Überblick behalten: Wie Versicherer mit neuen Technologien und Technologievielfalt umgehen sollten
Auch wenn die Technologie-Evangelisten nicht müde werden, die glänzenden Besonderheiten der neusten Technologien zu loben: Bei der digitalen Transformation kommt es selten auf die tiefsten Technologiedetailkenntnisse an. Die Wurzeln des Erfolgs sind vielmehr Komplexitätsbeherrschung und die Fähigkeit, den Überblick zu behalten.
von Dr. Holger Rommel, Head Research & Digital Transformation, ti&m AG und Vincent Wolff-Marting, Leiter Kompetenzteam Digitalisierung und Innovation, Versicherungsforen Leipzig
Die fortschreitende Technisierung ist seit mehreren Generationen ein vertrauter Begleiter für jeden CIO: mit der Einführung von Mainframes, über Client/Server-Systeme bis hin zu heute aktuellen Cloud-Lösungen steigen die Vielfalt und damit die Anforderungen an die Capabilities der IT immer weiter an.Auch die IT-Organisationen der Versicherer werden somit immer komplexer, ihre Aufgaben immer anspruchsvoller und diverser.
Es ist zunehmend schwieriger, alle relevanten Technologien zu kennen, geschweige denn selbst zu beherrschen – und zwar auch deshalb, weil IT-Technologie heute nicht mehr nur ein Arbeitsmittel innerhalb des Versicherers ist, sondern im Alltagsleben jedes Einzelnen einen festen Platz gefunden hat.”
Weil die digitale Transformation das Leben außerhalb von Unternehmen mehr und mehr durchdringt, wirken neue technologische Trends auch von der Kunden- und Partnerseite auf die Versicherer ein. Die Verhaltensweisen und Ansprüche der Menschen ändern sich mit ihrem intensiveren Umgang mit neuen Technologien. Diese werden mehr und mehr zum Eintrittspunkt für die Immersion der Nutzer in die vernetzte Datenwelt. Die vollkommen veränderte und stärkere Technologienutzung hat jedoch Auswirkungen auf die Kundenbedürfnisse, auch gegenüber dem Versicherer – sie bringt damit neue Anforderungen an Prozesse und Produkte, und damit wiederum auch an IT und Unternehmensorganisation mit sich.
Für die Studie wurden zunächst die Lebenswelten «Wohnen», «Gesundheit» und «Mobilität» auf potenzielle technologiegetriebene Veränderungen untersucht. Herausgearbeitet wurde dabei, welche Auswirkungen solche Veränderungen potenziell auf die Versicherungswirtschaft haben können. Die Studie zeigt die Trends so auf, dass sie Versicherern bei der Beurteilung der eigenen konkreten Situation unterstützt – und den Unternehmen auch hilft, hier die richtigen Maßnahmen abzuleiten.
Wenn die IT eines Versicherers neueste Technologien auf die herkömmliche Weise beherrschen und nutzen will, ist sie dabei oft im Hintertreffen: wegen der wachsenden Komplexität kann sie das Wissen gar nicht so schnell aufbauen, wie es erforderlich ist. Die IT muss daher mehr und mehr lernen, mit Technologien umzugehen, die sie einbinden und nutzen will, ohne sie direkt zu beherrschen. Diese Kommoditisierung ist der einzige Ausweg aus der Komplexitätsfalle.
Die IT und IT-nahe Abteilungen müssen neue Kompetenzen aufbauen, um dem technologischen Wandel wirksam zu begegnen.”
Für neue und immer breiter werdende Technologien wird es wesentlich, Technologien via Partner zuzukaufen und flexibel in die eigene System- und Prozesslandschaft zu integrieren. Wichtig für die IT ist die Entscheidungskompetenz darüber, welche neuen Technologien man selbst beherrschen muss und welche einem «nur» via Partner eingebunden werden. Das hängt im Einzelfall auch von der konkreten Ausrichtung des Versicherers ab. Zu wesentlichen und für die Versicherungsindustrie wichtigen Technologien gehören dabei:
- Data Science und KI-Kompetenz, ohne die die unterschiedlichen großen Datenmengen kaum beherrschbar sind. Auch für das Nutzen von unstrukturierten Daten, seien es Dokumente von Kunden oder Geschäftspartnern oder Informationen aus Social Media, sind flexible und lernfähige Systeme eine wichtige Voraussetzung.
- Ebenso wird die immer stärkere Vernetzung von (physischen) Systemen und die immer stärkere Ausstattung mit Sensoren zu explodierenden Datenmengen führen, die nur mit intelligenten Mitteln ausgewertet werden können.
- Cloud-Kompetenz ist ein Muss, weil mehr und mehr verteilte Systeme die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zum Steuern entsprechender Partner voraussetzen.
- Das gleiche gilt für umfassende Kompetenz im API-Management, das die erforderliche flexible Integration in verschiedene Ökosysteme erst möglich macht.
Die IT-Abteilung – vom Dienstleister zum unverzichtbaren Partner
Die IT muss Technologiekompetenz für Fachbereiche und Aktuariat bereitstellen, damit diese das immer weiter expandierende Daten- und Funktionsuniversum besser analysieren und für den eigenen Geschäftserfolg nutzen kann. In der IT wird dabei die Fertigungstiefe immer weiter absinken, während Kompetenzen zur Integration in unterschiedliche Ökosysteme und die Steuerung von Partnern oder die Evaluation und Betreuung von Start-ups immer wichtiger werden.
Die IT und die Betriebsorganisation eines Versicherers müssen dafür die eigene – übergreifende – Technologiekompetenz stärken, Leitlinien setzen und den Überblick über Innovationen und neu entstehende Technologien behalten, so dass die IT-Fachabteilungen und das Aktuariat als Partner für die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte und die Verbesserung der eigenen Prozesse zur Verfügung stehen.
Die IT kann sich auch gerade wegen der wachsenden technologischen Breite, der Abnahme der Fertigungstiefe und damit verbundenen Meta-Kompetenz immer mehr vom Dienstleister zum unverzichtbaren Partner der Fachabteilungen entwickeln.”Dr. Holger Rommel, ti&m und Vincent Wolff-Marting, Versicherungsforen Leipzig
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