersteller und Anbieter von Verbandslösungen haben diesen Trend bereits erkannt und implementieren zunehmend Funktionalitäten, die aus bereits etablierten BPM-Werkzeugen (Business Process Management) bereits bekannt sind. Diese Systeme ermöglichen, alle innerhalb der Bank ablaufenden Prozesse nach bewährten Standards wie etwa BPMN 2.0 (Business Process Model and Notation) zu modellieren. Dazu gehört beispielsweise die Unterscheidung beteiligter Rollen von einem Prozessbeteiligten bis hin zu Prozessverantwortlichen. Alle Informationen hängen am Prozess und gehen von ihm aus. Deshalb ist die Prozesslandkarte eine unverzichtbare Navigationshilfe, um sich etwa bei einem Arbeitsplatzwechsel schnell ein Bild vom neuen Aufgabenspektrum zu machen oder Ansprechpartner im Unternehmen ausfindig zu machen. Damit adressieren die Hersteller inzwischen Anforderungen, bei dessen Umsetzung sich die Banken vielfach noch schwer tun (vgl. Abb. 4).
Der Software-Markt bietet reichlich Hilfsmittel
Nicht nur müssen die Institute einen methodischen Kulturwandel einleiten – weg vom Silodenken, hin zu abteilungsübergreifenden Abläufen, die ausgehend vom Kunden gedacht werden. Damit fängt die End-to-End-Betrachtung bereits im administrativen Herzen der Banken an: der Bankorganisation und im Anweisungswesen.
Die Hersteller haben inzwischen einige weitere Fußangeln weitgehend behoben, die eine reine BPM-Lösung für Organisationsthemen bislang erschwerten. BPM-Tools wiesen nur selten Workflows auf und konnten häufig weder revisionssicher speichern noch archivieren. Das hat regelmäßig ein zusätzliches System erforderlich gemacht, verbunden mit höheren Kosten und höheren Aufwänden, wenn es darum ging, das OHB zu pflegen. Prozessbilder in bestehende Arbeitsanweisungen via Content Management System (CMS) oder Dokumenten-Managementsystem (DMS) einzubetten, hat sich als eine von mehreren Hilfslösungen vielfach etabliert. Ebenso gängig: ein Tandem aus CMS-System für die textlichen Inhalte und ein Prozessportal, das die Abläufe darstellt. In diesem Fall muss abgewogen werden, welches System welche Funktionalitäten bereitzustellen hat, wie die Rechtevergabe systemübergreifend organisiert ist und wie sich Inhalte über beide Systeme hinweg suchen und finden lassen. Der Trend geht zu einem einzigen Tool, das alle Funktionen vereint.
OHB- und BPM-Software miteinander verheiraten
IT-architektonische Überlegungen lassen manchmal jedoch kein zentrales Prozessportal zu, so dass doch mehrere Anwendungen miteinander kombiniert werden müssen. Neben den erwähnten, eher anwendungstechnischen Fragestellungen ergeben sich zwei zentrale Kriterien, damit BPM- und OHB-System optimal zusammenfinden: Freigabe-Workflow und Portalfunktion. Das Projektteam muss entscheiden, welche Software die führende Anwendung sein soll. So bieten üblicherweise sowohl OHB- als auch BPM-Software einen Freigabe-Workflow an. Aus funktionaler Sicht ist daher die Entscheidung zu treffen, welche der Komponenten den Freigabe-Workflow stellen soll. Dieses Zusammenspiel ist erfolgsentscheidend, da ohne einen harmonisierten Freigabe-Workflow die aufsichtsrechtlich geforderte Regelungskonformität gefährdet ist. Aus diesem Grund empfiehlt Procedera, bei einem OHB-Projekt besonderes Augenmerk auf einen detailliert durchdachten und IT-seitig bestmöglich unterstützten Freigabe-Workflow zu legen.
Darüber hinaus gilt als zweites wichtiges Erfolgskriterium die Portalfähigkeit mindestens eines der beteiligten Tools. Denn nur so lassen sich die OHB-Inhalte wie vom Gesetzgeber gefordert über eine zentrale und vor allem einheitlich gepflegte Plattform veröffentlichen. Ohne ein solches Portal erzielt das OHB-Projekt erfahrungsgemäß nicht den gewünschten Effekt – weder im regulatorischen Sinne noch im Sinne der späteren Anwender.aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/41459
Schreiben Sie einen Kommentar