Technologie als zweischneidiges Schwert: Der digitale Euro auf dem Prüfstand
Im Herbst wurde eine Vorbereitungsphase für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency; CBDC) in der EU beschlossen und EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht im digitalen Euro gar die Zukunft der Währung. Neben Befürwortern gibt es allerdings auch eine Reihe von Kritikern und erste CBDC-Projekte in anderen Ländern sind nur verhalten und mit Schwierigkeiten gestartet. Alexander Tomenendal, Principal Industry Consultant bei Endava, wirft in diesem Kontext einen Blick auf Pro- und Contra-Argumente und zeigt Herausforderungen auf, die gelöst werden müssen, damit das digitale Fiatgeld in Europa ein Erfolg werden könnte.
von Alexander Tomenendal, Principal Industry Consultant bei Endava
Aktuell sind weltweit in elf Ländern CBDCs eingeführt: in Nigeria, den Bahamas, Jamaika und einigen kleineren Ländern der Ostkaribik. In 21 weiteren Staaten laufen aktuell Pilotversuche, darunter Australien, Russland, China und Indien. Die digitale Rupie konnte Ende 2023 sogar den Meilenstein von einer Million Transaktionen am Tag durchbrechen. In 46 weiteren Nationen läuft aktuell die Entwicklung von entsprechenden Lösungen, darunter auch die meisten Länder der Eurozone inklusive Deutschland. In einigen Ländern wurden Projekte allerdings auch eingestellt oder abgebrochen. Einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation bietet eine Karte des Atlantic Council (Website).CBDC – eine große Chance?
Generell kommen Befürworter von digitalem Zentralbankgeld – wenig überraschend – aus politischen oder Zentralbankkreisen. Diese Institutionen treiben schließlich auch entsprechende Projekte voran und profitieren am meisten von der Digitalisierung des Fiatgeldes.
Schließlich kostet das Bargeld-Handling Staaten enorme Summen. Laut Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) macht dies etwa ein Prozent der Wirtschaftsleistung der EU aus, was wiederum etwa 140 Milliarden Euro entspricht.”
Durch den Verzicht auf Notendruck, Münzprägung und aufwändige Geldtransporte erhoffen sich Regierungen und Zentralbanken große Einsparungen. Allein das vergleichsweise kleine Jamaika möchte mit seiner Digitalwährung Jam-Dex pro Jahr Kosten von sieben Millionen US-Dollar einsparen.
Ein Pro-Argument für CBDC aus Sicht der Konsumenten ist die staatliche Garantie und eine stabile Alternative zu unregulierten Kryptowährungen.”
Sieht man von der staatlichen Einlagensicherung bis 100.000 Euro ab, gibt es für Buchgeld keine Garantien und für Kryptowährungen ohnehin nicht.
Außerdem hebt die EZB hervor, dass ein digitaler Euro im gesamten Euroraum allgemein akzeptiertes digitales Zahlungsmittel wäre, das in Geschäften, online und zwischen Personen verwendet werden könnte. Die „grundlegende Nutzung“ solle für Endverbraucher zudem kostenlos sein.
Die wichtigsten Einwände gegen CBDC
Kritische Stimmen zu digitalem Zentralbankgeld kommen aus verschiedenen Richtungen. Zum einen sind es die Geschäftsbanken, die um ihre Geschäftsmodelle oder gar ihre Existenz fürchten.
Der Bundesverband deutscher Volks- und Raiffeisenbanken kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass die Umwandlung von Einlagen in CBDC die Liquiditätsreserven kleinerer Institute gefährden könnte.”
Diese müssten sich dann entweder Liquidität zu ungünstigeren Konditionen beschaffen, was die Kreditvergabe verteuern würde, oder sie müssten die Vergabe von Darlehen einschränken. Ob Bankkunden allerdings wirklich im großen Stil Spareinlagen gegen CBDC tauschen würden, ist fraglich. In Ländern, die bereits CBDC mit Zugang für die Bevölkerung eingeführt haben, zeigen sich bisher eher niedrige Nutzungsraten.
Auch in Deutschland oder der EU kann die fehlende Verbreitung von Smartphones und generell mangelnde Digitalisierung ein Grund für die Notwendigkeit von physischem Bargeld sein.”
Bei CBDC handele es sich um ein Überwachungsinstrument, um mehr staatliche Kontrolle der Bürger durchzusetzen.”
Befürchtungen gehen auch dahin, dass das digitale Geld mit einer Art Ablaufdatum versehen werden könnte – wie es tatsächlich in China geschehen ist. Die Regierung verschenkte dort E-Yuan im Gegenwert von mehreren Millionen US-Dollar. Die Token waren technisch allerdings so gestaltet, dass sie nach einem gewissen Zeitraum ablaufen und daher nicht angespart werden können. CBDC setzt also immer auch ein gewisses Vertrauen in die emittierende Institution voraus. Doch das ist beim Bargeld auch nicht anders, wie zum Beispiel in der Schweiz, in der Geldscheine nach einiger Zeit ihren Wert verlieren.
Weitere Kritikpunkte sind die möglichen Einflüsse auf die Geldpolitik.
Durch die Einführung des neuen Instruments CBDC würden sich die Finanzmärkte weiter verkomplizieren und Zentralbanken müssten das Zusammenspiel ihres digitalen Geldes mit anderen Geldformen genau überwachen, um ungewollte Einflüsse auf Zinsen, Inflation und Wechselkurse zu vermeiden.”
