FINTECH19. Februar 2018

ING Diba kauft Kredit-Startup Lendico: Warum der Deal ein Win-win für alle Beteiligten ist

Lendico-Website

ING Diba übernimmt den ur­sprüng­lich von den Samwer-Brüdern gegründeten Kreditmarktplatz Lendico. Die Übernahme von der Rocket-Internet-Gruppe wurde nach Informationen des Branchen-Newsletters Finanz-Szene.de in der vergangenen Woche beim Bundeskartellamt angemeldet und soll in den nächsten Tagen offiziell verkündet werden. Die Bank hat die Übernahmeabsicht jetzt in einer Meldung bestätigt. 

Dass sich die Rocket-Internet-Gruppe von diesem Startup trennt, kommt überraschend. Immerhin war es 2013 das erste größere FinTech-Engagement der Samwers – und das zu einem relativ frühen Zeitpunkt für die deutsche FinTech-Szene. Offenbar kam das Geschäft aber nie so in Gang, wie sich das die erfolgsverwöhnten Samwers gewünscht hätten. Auch wenn man in einigen Auslandsmärkten, beispielsweise in Polen, Südafrika und Brasilien, wo die Kreditwirtschaft nicht so festgefügt und besetzt ist wie hierzulande, an den Markt ging, entwickelte sich das Geschäft offenbar nicht wunschgemäß. Einige der Märkte wurden wieder fallengelassen – und nach Berechnungen von Finanz-Szene.de war auch insgesamt die Zahl der vermittelten Kredite eher gering (das Blog spricht von durchschnittlich zwei Krediten täglich). Wie aus einem Geschäftsbericht von Rocket Internet hervorgeht, mussten die Samwers zudem 2016 auf Lendico eine „Wertminderungsaufwendung“ in Höhe von 19,5 Millionen Euro vornehmen.

ING Diba könnte der bessere Partner sein, der das Geschäft in Schwung bringt

echoevg / Bigstock

Allerdings stehen die Chancen nicht schlecht, dass ING Diba es dennoch schafft, mit anderen Maßstäben ein zufriedenstellendes Geschäft zu realisieren. Denn die Samwer-Brüder gelten als zentralisiert denkend, wollen am liebsten Marketing und strategische Entscheidungen zentral ansiedeln und lediglich das operative Geschäft von Experten vor Ort erledigen lassen. So urteilte Marc Samwer in einem Gespräch mit dem Autor am Rande einer Digitalkonferenz im vergangenen Herbst: „Es ist effizient, so viel wie möglich zentral zu machen und nur beispielsweise Details in den jeweiligen Verträgen an die lokalen Gegebenheiten anzupassen.“ Zwar greift die Samwer-Gruppe jeweils auch über ein Führungsteam in den jeweiligen Regionalgesellschaften, das in aller Regel über das Wissen der Landeskultur und die nötigen Kontakte an dortige Universitäten und in die einheimische Startup-Szene verfügt. Es könnte aber gerade in diesem Fall sein, dass dieser pauschale Ansatz eben nicht passt und die ING Diba mit ihrer Banking-DNA und ihrem internationalen kreditspezifischen Know-how es eben doch besser versteht, das entsprechende Geschäft in Gang zu bringen.

Die Übernahme durch die ING Diba ist aus mehreren Gründen spannend: Zum einen signalisiert die Bank nach der Kooperation mit dem Robo-Advisor Scalable Capital und dem Versicherungsmakler Clark, dass man es mit der Reformierung des Bankgeschäfts unter Hinzuziehung verschiedener FinTech-Unternehmen ernst meint. Keine andere Bank hierzulande tut dies bisher so nachhaltig und konsequent mit externen Partnern der FinTech-Szene. Hinzu kommt, dass Lendico sich, anders als die meisten anderen Startups in diesem Bereich, auf Kredite im KMU-Bereich spezialisiert hat, so dass ING Diba damit ein weiteres Kundensegment abdeckt.

