Europa vereint Trends – zwischen Alipay & Apple Pay; Interview mit Christiane Neumüller, SIA
SIA betreibt technische Infrastrukturlösungen und Dienstleistungen für Finanzinstitute und Zentralbanken in Europa – und tritt jetzt verstärkt in Deutschland an. Wir haben die Informatikerin mit jahrzehntelanger Bankerfahrung, Christiane Neumüller (Country Manager Germany), zu den Plänen von SIA in Deutschland und ihrer Einschätzung zu FinTechs, der PSD2 und der Rolle Europas im internationalen Zahlungsverkehr befragt.
Frau Neumüller, Apple & Google Pay zeigen, dass mobiles Bezahlen beliebt ist. Wie sieht die Zukunft des Bezahlens aus, auch vor dem Hintergrund von Instant Payments?
Mit der Einführung von Apple Pay, Samsung Pay und Google Pay auf dem europäischen Markt ist die Akzeptanz von mobilen Zahlungen gestiegen, vor allem hat es dem kontaktlosen Bezahlen noch einmal Auftrieb verliehen. Dies ist unter anderem auf die bereits weit verbreitete Nutzung von kontaktlosen Kartenzahlungen zurückzuführen. Es gehört auch immer mehr zum Alltag, mit dem Handy zu bezahlen. Zudem stehen den Kunden zusätzliche Services zur Verfügung und OTT-Player wie z.B. ApplePay haben die Benutzerfreundlichkeit weiter verbessert.Neben dem mobilen Zahlen könnten aber auch Instant Payments in Europa eine wichtige neue Zahlungsmethode im Einzelhandel werden. Seit November 2017 können Instant Payments über die von uns entwickelte Plattform RT1 genutzt werden. Ein Jahr später ebnete auch die Europäische Zentralbank mit TIPS den Weg für Instant Payments.
Der sofortige europaweite Geldtransfer reicht jedoch nicht aus, um ein voll funktionsfähiges Massenzahlungssystem zur Verfügung zu stellen. Um das zu erreichen, muss die Abwicklung zwischen dem Zahler und dem Zahlungsempfänger vereinfacht und standardisiert werden.”
Der Zahler muss die Möglichkeit haben, die relevanten Daten des Zahlungsempfängers über einen QR-Code oder via NFC zu erfassen und umgehend via Instant Payment zahlen zu können.
Daher ist ein zusätzlicher Standardisierungsprozess erforderlich, der bereits unter der Leitung des European Payments Council gestartet wurde. Nur so kann ein kontenbasiertes paneuropäisches Massenzahlungssystem geschaffen werden, welches eine Alternative zu Karten sein kann und die Einführung der neuen SEPA-Instant-Payment-Infrastruktur weiter vorantreibt.
Das Zahlungsökosystem wird sich weiterentwickeln – nehmen wir China (Alipay etc.) vs. USA (Apple, Google, PayPal). Und was macht Europa?
Für mobile Zahlungen gibt es derzeit zwei verschiedene Modelle: das westliche und das fernöstliche Modell. Das westliche basiert auf Karten, die über OTT-Player genutzt werden. Das fernöstliche Modell hingegen ist nicht kartenbasiert und beruht auf den beiden Hauptakteuren Alipay und WeChat. Die beiden Modelle besitzen unterschiedliche Geschäftsmodelle und ihnen liegen unterschiedliche Technologien zugrunde.
Europa vereint beide Trends.”
Könnte ein drittes System eine Chance haben?
Wir meinen, ja. Denn Europa hat eine Infrastruktur für Instant Payments im SEPA-Raum entwickelt, die ein wichtiger Meilenstein für den Aufbau eines neuen mobilen Zahlungssystems sein kann.
Darüber hinaus könnte die PSD2-Richtlinie mit dem Open-Banking-Ansatz den Zugang neuer Akteure zur Zahlungsindustrie erleichtern, welche somit in der Lage sind, Kunden zu sammeln und auf das Bankkonto verschiedener ASPSPs zuzugreifen.”
