Wie Finanzunternehmen mit Graphtechnologie ESG‑Vorgaben erfüllen
Die Ansprüche an das ESG-Reporting steigen und steigen: Ab 2026 verpflichtet die EU auch kleinere Finanzdienstleister, ihre Bemühungen Nachhaltigkeit offenzulegen. Die Kombination aus Graphtechnologie und digitalem Zwilling kann beim ESG-Reporting helfen. Wie das geht, zeigt das besonders komplexe Beispiel der Scope-3-Emissionen.
von Heiko Schönfelder Neo4j
Das von der EU vorgegebene ESG-Reporting war bisher nur für große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen mit mindestens 500 Mitarbeitenden verpflichtend. Diese Grenze sinkt laut der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ab dem Geschäftsjahr 2025 auf 250. Noch ein Jahr später gilt die Pflicht zudem für kleine und nicht komplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen.Das bedeutet:
Auch Finanzunternehmen, die bisher aufgrund geringer Größe verschont geblieben sind, müssen demnächst regelmäßig berichten, wie sich ihr Geschäft auf die Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung auswirkt.”
Zudem geben die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) neuerdings an, welche Informationen solch ein Nachhaltigkeitsbericht enthalten muss.
Hohe Komplexität der Daten
Diese Informationen im Detail aufzuschlüsseln, ist zeitintensiv und komplex. Zumal Unternehmen beispielsweise im Bereich Umwelt neben den eigenen CO2-Emissionen auch die aufführen müssen, die in ihrer vor- und nachgelagerten Lieferkette entstehen.
Vergibt eine Bank einen Kredit für den Bau einer neuen Fabrik, muss sie in ihrem ESG-Report auch aufführen, wie viel CO2 durch diesen Bau emittiert wird.”
Um all das in einem Nachhaltigkeitsbericht abzubilden, ist es nötig, zahlreiche Daten zu sammeln und auszuwerten. Dafür müssen die Daten einheitlich vorliegen. Herkömmliche SQL- oder NoSQL-Datenbank-Verwaltungssysteme kommen bei solch großen Datenmengen jedoch an ihre Grenzen. Die Kombination aus Graphtechnologie und digitalem Zwilling dagegen schafft es, die Komplexität des gesamten ESG-Reportings zu bewältigen.
Graphtechnologie als Basis des ESG-Reportings
Datenbanken, die auf Graphtechnologie basieren, haben sich in den letzten Jahren als die Lösung etabliert, wenn es darum geht, Unmengen an Daten und ihre komplexen Beziehungen zu speichern und abzufragen. Das liegt vor allem daran, dass Graphdatenbanken die gespeicherten Daten vollständig miteinander verbinden. Dabei erachten sie die Beziehungen zwischen Datenpunkten (Kanten) als genauso wichtig wie die Datenpunkte selbst (Knoten).
Um zu verstehen, wie das funktioniert, kann man sich eine Graphdatenbank wie einen U-Bahn-Plan vorstellen:
Die Knoten sind die Haltestellen und die Kanten stellen die Schienen zwischen Haltestellen dar. Ein Algorithmus läuft diese Knoten und Kanten ab, genau wie eine U-Bahn von Haltestelle zu Haltestelle fährt.”
Dadurch versteht der Graph, was Entitäten miteinander verbindet. Moderne Graphdatenbanken können dabei ohne Probleme Milliarden von Beziehungen verarbeiten.
Das System aus Kanten und Knoten macht Graphdatenbanken transparent, dynamisch und fast grenzenlos skalierbar. Neue Daten lassen sich in Echtzeit hinzufügen und abfragen.”
Dadurch können Unternehmen große Mengen heterogener Daten realitätsnah modellieren. Selbst digitale Zwillinge mit mehreren Millionen an Datenpunkten und Beziehungen sind damit immer auf dem neuesten Stand. Einfache Wissensdatenbanken mit flachen Strukturen und statischem Inhalt schaffen das kaum.
Die Graphtechnologie mit einem Digital Twin verbinden
Um die Graphtechnologie umfassend für das ESG-Reporting zu nutzen, lohnt es sich, diese als Gerüst für einen digitalen Zwilling zu nutzen.”
Dadurch können Unternehmen riesige reale Systeme in Echtzeit modellieren und die Realität so genau wie möglich abbilden. So lassen sich viele verschiedene Parameter wie CO2-Emissionen, die Diversität der Belegschaft oder Investitionen in gemeinnützige Aktivitäten überblicken.
