Digital Leadership – Finanzindustrie sehr gut positioniert, aber mit Nachholbedarf bei Kennzahlen zur Digitalisierung
Wenn es um die Frage nach digitalen Kompetenzen und der zugehörigen Verantwortung in den Führungsetagen geht, dann sind die DAX40-Unternehmen aus der Finanzbranche ganz vorne zu finden. Umso erstaunlicher, dass bei der Berichterstattung von Kennzahlen zur Digitalisierung im Bestands- und Innovationsgeschäft aber die Vertreter anderer Branchen mehr zu bieten haben. Das sind zentrale Ergebnisse zur Finanzindustrie aus dem aktuellen DAX Digital Monitor (Website), der von der FOM Hochschule und der Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit der QCI Corporation erstellt wurde.
von Prof. Dr. Dirk Stein, Professor FOM Hochschule und Prof. Dr. Tobias Kollmann, Universität Duisburg-Essen
Der “DAX Digital Monitor” untersucht auch in seiner vierten Ausgabe die Geschäftsberichte der DAX40-Unternehmen in Deutschland und analysiert dabei die berichteten Maßnahmen zur „Digitalisierung“, den Umfang und die Einheitlichkeit der Berichterstattung zur „Digitalisierung“ sowie die Verankerung eines Digital Leadership mit den zugehörigen Digitalkompetenzen auf der Top-Führungsebene. Auch die nicht-finanzielle Berichterstattung wird in diese Analyse mit einbezogen. Ein zusätzlicher Schwerpunkt in diesem Jahr waren die Darstellungen zur Corporate Digital Responsibility (CDR) und dem Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI).Vorweg: Banken und Versicherer haben einen Nachholbedarf bei der Corporate Digital Responsibility (CDR) und auch der Künstlichen Intelligenz (KI). Beides steckt noch in den Kinderschuhen.”
Finanzindustrie beim Digital Leadership ganz vorne dabei
Ein erster Blick auf die Aspekte „Digitalisierungsverantwortung und -kompetenz auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene“ sowie der „Digitalisierung als Vergütungskomponente auf Vorstandsebene“ zeigt, dass die DAX-Unternehmen der Finanzindustrie hier ganz vorne zu finden sind.
Sowohl Allianz, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Hannover Rück als auch Münchener Rück erfüllen weitgehend alle Kriterien, die für ein zugehöriges Digital Leadership herangezogen wurden.”
Es gibt zunächst eine feste Zuordnung des Themenfeldes Digitalisierung zu einem Vorstandsmitglied. Jedoch nur als Doppelfunktion mit einer weiteren Aufgabe (z.B. CEO oder CTO). Einen eigenständigen Digitalchef leistet sich kein Unternehmen aus dieser Gruppe. Das ist umso erstaunlicher, als das gerade die Finanzindustrie von der Digitalisierung besonders betroffen ist.
Auch in den jeweiligen Aufsichtsräten scheint es Mitglieder mit einer entsprechenden Digitalkompetenz zu geben. Doch hier ist Vorsicht geboten: Was auf dem Papier der Geschäftsberichte in der entsprechenden Skill-Matrix gut aussieht, muss nicht unbedingt einer Überprüfung Stand halten. Denn die zugehörige Empfehlung des Corporate Governance Kodex ist es, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder in einer Selbstbewertung bestimmte Kompetenzfelder zuordnen können.
Diese aktuelle Vorgehensweise öffnet natürlich Tür und Tor für ein sog. Digital Washing, bei dem die eigenen Kompetenzen einen „digitalen Anstrich“ bekommen. Ob diese Selbsteinschätzung wirklich objektiv messbaren Kriterien entsprechen und wie die im Falle der Digitalisierung überhaupt aussehen könnten, bleibt zunächst offen.”
Es wird auch den DAX-Unternehmen der Finanzbranche dringend empfohlen, hier nochmals selbstkritisch die digitalen Kompetenzen im Aufsichtsrat zu reflektieren.
Finanzindustrie bei Kennzahlen zur Digitalisierung eher unauffällig
Das Themenfeld „Kennzahlen zur Digitalisierung“ wurde erstmals in der Vorjahresstudie mit aufgenommen, da die DAX40-Unternehmen begonnen hatten, Ergebniskennzahlen zu ihrer Digitalisierung bzw. digitalen Transformation zu berichten. Die berichteten Kennzahlen untermauern und belegen dabei die Anstrengungen der DAX40-Unternehmen in ihre digitale Transformation. Das erzeugt aus Kunden- und insbesondere aus Investorensicht Vertrauen in die Absicht der zukunftsgerechten Unternehmensgestaltung durch die Unternehmensführung. Aber: Genauso wie es unzählige Ansätze zur digitalen Transformation gibt, existieren auch unzählige Möglichkeiten Kennzahlen zur Digitalisierung zu berichten.
Prof. Dr. Dirk Stein ist Professor an der FOM Hochschule und forscht am Institute for Strategic Finance zu den Themengebieten Digitale Transformation und Digital Entrepreneurship.
Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und vermittelt hier Grund- und Gründungswissen für die digitale Wirtschaft.