Neumüller begann ihre Karriere als IT-Analystin und Software-Entwicklerin beim Pharma Rechenzentrum. Danach war sie unter anderem bei der Sparda Datenverarbeitung eG als Business Consultant und als Leiterin der Anwendungsentwicklung für SB-Technologie tätig. 2001 wechselte Neumüller zur HypoVereinsbank, wo sie bis Mitte 2003 als Leiterin der Self-Service Solution Einheit beschäftigt war. Danach folgten drei Jahre als Senior Project Manager und Multi Project Manager bei der HVB Systems GmbH, bevor sie Ende 2006 Head of Payments bei UniCredit Business Integrated Solutions S.C.p.A. wurde. In dieser Position war Neumüller unter anderem für den reibungslosen Betrieb und die Weiterentwicklung von lokalen Zahlungsverkehrslösungen in Deutschland, die Gruppen Zahlungsverkehrengine in Österreich und Italien, das SEPA Programm, SWIFT, die Cashpooling-Lösungen für Deutschland sowie individuelle Anbindungen für Global Transaktion Banking verantwortlich. Seit Mitte 2014 war Neumüller Head of Cards Application Management Germany und trug die Verantwortung für den Betrieb von Debit- und Kreditkarten, Selbstbedienungsgeräten wie beispielsweise Geldautomaten oder Kontoauszugsdruckern, die Bargeldverwaltung sowie die Autorisierung und Kryptografie. Ab 2017 übernahm Neumüller als Branch Managerin den Aufbau der SIA Tochter P4Cards S.r.l., einer hundertprozentigen SIA-Tochter, in Deutschland.
In den vergangenen Jahren sind mehrere neue P2P- und P2B-Lösungen auf den Markt gekommen, die inzwischen stark fragmentiert sind. Wir rechnen daher mit einer Konsolidierungsphase, bei der Interoperabilität der wichtigste Faktor sein könnte, um einen echten paneuropäischen Zahlungsdienst zu erreichen.
Worin besteht der Unterschied zwischen den Heimatmärkten von SIA, insbesondere zwischen Italien und Deutschland?
Die beiden Märkte weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Zum einen wird in beiden Märkten viel Bargeld genutzt – 80 Prozent in Deutschland und 86 Prozent in Italien. Das macht sie für die Entwicklung des elektronischen Zahlungsverkehrs besonders interessant.”
Zudem gibt es in beiden Ländern ein etabliertes und sehr beliebtes Zahlungsinstrument, die nationale Debitcard wie z. B. die Girocard, dessen Volumen im Jahresvergleich zunimmt und das langfristig Innovationen zur Wachstumsförderung, insbesondere im Bereich des mobilen Zahlungsverkehrs, vorsieht.
Erwähnenswert ist ein Beispiel aus Italien, in dem SIA die Digitalisierung des italienischen Systems BANCOMAT mit dem Roll-out von BANCOMAT Pay vorangetrieben hat. Mit dem neuen Service können die Karteninhaber von PagoBancomat Geld überweisen, in Geschäften und online bezahlen, sowie via Smartphone Zahlungen an zentrale und lokale Behörden veranlassen. Allerdings gibt es auch einige Unterschiede zwischen den beiden Ländern. So zum Beispiel bei der Verwendung von Kreditkarten, die in Italien im Vergleich zu Deutschland viel häufiger verwendet werden. Ein weiteres Beispiel sind die bevorzugten Zahlungsmethoden beim Onlineshopping: Während die Italiener gerne eine Karte, oft auch Prepaid-Karten, nutzen, wählen die Deutschen meist den Kauf auf Rechnung, wenn dies möglich ist, was meist eine Überweisung erforderlich macht.
Welche Rolle spielt PSD2?
