Gräben überwinden: Gewollte Redundanz befriedet IT mit dem Fachbereich und erhöht die Produktivität
Die Schnittstelle zwischen Fachbereichen und IT/ORG in den Banken wird immer wieder umorganisiert und funktioniert nur selten zur Zufriedenheit der Beteiligten. Hier ist eine neue Philosophie in der Zusammenarbeit gefragt, um bestehende Denkhürden zu überwinden. Überlappende Verantwortungen und Instrumente aus der agilen Softwareentwicklung stehen zwar weitgehend klassischen Organisationstheorien entgegen, können aber dazu beitragen, bessere Lösungen für beide Seiten mit höherer Produktivität zu entwickeln und mittelfristig eine Mobilisierung zu der Organisation erreichen.
von Hauke Hinderlich und Stephan Nasterlack, Eurogroup Consulting
Im Laufe der Jahre hat es in Finanzinstituten immer wieder Umstrukturierungen an der Schnittstelle zwischen Fachbereichen und IT/ORG gegeben. Business-Analysten der Fachbereiche wurden komplett in die IT/ORG verlagert „um die Fachseite besser zu verstehen“. Umgekehrt wurden Fachbereichsbetreuer der IT in die Fachbereiche verlagert, um dort die IT/ORG-Seite „mitzudenken“. Dazu kommt, dass die Fachbereichsseite an der Schnittstelle zur IT/ORG sehr heterogen aufgestellt ist. Häufig gibt es den Business-Analysten und IT-Koordinator nebeneinander oder Einheiten ganz ohne entsprechende Funktion. Auch der Stellenwert ist unterschiedlich. Entweder wird die Funktion bis zur soliden Abteilungsstärke aufgebaut oder kleingehalten und mit nur einem Mitarbeiter besetzt. Diese Historie führt zu einer Vielzahl gegenseitiger Vorwürfe.Vorwürfe der IT/ORG:
Heterogen aufgestellte Fachbereiche an der Schnittstelle zur ITFachvorgaben geben große Teile der technischen Umsetzung bereits vor oder sind zu generisch gehalten
Mangelndes Verständnis von Kostenimplikationen gewünschter Lösungen
Vorwürfe der Fachbereiche:
Verzögerung oder Verteuerung der SoftwareentwicklungVerständnis der IT/ORG für die Fachlichkeit ist nicht ausreichend gegeben
Zu viele und häufig wechselnde Ansprechpartner auf Seiten der IT/ORG
Zusammenarbeitsmodell – so lassen sich „Gräben“ überwinden
Um wettbewerbsfähig zu sein, sind die Banken gefordert, diese Grabenkämpfe abzustellen und dauerhaft genügend Intelligenz, Engagement und Motivation zu mobilisieren. Dabei geht es nicht um die rationelle Gestaltung von menschlicher Arbeit. Es geht um die bereichsübergreifende Zusammenarbeit von Menschen in komplexen Organisationen. Hierarchische Entscheidungsmodelle scheitern hier an der Komplexität. Sie unterdrücken eine Konfliktkultur und damit die Lösung des Problems. Schwachstellen sind die unwirtschaftliche Nutzung von Mitarbeiterqualifikationen sowie das dominante Führungsverhalten von Vorgesetzten. Sie verhindern das verantwortliche, subsidiäre Handeln der Mitarbeiter. In der Praxis lassen sich drei grundsätzliche Ausrichtungen der Beziehungsmodelle zwischen Fachbereichen und IT/ORG beobachten.
Das Dienstleister-Modell
Das Dienstleister-Modell zeichnet sich durch eine hohe Kundenorientierung und dezentrale Entscheidungskompetenz aus. Dadurch verbessert sich i.d.R. die Time-to-Market. Gleichzeitig steigt allerdings auch die Komplexität in der IT/ORG-Architektur. Zudem kann die IT-Organisation durch dezentrale Entscheidungsstrukturen stark an Einfluss in der Gestaltung der IT-Arbeit verlieren. In der Praxis zeigen sich in einer solchen Aufstellung nach Jahren der dezentralen „Silo-Optimierung“ häufig teure IT-Restrukturierungsprojekte zur Wiederherstellung einer klaren Gesamthaus-IT/ORG-Strategie.
Das Partnerschafts-Modell
Im Partnerschafts-Modell erhält man eine hohe Akzeptanz der entwickelten Lösungen unter Berücksichtigung individueller Stärken der Partner. Dafür dauern die notwendigen Entscheidungsprozesse etwas länger.
Das IT/ORG-Patriarchat
Das IT/ORG-Patriarchat setzt das Hauptaugenmerk auf ein striktes Kostenmanagement und architektonisch nachhaltige Lösungen. Die IT-Dominanz führt oftmals zu hoher Unzufriedenheit in den Fachbereichen. Zudem werden häufig Technologien zum Selbstzweck eingeführt und Marktchancen werden vernachlässigt, weil die Fachbereiche zu wenig Einfluss haben.
Die Projekt-Praxis bestätigt uns in der Forcierung des partnerschaftlichen Modells. Das Vorgehen ist aber nicht mit einer Art „Kuschelkurs“ gleichzusetzen. Ganz im Gegenteil: Klare Strukturen und Prozesse sowie das gegenseitige Verständnis ermöglichen die „produktive Reibung“, um die beste Gesamtlösung zu finden.