BASF berichtet zum Beispiel über die „Anzahl erreichter Kunden über digitale Angebote“, Beiersdorf über das „Wachstum des E-Commerce-Geschäfts“ oder Brenntag über den „Beitrag der Digitalisierung zum operativen EBITA“. Derartige Hinweise findet man bei den DAX-Unternehmen der Finanzbranche kaum.
Allianz berichtet, dass das Potenzial der Digitalisierung zum Ergebnisbeitrag intern zwar diskutiert wird, jedoch werden in der Geschäftsberichterstattung dazu keine konkreten Erfolgskennzahlen berichtet.”
Jetzt könnte man unterstellen, dass diese Unternehmen eine gesonderte Ausweisung deswegen unterlassen, weil ihr Geschäft schon durch und durch digital ist. Dennoch: Kennzahlen sind eine wichtige Verpflichtung für die digitale Transformation und verhindern ein bloßes Lippenbekenntnis der Unternehmensführung in diesem Bereich. Vielleicht ist es gerade die Finanzbranche, die mit gutem Beispiel vorangehen sollte und ein einheitliches KPI-System für die Digitalisierung mit einer Vergleichbarkeit der berichteten Maßnahmen für die Aktionäre entwickeln sollte.
Finanzindustrie bei Künstlicher Intelligenz noch zurückhaltend
Das Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) wird in der aktuellen Geschäftsberichterstattung über alle DAX40-Unternehmen hinweg nur an insgesamt 205 Textstellen verwendet.”
Das deutet darauf hin, dass sich das Thema KI bei vielen DAX40-Unternehmen noch im Anfangsstadium befindet. Das gilt auch für die Vertreter der Finanzbranche. Während z.B. Porsche von einer „KI als wesentlicher Faktor für den Geschäftserfolg“ ausgeht, wissen Allianz, Commerzbank, Deutsche Bank & Co. noch nicht genau, wohin die Reise in diesem Bereich geht. Sie erwähnen die allgemeine Künstliche Intelligenz in der Geschäftsberichterstattung sehr zurückhaltend.
Die Deutsche Bank berichtet im KI-Kontext, dass dadurch die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle von Banken in Frage steht. Die Münchner Rück berichtet immerhin von einem konkreten KI-Anwendungsfall zur Vorhersage von Klimakatastrophen für das Versicherungsgeschäft. Auch das weiterführende Thema einer „Generative Artificial Intelligence“, ausgelöst von ChatGPT, findet in keinem Geschäftsbericht der DAX-Unternehmen der Finanzbranche eine Berücksichtigung.
Die DAX-Unternehmen wurden von dieser Entwicklung sprichwörtlich überrollt und im Jahr 2024 wird das in den Geschäftsberichten vermutlich deutlich anders aussehen, denn die Erwartungen an den geschäftlichen Nutzen von KI sind enorm.”
Finanzindustrie mit Nachholbedarf bei Corporate Digital Responsibility
Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Bedeutung der Künstlichen Intelligenz wird auch die Corporate Digital Responsibility (CDR) für die DAX-Unternehmen in Zukunft eine zunehmende Bedeutung bekommen. Warum? Weil die Verantwortung für die, auch und insbesondere bei der KI, eingesetzten Daten eine neue Bedeutung bekommen wird, und dies unmittelbar auf das Vertrauen bei Geschäftspartnern und Kunden im Umgang mit ihren Daten durchschlagen wird.
Als Vorreiter in Sachen CDR kann die Telekom genannt werden, die sich seit 2017 mit diesem Thema beschäftigt und CDR dem Sustainable Development Goal 9 (SDG 9) zuordnet.”
Die Telekom und Zalando veröffentlichen zudem jährlich einen eigenständigen CDR-Bericht. Porsche hat zudem in der Geschäftsberichterstattung 2022 bestätigt, dass CDR integraler Bestandteil der Porsche Strategie 2030 ist. Und bei den Vertretern der Finanzindustrie? Fehlanzeige!
Das heißt wiederum nicht, dass das Thema Datenverantwortung und Digitalisierungs- bzw. Datenethik überhaupt keine Rolle in der Geschäftsberichterstattung der Finanzindustrie spielt. Es ist jedoch aus Stake- und Shareholdersicht nicht transparent, welche Kriterien und Normen den individuellen Maßnahmen der Unternehmen unterliegen.
Die Münchener Rück berichtet in diesem Kontext wie folgt: „…ethische Digitalisierung zu einem integralen Bestandteil der Geschäftsstrategie gemacht und…“ Das folgt dem Beispiel Porsche, jedoch fehlt hier im Vergleich zu Porsche noch die Bezugnahme zu einer diesbezüglichen CDR-Norm, wie beispielsweise der CDR-Kodex der CDR-Initiative.
Es wäre aber hilfreich, wenn sich auch die DAX-Unternehmen der Finanzindustrie freiwillig einer CDR-Initiative anschließen würden, damit sich ein klarer Kriterienkatalog für die Berichterstattung herausbildet. Gelingt dies nicht, so muss der Gesetzgeber aktiv werden, denn digitale Ethik und Verantwortung werden und müssen ein fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur werden.”
Die vollständige Studie kann hier heruntergeladen werden.Prof. Dr. Dirk Stein und Prof. Dr. Tobias Kollmann
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