Diesen Überblick ermöglichen Graph-Algorithmen, die im Rahmen der Graph Data Science genutzt und kombiniert werden. Dabei können Data Scientists auf eine Vielzahl an Graph-Algorithmen zurückgreifen. Zu den meistgenutzten zählen unter anderem der Shortest-Path-Algorithmus, der Betweenness- und Centrality-Algorithmus sowie der Community-Detection-Algorithmus.
Der Shortest-Path-Algorithmus ermittelt, wie sein Name bereits andeutet, den kürzesten Weg innerhalb des Netzwerks. Der Betweenness- und Centrality-Algorithmus untersucht, welches die wichtigsten Knotenpunkte sind. Dadurch kann er potenzielle Flaschenhälse aufzeigen, bei denen es zu Problemen kommen könnte. Der Community-Algorithmus arbeitet mit vorab definierten Parametern. Anhand dieser kann er bestimmte Cluster erkennen, also Strukturen, die voneinander abhängig sind.
Nachverfolgen im Digitalen Zwilling
Wie der Digital Twin Survey Report von Altair zeigt, sind digitale Zwillinge bereits in der Finanzbranche angekommen.
Sieben von zehn Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen diese Technologie bereits nutzt: Sie modellieren damit das Verhalten von Kunden und Kreditnehmern, simulieren Risikoszenarien, decken Betrug auf oder überwachen die Kundenzufriedenheit.”
In einem graphbasierten digitalen Zwilling lässt sich zudem die gesamte Wertschöpfungskette mit all ihren Daten abbilden. Daraus ergibt sich eine vollständig kontextualisierte Sicht auf jede Einheit der Wertschöpfungskette. Es ist also mit wenigen Klicks erkennbar, inwiefern Einheit X zu den Emissionen beiträgt, ob Vorschriften eingehalten werden oder es kritische Abhängigkeiten gibt. Auch lassen sich Pfade mit dem geringsten CO2-Ausstoß, potenzielle Fehlerquellen oder die Ursachen für übermäßige Emissionen ermitteln.
Welche Anwendungsfälle ein Finanzunternehmen mit einem graphbasierten digitalen Zwilling untersuchen möchte, lässt sich individuell anpassen. So ist es mit der Graphtechnologie von Neo4j beispielsweise möglich, mit einem einfachen Fall zu starten – und dann die Daten und Auswertungen auszuweiten, wenn die Kenntnisse des eigenen Teams zunehmen. Selbst Mitarbeitende, die bisher keine oder wenig Erfahrung im Programmieren und mit SQL haben, können schnell lernen, mit der Graphdatenplattform und ihrer Abfragesprache Cypher umzugehen.
Achtung Scope-3: finanzierte Emissionen
In der Praxis lässt sich die Verbindung aus Graphtechnologie und digitalem Zwilling beispielsweise nutzen, um die indirekten Emissionen (Scope-3-Emissionen) zu analysieren. Das ist gerade für die Finanzbranche wichtig: Laut dem Greenhouse Gas Protocol zählen zu diesen auch die finanzierten Emissionen – also die Emissionen, die mit Investitionen und Kreditvergaben zusammenhängen.
Wie eine Studie der gemeinnützigen Organisation CDP zeigt, sind die finanzierten Emissionen des Finanzsektors über 700-mal höher als die Emissionen, die Banken, Versicherungen, Pensionsfonds, Risikokapitalgeber und Co. selbst ausstoßen.”
Kein Wunder: Geschäftsgebäude und Filialen verbrauchen im Vergleich zu Industrie-Produktionshallen um einiges weniger an Energie. Produkte wie Bankkonten, Versicherungen oder Fonds kommen ohne Lkw-Transport zu den Kunden.
Weitere Anwendungen: Empfehlungen
Neben den Scope-3-Emissionen bietet sich die Graphtechnologie für weitere Anwendungsfälle im Bereich ESG an. So können auch die (etwas einfacher zu ermittelnden) Scope-1- und Scope-2-Emissionen damit abgebildet werden. Des Weiteren stellt die Technologie die ideale Basis für Simulationen verschiedener ESG-relevanter Szenarien sowie für ein semantik-basiertes Empfehlungssystem für ESG-Dokumente dar.
Mit solch einem System können Banken beispielsweise einfach feststellen, welche Aktien auf welche Nachhaltigkeitsziele einzahlen, und die Ergebnisse für Portfolio-Empfehlungen nutzen.”
All das spart Finanzunternehmen wertvolle Zeit und hilft ihnen, die Einhaltung aller gesetzlicher ESG-Vorgaben sicherzustellen.Heiko Schönfelder, Neo4j
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