Homeoffice – Fluch oder Segen? Es funktioniert – aber nur unter bestimmten Bedingungen …
Die nicht planbare, rasche Verbreitung des Corona-Virus hat eine Notsituation geschaffen. Quasi von heute auf morgen war eine Zusammenarbeit vor Ort in gemeinsamen Räumlichkeiten nicht mehr möglich. Der Lock-down zwang die Unternehmen, ihre Mitarbeiter kurzfristig ins Homeoffice zu schicken. Die Büros waren verwaist. Das organisatorische Chaos war kurzfristig immens und jetzt – ca. 5 Monate danach – sind alle überrascht, wie gut dies funktioniert hat.
von Michael Mayer, Dilligentia
Ich unterrichte als Gastdozent an einer Managementhochschule das „Anwendungsorientierte Modul“ im Bereich Leadership. Als einer der ersten Dozenten durfte ich, unter Auflage von bestimmten Sicherheitsvorkehrungen, wieder eine Präsenzvorlesung halten. Ich habe es genossen, weil mein Unterricht keine klassische Vorlesung ist, sondern eher ein gemeinsames Erarbeiten der Inhalte auf Basis praktischer Beispiele. Wie dem auch sei, …… ich hätte nicht erwartet, dass so viele der Studenten (Duales Studium bzw. Werksstudententätigkeit) so positiv über das Homeoffice berichteten.”
Der persönliche Kontakt wurde z.B. ersetzt durch ein kurzes, tägliches „Daily-Meeting“, ein längeres „Weekly“ pro Woche und durch regelmäßige, kürzere Videokonferenzen mit dem „Chef“. Online-Einladungen zur „Tea-Time“ oder dem „Vino“ dienten dem privaten Smalltalk. Virtuelle Kanban-Boards machten den Arbeitsverlauf transparent und nachvollziehbar. Weiterhin schätzen viele die gewonnene Zeit, da der Weg zur Arbeit und zurück, durch überfüllte Innenstädte, entfallen ist. Dass man nun auch mit älteren, weniger technikaffinen Kollegen online kommunizieren konnte, wurde durchweg positiv hervorgehoben. Was mich und wahrscheinlich auch die Firmen aber noch mehr überraschte, war die Effizienz mit der gearbeitet wurde. Alle beschrieben die Meetings bzw. digitalen Kontakte als sehr produktiv und zielgerichtet. Anscheinend ist jeder bei der Online-Kommunikation bestrebt, sich auf das Wesentliche, auf Zahlen, Daten und Fakten zu beschränken.
Was liegt also in Zeiten der Krise, der Umsatzeinbrüche und Liquiditätsengpässe näher, als Fixkosten in Form von Bürofläche abzubauen. Es wurde viel Man-Power und Geld in die digitale Infrastruktur des Home-office gesteckt und der anschließende Crash-Kurs bewies, dass es überraschend gut funktioniert.”
… auch bei Banken und Sparkassen
Speziell Branchen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells, wie z. B. Banken, extrem unter Druck stehen, wollen diese Erfahrung gleich in ein operationelles Tun umsetzten.
Die Deutsche Bank und die Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka planen deshalb, ihre Büroflächen signifikant (+/- 25%) zu reduzieren.”
Für Siemens soll z.B. das mobile Arbeiten als Kernelement einer neuen Normalität Standard werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert in ihrer Ausgabe vom 17. Juli 2020 den designierten Vorstandsvorsitzenden Roland Busch: „Basis sei eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur.
Damit verbunden ist ein anderer Führungsstil, der sich an den Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro.“
- Haben die Siemensianer denn bisher in ihren Büros nicht so effizient gearbeitet?
- Führung ist immer ergebnisorientiert – aber für Siemens jetzt noch ergebnisorientierter – steigt dadurch der vorhandene Druck noch stärker?
- Was für ein Menschenbild steht denn hinter dieser Aussage? Fallen wir jetzt wieder in alte Zeiten zurück, wo der Mensch ausschließlich Produktionsfaktor ist, ein beliebig austauschbares Teil einer Maschine?
Solche oder ähnliche Gedanken drängen sich mir beim Lesen dieses Satzes auf.
Wahrscheinlich werden viele Firmen wie die Lemminge diesem Trend „Homeoffice“ folgen und dabei geflissentlich folgende Punkte außer Acht lassen:
1. Vielleicht kommen die überwiegend positiven Erfahrungen nur deshalb zustande, weil angesichts der Notsituation jeder die „Arschbacken“ zusammengebissen hat, versucht hat das Beste aus der Situation zu machen, um den Laden am Laufen zu halten? Dieser kurzfristige Effekt erhöhten Engagements und Flexibilität verpufft aber sehr schnell, wenn das Homeoffice „Normalzustand“ wird.2. Zudem gründet sich die effiziente Zusammenarbeit im Homeoffice in der Corona-Krise auf Beziehungen, die zuvor offline, bei der Arbeit Face-to-Face im Büro erworben wurden. Meine These dazu: Sobald die bestehenden, offline erworbenen Beziehungen aufbrechen, weil Versetzungen stattfinden, neue Mitarbeiter hinzukommen, wird die Zusammenarbeit ineffizient.
