Visa und Mastercard ziehen Russland den Stecker – NSPK als Ausweg? – UPDATE
Visa und Mastercard stellen Betrieb in Russland ein. Rund drei von vier Kreditkartenzahlungen in Russland entfallen einem Bericht zufolge auf Visa und Mastercard. Insofern ist der Rückzug der beiden Anbieter aufgrund des Kriegs in der Ukraine ein massiver Einschnitt. Doch warum sich für die russische Bevölkerung im Inland erst einmal gar nicht so viel ändert und was uns der Fall für die anstehenden Entscheidungen in Deutschland angesichts des Maestro-Endes 2023 lehren kann, erläutern wir in diesem Hintergrundartikel.
Es hatte sich bereits abgezeichnet und ist nun so eingetreten: Visa und Mastercard haben wegen der russischen Invasion in die Ukraine ihre Geschäfte mit Russland ausgesetzt. Das kündigten beide US-Konzerne in der Nacht zum Sonntag deutscher Zeit an. Für die Kunden der beiden weltgrößten Kreditkartenanbieter bedeutet das: Sie können mit von russischen Banken ausgestellten Visa- oder Kreditkarten nur noch in Russland bezahlen, nicht aber im Ausland.Sowohl Visa als auch Mastercard kündigten in sehr ähnlich formulierten Pressemitteilungen an, man wolle mit Kunden und Partnern zusammenarbeiten, „um sämtliche Transaktionen in den kommenden Tagen einzustellen“. Umgekehrt werden auch Karten, die bei nichtrussischen Banken ausgestellt wurden, in Russland nicht mehr funktionieren. Das dürfte vor allem für westliche Geschäftsleute zum Problem werden, die sich in den meisten Fällen auf die funktionierenden Visa- und Mastercard-Lösungen verlassen.
Russland hat mit NSPK ein alternatives System
Für die russischen Kunden gibt es dagegen, zumindest so lange die jeweiligen Karten Gültigkeit haben, eine Alternative in Form des NSPK von Mir (zu erkennen am Mir-Logo auf der Karte). Über dieses Processing werden auch die nationalen Zahlungen weitgehend abgewickelt, was auch weiterhin mit den Karten funktionieren soll – allerdings unter Ausschluss tokenisierter Zahlungsvorgänge.
Das National Payment Card System ist eine Art „Plan B“, den die russische Regierung infolge der US-Sanktionen nach 2014 realisiert hatte. Schon in den 90ern hatten die Russen ein eigenes Zahlungssystem einführen wollen, waren dann aber an der fehlenden Bereitschaft der Finanzierung und an der unkoordinierten Zusammenarbeit gescheitert. Zwischen 2015 und 2020 stieg die Zahl der potenziellen Nutzer auf 73 Millionen, was insbesondere auch dadurch ermöglicht wurde, dass in Russland die Sozialhilfe- und Rentenzahlungen per Default auf diesem Weg erfolgen.
Für Russlands größte Bank, die noch nicht mit Sanktionen belegte Sberbank, zumindest vordergründig kein Grund zur Beunruhigung. Man erklärt am Sonntag, dass russische Kunden von Visa und Mastercard innerhalb des Landes auch nach der Abschaltung mit ihren Karten in Geschäften, im Online-Handel oder bei Überweisungen bezahlen und Geld abheben können. Zu erwarten ist, dass Russen im Ausland noch schnell so viel Geld wie möglich abheben werden, bevor das in den nächsten Tagen nicht mehr möglich sein wird. In Russland selbst ist die Lage an den Geldautomaten bereits zum jetzigen Zeitpunkt schwierig bis desolat. Obwohl sich der Aufruf nur an im Ausland lebende Menschen mit russischen Visa- und Mastercard-Karten richtete, bildeten sich am Sonntagvormittag in Moskau nach Angaben der deutschen Presseagentur lange Schlangen an Geldautomaten.
Die meisten Karten sind offenbar in Russland Co-Badge-Lösungen mit dem Logo Mir. Diese werden laut der Sberbank auch noch weiter in der Türkei, in Zypern und in einigen anderen Ländern funktionieren, mit denen Russland Kooperationen hat, hieß es.