PSD2 wird zweifellos eine wichtige Rolle bei der Einführung des Open Banking spielen, d. h. der Möglichkeit für FinTechs, als Drittanbieter von Zahlungsdiensten direkt im Namen der Verbraucher auf Girokonten zuzugreifen. Wir gehen davon aus, dass sich dank der beiden durch die Richtlinie eröffneten Dienstleistungen, dem Kontoinformationsdienst und dem Zahlungsauslösedienst, neue Produkte für die Kunden entwickeln werden.
Mit dem Kontoinformationsdienst können FinTechs eine aggregierte Ansicht der Position aller laufenden Konten eines Kunden aufstellen. Der Zahlungsauslösedienst wird es Drittanbietern ermöglichen, flexibel Zahlungsmöglichkeiten auf Basis des Girokontos des Kunden anzubieten, die vollständig mit den E-Commerce-Plattformen der Händler verknüpft sind.
SIA plant, basierend auf diesen beiden Bausteinen für die Kunden viele weitere attraktive neue Dienstleistungen zu entwickeln. Neue Funktionalitäten werden dadurch Einzug halten in diesen etablierten Kontoinformations- und Zahlungsauslösediensten.
PSD2 und Open Banking werden also als Katalysator für Innovationen dienen, von denen alle Marktteilnehmer profitieren – vor allem aber der Endkunde, da er neue benutzerfreundliche Services nutzen kann.”
Sie sehen also einen Markt – und welche Angebote hat SIA?
Wir stufen den Markt als sehr vielsprechend ein. Während einerseits ein kontinuierliches Wachstum bei „traditionellen Zahlungsmitteln“ wie insbesondere Karten verbucht werden kann, florieren gleichzeitig neu entstehende Zahlungsmöglichkeiten, wie etwa Mobile Payment.
Um dieses Wachstum zu begleiten, benötigt die Branche Technologieunternehmen wie SIA, die über nachweisbare Erfolge bei der sicheren und effizienten Abwicklung im Massenzahlungsverkehr verfügt.
Wir konzentrieren uns u.a. auf den mobilen Zahlungsverkehr auf Basis unserer Jiffy-Technologie. Mit den dafür entwickelten Anwendungsfällen ermöglichen wir den Verbrauchern mit Bancomat Pay, ihre Einkäufe einfach mit dem Smartphone sowohl in Geschäften als auch im Internet zu bezahlen.
Instant Payments und Open Banking sind ebenfalls ein wichtiger Entwicklungsbereich, in dem wir unsere Zahlungsverkehr-Lösungspalette EasyWay erweitern. Blockchain, das zur Entwicklung innovativer Anwendungen auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie in einer autorisierten Umgebung gedacht ist, ist ein ebenfalls schnell wachsendes Segment, das von unserer Infrastruktur SIAchain profitieren kann.
Als führender Technologieanbieter im Bereich der Netzdienstleistungen haben wir uns verpflichtet, die Konnektivität zu allen Infrastrukturdiensten des Eurosystems über ESMIG anzubieten: Das Infrastruktur-Gateway des Eurosystems ist in der Tat ein entscheidender Durchbruch für Europa, wenn es um den Zugang zu TARGET2, T2S und TIPS sowie zum Collateral Management System geht. Durch kontinuierliche Forschung und Entwicklung in diesen Bereichen unterstützen wir den Markt, um die Vorteile neuer Technologien zu nutzen.
Besonders für die Banken: Wäre es nicht sinnvoll, wenn auch die Banken eine gemeinsame Infrastruktur für den Zahlungsverkehr (P2P, etc.) nutzen würden?
Wenn wir über Zahlungsinfrastrukturen sprechen, insbesondere im P2P- und B2C-Bereich, müssen wir zwischen zwei Aspekten unterscheiden: Der erste Aspekt ist die Interbanken-Clearing- und Settlement-Infrastruktur. Der zweite ist der Dialog zwischen Kunde und Händler am Point of Interaction, um eine Zahlung anzustoßen.
Auf europäischer Ebene gibt es eine gemeinsame Clearing- und Settlement-Infrastruktur, die vor mehr als zehn Jahren mit der Umsetzung der SEPA-Überweisung und der SEPA-Lastschrift geschaffen wurde. Erst kürzlich wurde diese mit der Implementierung der SEPA Credit Transfer Inst. vervollständigt.