Partnerschaft bedeutet für alle relevanten IT/ORG-Entscheidungen, dass es im Unterschied zum Dienstleister-Modell und IT/ORG-Patriarchat keine autonomen Entscheidungen geben soll. Das bedeutet, die Kernentscheidungen zur Planung, Priorisierung und Implementierung der (Anwendungs-)Architektur werden gemeinsam verantwortet. Im Dissensfall wird eskaliert.
Die Umsetzung des Partnerschafts-Modells ist an zentrale Voraussetzungen geknüpft:
Gemeinsame Entscheidungen erfordern überlappende Kompetenzen bei den Partnern, um einen Dialog zu ermöglichen.IT/ORG und die Fachbereiche müssen in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Kompetenzen bereit zu stellen.
Prozesse sind möglichst schlank und unbürokratisch zu implementieren, um unnötige Ineffizienzen zu vermeiden.
Was heißt das in der Praxis?
Unserer Erfahrung nach haben stark tailoristische, an der Industrie ausgerichtete Prozesse an der Schnittstelle Fachbereich/IT in den Banken nur wenig Erfolg. Der Grund: Die Prozesse in den Banken und speziell bei der Entwicklung neuer Produkte oder entsprechender Anwendungen sind so komplex, dass man das jeweils beste verfügbare Know-how bündeln muss. Dazu kommen die in der Praxis eben nicht homogen aufgestellten Bereiche an der Schnittstelle. Das führt dazu, dass je nach Anforderung und Aufstellung mal der eine, mal der andere Bereich den Lead übernehmen kann und sollte.
Charakter des partnerschaftlichen Modells ist es, dass die IT/ORG auf Augenhöhe mit dem Fachbereich mögliche Lösungen erarbeiten kann. Und genau an dieser Stelle entstehen die Diskussionen um redundantes Wissen und mögliche Ressourceneinsparungen. Im Fokus steht dabei häufig der Fachbereichsbetreuer/Business Manager der IT/ORG. Vielfach wird er in der Rolle der „eierlegenden Wollmichsau“ aufgerieben zwischen seinen Aufgaben als Projektleiter, Portfoliosteuerer, Controller und Key Account Manager. Die Fachbereiche reagieren oftmals durch „Umgehen“ der Funktion und sprechen die Entwickler direkt an.
Der gelebte und organisierte Konflikt generiert kreative Energie
Hier hilft aus unserer Sicht nur der mittelfristige, geduldige Aufbau von entsprechender Fachkompetenz auf der IT/ORG-Seite und die Ausgestaltung flexibler Rollenmodelle. Das Ganze unterstützt durch eine leistungsfähige Governance, die strategische Vorgaben und Eskalationsentscheidungen sicherstellt. Denn Reibung zwischen Fachbereich und IT/ORG ist elementarer Bestandteil des partnerschaftlichen Modells. Vice versa muss der Fachbereich IT-Kompetenz sowie Prozess- und IT-Architekturkompetenz aufbauen. Das Partnerschaftsprinzip regelt die Zusammenarbeit der Verantwortlichen auf Augenhöhe. Das heißt, der Auftraggeber (Fachbereich) dominiert nicht die Lösungsentscheidung, sondern die weiteren Prozess- und Service-Verantwortlichen ringen gemeinsam und organisiert um die beste Lösung. Der gelebte und organisierte Konflikt generiert damit kreative Energie, die das Unternehmen weiterbringt.
Agilität und IT/ORG-Mobilisierung – Dynamisierung der Zusammenarbeit mit dem Fachbereichen in Projekten
Agile Methoden der Softwareentwicklung gewinnen auch im Bankbereich zunehmend an Bedeutung. Treiber ist die geforderte schnelle Reaktion auf Regulatorik und Marktveränderungen. Zudem entstehen in eigenverantwortlichen Teams, die nach Scrum oder anderen agilen Softwareentwicklungsmethoden arbeiten, zusätzliche Gruppendynamik und Kreativität. Viele Projekte zeigen, dass je nach Bank und Umfeld individuell geeignete Elemente aus diesem Baukasten hohen Nutzen stiften. Sie brechen die Nachteile verkrusteter Strukturen in der Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und IT/ORG auf und führen mittelfristig zu einer IT/ORG-Mobilisierung. Diese agilen Methoden verkörpern sehr stark den partnerschaftlichen, teamorientierten Charakter, um Problemstellungen in Projekten zu lösen.
Redundanz ist nicht immer negativ
Die Diskussion um einen möglichst klaren und überschneidungsfreien Zuschnitt von Rollen und Kompetenzen an der Schnittstelle zwischen Fachbereich und IT/ORG führt in die Irre. Denn die die Beteiligten ziehen sich so mittelfristig auf ihre Kompetenzen zurück. Die eigentlich notwendige Diskussion und das „Ringen“ um die beste Lösung ist damit nicht mehr möglich. Ziel muss es sein, eine Diskussion auf Augenhöhe zu ermöglichen. Dabei sollten Besonderheiten der Bereiche in die Überlegungen einbezogen und im Projekt-Setup berücksichtigt werden. Dazu zählen Organisationsstrukturen (z.B. eingespielte Teams), genutzte und geplante Anwendungen (z.B. Host vs. SAP-Einführung) sowie die Know-how-Verteilung bei Fachbereich oder IT/ORG.
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