Auf der technischen Seite geht die Kritik oft dahin, dass ein sehr komplexes Ökosystem notwendig wäre, das schwierig im Betrieb, teuer und anfällig für Cyber-Angriffe wäre.
Vier Dimensionen der Argumente
In die Diskussion rund um CBDC fließen Argumente aus den verschiedensten Sphären ein. Um ein besseres Bild zu gewinnen, soll versucht werden, diese zu ordnen:
- Ökonomisch: In der Diskussion werden gerne die Kosten für das Ökosystem hinter CBDC betont. Doch dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Bargeld-Handling enorme Kosten verursacht. In der EU wird es aber kein Entweder-oder geben. Schließlich betont die EZB immer wieder, dass ein digitaler Euro keinesfalls ein Ersatz für Bargeld sein sollte. Die Koexistenz beider Systeme würde also sicherlich zu Mehrkosten führen. Ob die Vorteile das aufwiegen, ist noch nicht abzusehen.
- Organisatorisch: Es kommt auch immer wieder die Frage auf, wie sich ein Modell, bei dem Bürger direkt mit einer Zentralbank interagieren könnten, auf den traditionellen Bankensektor auswirkt. In Europa müssten Retail-Banken bei der Einführung des digitalen Euros aber wohl nicht um ihre Geschäftsmodelle fürchten. Die Einführung von Haltelimits – die Rede ist von 3.000 Euro – gilt als relativ sicher. Damit wäre dieses CBDC als Anlage kaum interessant und vielmehr eine neue digitale Bezahlmethode. Dies wirft allerdings direkt die Frage auf, wie sich ein allgemein akzeptierter digitaler Euro auf die Geschäfte von Kreditkarten- und E-Payment-Anbietern auswirken würde.
- Politisch: Bringt CBDC mehr Freiheiten für Bürger und ermöglicht ihnen sichere anonyme Zahlungen im digitalen Raum oder wird damit ein Instrument zur Überwachung des Zahlungsverkehrs und zur Einführung von Social Scoring geschaffen? So in etwa lassen sich die Extreme in der Diskussion um politische Aspekte von CBDC zusammenfassen. Diese Diskussion geht meiner Ansicht nach allerdings am Thema vorbei. Schließlich gelingt es vielen Staaten bislang auch ganz ohne digitales Zentralbankgeld, ihre Bürger und deren Finanzen umfassend zu überwachen. Ich würde die Technologie selbst eher als neutral ansehen, die – wie viele andere – sowohl zum „Guten“ als auch zum „Schlechten“ genutzt werden kann.
- Umsetzungstechnisch: CBDCs, die sich bereits im praktischen Einsatz befinden, bauen auf Mechanismen auf, wie man sie bereits von Kryptowährungen kennt. Wie genau eine Umsetzung in der EU aussehen würde, ist dagegen noch nicht klar. Aktuell wird viel darüber diskutiert, wie sich die Privatsphäre der Nutzer garantieren lässt. Außerdem geht es darum, ob Verbraucher direkten Zugriff auf Konten bei der Zentralbank erhalten oder ob Geschäftsbanken als Intermediäre auftreten.
Zukünftige Herausforderungen
Wenn die EU und die EZB weiter an der Einführung eines digitalen Euro festhalten, müssen einige Herausforderungen gelöst werden. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen die Ausgaben für dieses Großprojekt gut begründet werden und ein Mehrwert für Verbraucher muss ersichtlich werden, schließlich kommen hier Steuergelder zum Einsatz.
Weiter stellt sich die Frage, wie Geschäftsbanken in das Ökosystem einbezogen werden – ob sie als Vermittler zwischen Verbrauchern und der Zentralbank fungieren oder ob Bürger dort direkt Kunden werden können.”
Im letzteren Fall kämen noch viele weitere Herausforderungen auf die EZB zu, da sie sich als Zentralbank bisher überhaupt nicht im Massenkundengeschäft engagiert.
CBDC sollte generell technisch umsetzbar sein. Die zu klärenden Fragen werden eher Details betreffen, wie etwa die versprochene Anonymität der Zahlungen gewährleistet werden kann. Weiter geht es darum, wie die digitale Währung verwaltet wird. Kommen Wallets zum Einsatz? Was ist in diesem Fall mit Menschen, die kein Smartphone nutzen?
Mit Blick auf eine immer digitaler werdende Welt ist die Arbeit an CBDC sicher ein richtiger und wichtiger Schritt, doch sollte man dabei nichts überstürzen und ausreichend Zeit für Pilotversuche und Vorstudien einplanen, um am Ende auch ein ausgereiftes Konzept zu haben.”
Es gibt einige valide Kritikpunkte, die die Zentralbank und insbesondere die EU thematisieren müssen, um das Vertrauen der Bürger für einen digitalen Euro zu gewinnen. Dabei ist es unerlässlich, über reine Absichtserklärungen hinauszugehen und konkrete Gesetze gegen Missbrauch einzuführen, die auch bei politischen Veränderungen Bestand haben. Diese Gesetze müssen spezifische Missbrauchsformen klar benennen und robust genug gestaltet sein, um die Integrität und Sicherheit des digitalen Euro langfristig zu schützen.Alexander Tomenendal, Endava
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