Drei Viertel aller Kartenzahlungen über Visa und Mastercard
Visa-Chef Al Kelly bedauerte die Auswirkungen, die die Maßnahme auf Mitarbeiter sowie Kunden, Partner, Händler und Karteninhaber in Russland haben werde und kündigte an, den Mitarbeitenden ihre Löhne weiter zu zahlen und den Betrieb wieder aufzunehmen, wenn es angemessen und rechtlich zulässig sei. Wann das sein wird – unklar. Doch wenn es sich Visa und Mastercard leisten, eine dreistellige Mitarbeiterzahl bezahlt freizustellen, gehen sie wohl von einer planbaren Wiederaufnahme des Betriebs aus. Angesichts dessen wäre es sicherlich (abgesehen von den humanitären Erwägungen) ein Problem, wenn man die nötige Infrastruktur erst neu aufbauen müsste.
Das Unternehmen ist seit gut 15 Jahren in Russland vertreten und macht dort – zusammen mit Mastercard – rund eine Milliarde Umsatz jährlich. Laut Brancheninformationen entfallen auf Visa und Mastercard 74 Prozent aller Zahlungsvorgänge in Russland mit Debit- und Kreditkarten.
Dieser Krieg und die anhaltende Bedrohung des Friedens und der Stabilität erfordern, dass wir darauf im Einklang mit unseren Werten antworten.“
Al Kelly, Vorsitzender und Generaldirektor von Visa
Auch wenn die russische Zentralbank beteuert, dass die von russischen Banken ausgestellten Visa- und Mastercard-Karten bis zu ihrem Ablaufdatum weiter funktionieren werden, sind die Transaktionen bereits jetzt eingeschränkt. Denn Visa und Mastercard hatten bereits zuvor keine Transaktionen mehr für russische Banken abgewickelt, die von internationalen Sanktionen wegen des Kriegs in der Ukraine betroffen sind.
Wegen der westlichen Sanktionen gegen das Gros der russischen Banken ist es schon seit Tagen laut dpa-Angaben nicht mehr möglich, an Automaten dieser Institute mit ausländischen Kreditkarten Rubel abzuheben. An den Automaten, die noch funktionieren, hatten sich auch vor der Ankündigung der Kreditkarteninstitute teils bereits lange Warteschlangen gebildet. Auch an Bankschaltern warteten viele Menschen, um sich mit Bargeld einzudecken – oder ihre Konten zu liquidieren.
UPDATE – 07.03.2022: Am gestrigen Abend hat auch American Express angekündigt, dass man sich aus dem russischen Markt zurückziehen werde. Warum der drittgrößte Kreditkartenanbieter weltweit erst am Sonntag nachzog, ist unklar. Experten befürchten angesichts der breiten Sanktionen, dass die russischen Konsumenten neben dem Mir-System vermehrt auch auf russische Payment-Lösungen setzen könnten.
Wie unabhängig ist Europa von Mastercard und Visa?
Denkt man die Meldung etwas weiter, wird hieraus aber auch eines deutlich: Russland hängt traditionell (mit durch das Mir-System sinkender Tendenz) noch stärker von den beiden Kreditkartenunternehmen ab als Deutschland (hier allerdings durch die Sparmaßnahmen zahlreicher Banken in Form der Visa- oder Mastercard-Debitkarten mit wachsender Tendenz). Doch die Girocard, die in der Vergangenheit in Kooperation mit dem Maestro-System auch außerhalb Deutschlands gut funktioniert, wird spätestens nach dem Ende von Maestro (spätestens 2023) nur noch eingeschränkt zu gebrauchen sein.
Alternativen in Form von EPI oder anderen Systemen fährt man in der EU und im Euroraum gerade gekonnt vor die Wand, was zu einer steigenden Abhängigkeit von eben jenen US-Systemen im EU-Raum führt, die hinter den Debit-Lösungen stehen, die viele Banken ihren Kunden aus Kostengründen in die Hand drücken. Ob man damit gut beraten ist, wird sich dann im Ernstfall zeigen.
Nun ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine ähnliche Situation für Deutschland ergibt, wie wir sie derzeit in Russland sehen, eher gering – ein Grund für leichtsinniges Verlassen auf US-Anbieter wie Mastercard und Visa sowie Paypal ist all das dennoch nicht. Ach ja, Paypal: Der US-Anbieter hat ebenfalls in Russland an diesem Wochenende den internationalen Betrieb bis auf Weiteres eingestellt, nachdem man schon vor einiger Zeit (2020, also weit vor der Eskalation des Ukraine-Konflikts) die inländischen Zahlungen nicht mehr unterstützt hatte.tw
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