3. Erfolgreiche Unternehmen oder auch Teams sind in der Lage, Spannungen wahrzunehmen und zu beseitigen. Sie haben dadurch sozusagen den Kopf frei für Neues. Der Bildschirm des Homeoffice ist allerdings das falsche Kommunikationsmedium, um Spannungen anzusprechen. Sie werden, wie mir meine Studenten bestätigen, nicht angesprochen, diskutiert oder beseitigt, sondern unter den Teppich gekehrt. Dies wirkt demotivierend und beeinträchtigt den Leistungswillen der Mitarbeiter. Der Hügel unter dem Teppich wird immer größer. Es kommt zum „Dinner-for-one-Effekt“ – das Unternehmen/Team stolpert und fängt an zu straucheln.
4. Nur wenn sich die Menschen in einem Unternehmen weiterentwickeln, entwickelt sich auch das Unternehmen weiter. Wie bitte schön soll menschliche Weiterentwicklung im Homeoffice funktionieren?
5. Ein Unternehmen zieht einen großen Teil seiner Effizienz aus individuellen Netzwerken, aus den zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Mitarbeitern. Diese erwachsen in der Regel aus dem persönlichen Kontakt. Reduziert man durch den verstärkten Einsatz von Homeoffice diese persönlichen Kontakte der Zusammenarbeit, nimmt den Mitarbeitern die Möglichkeit öfters gemeinsam zum Mittagessen zu gehen, einen Tee oder ein Bier zu trinken, verschlechtert sich langfristig die Qualität dieses Netzwerkes und damit die Effizienz und Problemlösungsfähigkeit des Unternehmens.
6. Der Führungsstil der Führungskräfte muss sich tatsächlich ändern. Um das soziale Defizit der Bildschirmkommunikation auszugleichen, sind viel mehr Kontakte notwendig. Diese Kontakte müssen im Voraus geplant werden. Die Zersplitterung des Alltags der Führungskräfte nimmt noch mehr zu und der Zeitaufwand steigt. Sofern man die Führungsspanne nicht verkleinert, wird dies zu einer weiteren Mehrbelastung der Führungskräfte führen. Der Flaschenhals, durch den die ganzen Projekte hindurch müssen, wird immer enger.
Gott sei Dank springen nicht alle Unternehmen auf diesen Trend auf. In dem bereits erwähnten Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird auch die Personalchefin von BMW, Frau Ilka Horstmeier wie folgt zitiert: „Die Entwicklung neuer Fahrzeuge ist eine komplexe Integrationsleistung, die eine enge Zusammenarbeit erfordert. Wir glauben nicht, dass ein hoher Anteil an Mobilarbeit dafür auf Dauer zielführend ist.“
Dieser Auffassung schließe ich mich gerne an. Da mittlerweile fast alle Arbeiten in unserer schnelllebigen Welt sehr komplex geworden sind (Stichwort VUKA), macht Mobilarbeit nur dann Sinn, solange der Anteil an der Gesamtarbeitszeit nicht zu hoch ist.
Ein zu hoher Anteil von Mobilarbeit führt über kurz oder lang zu einem Verlust an Identität, Motivation, Problemlösungsfähigkeit, Innovation, Effizienz und kostet Unternehmen so unendlich viel mehr als die eingesparten Raumkosten.”
Das Fazit
Mobilarbeit funktioniert dann gut, wenn die persönliche Zusammenarbeit, face to face überwiegt und das Team gut eingespielt ist. D.h. wenn die gemeinsame Zusammenarbeit auf einem gemeinsamen Sinn, gemeinsamen langfristigen Zielen, gemeinsamen Werten und Verhaltensregeln basiert. Dieses „Mindset“ lässt sich allerdings nicht virtuell erlernen, sondern erfordert Präsenz – persönlichen Kontakt! Das Dilligentia Wertemodell (Verzeihen Sie bitte die Eigenwerbung) ist eine Möglichkeit, Sicherheit in unsicheren Zeiten zu schaffen, Stabilität mit Flexibilität, Kontinuität mit Veränderung, Wachstum mit begrenzten Ressourcen zu verbinden. Nur Unternehmen und Teams, die mitarbeiterzentriert sind, deren Mitarbeiter ein gemeinsames Mindset verbindet, werden auch Homeoffice so einsetzen können, dass der Mitarbeiter und das Unternehmen/Team davon profitiert.Michael Mayer, Dilligentia
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