BANCOMAT Pay, mit der von SIA bereitgestellten Jiffy-Technologie, ist die einzige Initiative, die sowohl SCT als auch SCT Inst zur Zahlungsabwicklung einsetzt.
Beim Dialog zwischen Kunde und Händler fehlen derzeit die einheitlichen Standards am Point of Interaction, was die Entwicklung passender Lösungen behindert. Der Schlüssel hierfür ist Interoperabilität und die verschiedenen Initiativen müssen kompatibel werden. Nur dann können Kunden ihr Geld jederzeit, überall, einfach und sicher einsetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützt und beteiligt sich SIA an den am Markt aktiven Standardisierungs-initiativen, wie der European Cards Stakeholders Group, der Berlin Group und nexo.
Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung des Marktes, insbesondere in Deutschland, und wir haben klar erkannt, dass es notwendig ist, das Banken sich auf die Kundenbedürfnisse konzentrieren, um einen einfachen und unkomplizierten Weg für eine „reibungslose Zahlung” zu ermöglichen.”
Banken müssen ihre Rolle als Bank wieder stärken und einen Weg finden, das „technische Standardgeschäft“ Technologieanbietern zu überlassen, Entwicklungskosten, Investitionen und organisatorische Auswirkungen zu minimieren und Markteinführungen zu beschleunigen. Das heißt: Aus unserer Sicht ist es notwendig, eine gemeinsame Infrastruktur zu nutzen und Standardverarbeitungen auszulagern.
Wie sehen sie und SIA die FinTech-Szene?
Den Ergebnissen von CB Insights zufolge haben Venture Capitals, die europäische FinTechs unterstützen, im Jahr 2018 mehr als acht Milliarden Euro eingenommen. Das entspricht knapp 40 Prozent mehr als noch 2017 und einer Verachtfachung gegenüber 2004. Es ist also alles andere als ein Hype. Als ein europäischer Marktführer für Innovationen im Bereich des digitalen Zahlungsverkehrs, warten wir bei SIA nicht einfach ab, sondern gehen proaktiv mit der FinTech-Branche um und sehen FinTechs nicht als eine Bedrohung, sondern vielmehr als eine Chance, die wir aktiv und uneingeschränkt nutzen sollten.
Einer aktuellen Umfrage des italienischen Bankenverbandes zufolge arbeiten über 60 Prozent der heimischen Banken aktiv mit FinTechs zusammen, um neue Dienstleistungen zu entwickeln. In FinTech-Unternehmen findet man viele gute oder gar brillante Ideen und fundiertes Know-how im Bereich der digitalen Technologien.”
Drei Faktoren bremsen aber typischerweise ihr Wachstum: mangelnde finanzielle Ressourcen, die Unterschätzung von Regulierungs- und Compliance-Anforderungen, sowie Schwierigkeiten beim Zugang zum Markt. Bei zwei der drei Faktoren können wir als SIA FinTechs definitiv helfen.
Aus regulatorischer und Compliance-Sicht können wir unsere sehr guten Erfahrungswerte und die Ergebnisse einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden teilen. Was den Go-to-Market-Aspekt betrifft, so können wir eine hochmoderne, europaweite Infrastruktur bereitstellen, um die Sicherheits- und Betriebskontinuitätsanforderungen zu gewährleisten, die für Finanzanwendungen erforderlich sind und bei der die Produkte von FinTechs dank einer offenen API-Architektur leicht integriert werden können. Darüber hinaus können die Synergien mit unserem Dienstleistungsportfolio, unserem Kundenstamm und Vertrieb ein wichtiger Wachstumstreiber sein. Wir arbeiten aktiv mit einer Reihe ausgewählter Unternehmen zusammen, um einen geeigneten Partnerschaftsrahmen zu definieren und Ideen in eine Marktchance.
Frau Neumüller, vielen herzlichen Dank für das Interview.aj
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