Wir sehen im Bereich digital SME sehr viel Wachstumspotenzial für uns. Mit dem Erwerb gewinnen wir die Zielgruppe der kleinen und mittleren Unternehmen hinzu. Wir sind überzeugt, dass Lendico mit seinem digitalen, sehr effizientem Geschäftsmodell unserer Unternehmensstrategie sehr gut entspricht und wir zusammen stärker wachsen können.“

Nick Jue, Vorstandsvorsitzender der ING-DiBa AG, Head of ING Germany, Austria & Czech Republic

Dass ING Diba einen solchen Schritt geht, überrascht also einerseits nicht: Schon bei der Bilanz-Pressekonferenz Anfang Februar hatte ING-Diba-Chef Nick Jue angedeutet, mit einem Online-Kredit-Angebot für kleine und mittelgroße Firmen an den Markt gehen zu wollen. Naheliegend wäre aber gewesen – und insofern ist der Schritt dann doch bemerkenswert, dass das Unternehmen die entsprechende Lösung selbst baut. Wenn ING Diba jetzt dieses Know-how einkauft, erkauft sich das Unternehmen vor allem eines: Zeit. Denn eine Eigenentwicklung würde laut Branchenkennern mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen und entsprechende IT-Ressourcen binden.

Strategisch sinnvoll: Aus Sicht von Rocket Internet kein Ende mit Schrecken

Wenn sich Rocket Internet von Beteiligungen nach einiger Zeit wieder trennt, ist das nichts Ungewöhnliches. Es ist eher die Regel als die Ausnahme – und aus Sicht eines Unternehmens, das wie Rocket davon lebt, Firmen groß zu machen und dann teuer zu verkaufen, auch nur vernünftig. Obwohl in diesem Fall zumindest bislang zum möglichen Kaufpreis nichts bekannt ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Samwer-Familie dennoch auf ihre Kosten gekommen ist: Die FinTech-Branche steht gut da und umgekehrt verfügen viele Banken über eine volle Kriegskasse – und spüren die Notwendigkeit, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken und mit den schnellen Beibooten der FinTech-Szene aufzuhübschen. Unklar ist indes auch, wer in welchem Umfang Anteile an Lendico hält. Im vergangenen Juli hieß es laut Finanz-Szene.de, Rocket Internet wolle Lendico an einen britischen Hedgefonds namens Arrowgrass verkaufen – Vollzug wurde aber offiziell nie gemeldet. Zuvor scheiterte wohl außerdem eine Finanzierungsrunde mit der spanischen Bank BBVA.

Die Zahlen lassen nicht genau erkennen, wie profitabel dieser Unternehmensteil gerade für Rocket Internet ist, da der Samwer-Konzern hier entsprechende Zahlen nicht einzeln ausweist. Klar ist aber, dass sich Rocket Internet im Bereich der E-Commerce, Food Delivery und Mode leichter tut als in der komplexeren Finanzbranche, die aufgrund gewachsener Strukturen und starker Regulierung einen speziellen „Stallgeruch“ erfordert.

FinTech bleibt für Rocket Internet ein (wenn auch schwieriges) Geschäftsfeld

Umgekehrt hatte Rocket Internet gerade im Dezember die Anleger ohne Dividende nach Hause gehen lassen und Oliver Samwer („ich bin kein Dagobert Duck“) musste sich der herben Kritik der Anleger stellen. Könnte also gut sein, dass der ING-Diba-Deal für die Samwers ein kluger Schachzug und eine gute Chance darstellt, sich aus dem schwierigen Umfeld zurückzuziehen – und für ING Diba eine passende Gelegenheit ist, das eigene Portfolio in Richtung Mittelstand und B2B abzurunden.

Dass man sich seitens Rocket Internet aber nicht gänzlich aus dem Banking- und Kreditumfeld zurückzieht, zeigt jedoch eine andere Meldung: Ende 2017 hat sich Rocket Internet laut einem Bericht des Manager Magazins dazu entschlossen, Startups mit Krediten zu versorgen, indem man das Unternehmen Global Growth Capital gründete. Auch wenn auf der Website des Unternehmens kein Hinweis auf Rocket Internet erscheint, ist damit klar, dass der FinTech- und Kreditbereich für die Samwers nicht völlig uninteressant ist. Die Intention dahinter dürfte allerdings auch sein, zu einem für Rocket Internet günstigen Zeitpunkt, nämlich dann wenn das Unternehmen akut Geld braucht, in geeignete Beteiligungen einsteigen zu können. tw

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