Dr. Rolf Gerlach geht: Digitalisierung & Zukunftsfragen gehören in die Hand einer neuen Generation
An den großen Medien des Landes ist diese Nachricht weitgehend unkommentiert vorbeigegangen, lediglich ein paar Regionalzeitungen widmeten ihr kurze Artikel – dabei könnte der kürzlich angekündigte Rücktritt von Dr. Rolf Gerlach, dem Präsidenten des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, einer mit Signalwirkung für die künftige Digitalisierung der Sparkassen-Organisation sein. Denn interessant ist die Begründung: Es geht um Digitalisierung, Technik und junge Menschen.
von Tobias Baumgarten
Die Sparkassen sind in Deutschland eine Institution, wie es sie vergleichbar kaum noch gibt. Kaum jemand, der nicht schon als Kind die damals noch muffigen Kassenhallen betreten hat, um sich sein Knax-Heft abzuholen oder sein Taschengeld auf sein erstes Sparkassenbuch einzuzahlen. Die örtliche Sparkassenfiliale war und ist für viele Menschen mindestens ebenso wichtig, wie der Supermarkt, der Bäcker und die Postfiliale, und der örtliche Filialleiter genoss in der Regel ein hohes Ansehen.Lange Zeit konnten sich die Sparkassen auf ihren Lorbeeren ausruhen, schließlich waren sie erst mit Großrechnern, später mit Kontoauszugsdruckern und Geldautomaten Vorreiter in Sachen Automatisierung, das Ansehen war hoch, die Sparkassen-Filialen gut besucht und der Wettbewerb gering. Die lokale Politik zog im Hintergrund die Strippen, bediente sich der Sparkassen gern zur Standortförderung und wenn es mal schief ging, wurde die lokale Sparkasse einfach mit der nächstgelegenen fusioniert. Jedes Bundesland leistete sich seine eigene Landesbank und mindestens einen regionalen Sparkassen-Verband inklusive Versorgungsposten für ausgediente Politiker.
Dass der Verbund mit all seinen Ebenen, Verbänden und Arbeitsausschüssen träge und langsam war (und es noch heute ist), störte nicht, denn den “Super-Tanker” Sparkasse konnte nichts und niemand aufhalten – so schien es zumindest.
Sparkassen mit Pyrrhussieg in der Finanzkrise
Mit dem Aufkommen und Erstarken der Direkt- und Internetbanken trübte sich zum ersten Mal der Himmel über den so erfolgsverwöhnten und gemütlichen Sparkassen. Mit niedriger Kostenstruktur, unbelastet vom teuren Filialnetz und mit jungem, motiviertem Personal trieben sie so manchem Sparkassen-Granden Sorgenfalten auf die Stirn. Arbeitskreise wurden gebildet, immer öfter machte das Bild von “Schnellbooten” die Runde, die halt einfach schneller und agiler agieren könnten, als die großen “Super-Tanker”.
Aber dann kam die Finanzkrise und mit ihr der Fall so mancher deutschen oder internationalen Großbank. Viele Großbanken mussten staatliche Hilfen in Anspruch nehmen und die, die sich dagegen sträubten, hatten trotzdem genug mit sich selbst zu tun. Gewiss: auch die eine oder andere Landesbank geriet in raues Fahrwasser, aber die Sparkassen erstrahlten auf einmal wieder in neuem Glanz. Hier die gierigen Groß-Bankster, dort die verlässlichen Sparkassen mit ihrem biederen Beamtencharme und dem sicheren Geschäftsmodell.
Die Sparkassen schienen die großer Gewinner der Finanzkrise – immer mehr Menschen gingen auf Nummer sicher und vertrauten ihr Geld den Sparkassen an, deren Bilanzsummen gegen den allgemeinen Trend stiegen und stiegen. Doch dieser scheinbare Sieg war teuer: denn die Niedrig-/Negativzinsen, mit denen die EZB versuchte, den Markt mit Geld zu fluten, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen und die Großbanken günstig zu refinanzieren, sorgte nun dafür, dass die Sparkassen mit ihrem traditionellen Geschäftsmodell kaum mehr Geld verdienen. Der Zufluss von vielen Milliarden Euro an Kundengeldern ist plötzlich eine schwere Hypothek, denn nun kostet es Geld, diese Milliarden bei der EZB zu parken – weil die Negativzinsen der EZB nicht an die Kunden weitergegeben werden können.
Erfahrene Herren verstehen junge Kunden nicht (mehr) ?
Gerade in diesem schwierigen Umfeld, in dem gleichzeitig auch noch die Kosten für Regulatorik in die Höhe schießen, kommt mit den FinTechs eine neue Bedrohung auf. Unbelastet von den schweren Verfehlungen vieler Banken und Banker vor und während der Finanzkrise, genossen sie schnell das Vertrauen einer neuen jungen Generation von Kunden – Kunden, denen Banker in Anzug und Krawatte suspekt und Beratung in Bankfilialen weitgehend egal sind.
In einer Phase, in der sich viele junge Kunden eine frische Alternative zu einem scheinbar überkommenen Bankensystem wünschen, versuchen es viele Sparkassen-Funktionäre weiterhin mit alten Rezepten: neue Filialkonzepte und das Festhalten an der heiligen Kuh des Regionalprinzips sollen es richten, wo alle Herausforderer mit kostenlosen Girokonten, weitgehender Digitalisierung und bundesweit einheitlichen Angeboten an den Start gehen.
Mit Konzepten von gestern sollen also die Probleme von heute und morgen gelöst werden. Dabei scheinen die erfahrenen Herren in der Führungsriege der Sparkassen-Organisation die Bedürfnisse der jungen Kunden nicht (mehr) zu verstehen. Aufgewachsen in einer Welt, in der man von der Ausbildung bis zur Rente im selben Betrieb arbeitete und in der Loyalität ein Wert für sich war, können sie nicht nachvollziehen, was sich junge Menschen, die in vielen Formen prekärer Arbeit ihr Geld verdienen und denen Individualität über alles geht, von ihrem Finanzdienstleister wünschen.
Rücktritt als Weckruf für die Sparkassen
Nun verkündete Dr. Rolf Gerlach, der Sparkassen-Präsident von Westfalen-Lippe, im März 2017 vorzeitig aus seinem eigentlich bis Dezember 2019 laufenden Vertrag auszusteigen. Das könnte eine Randnotiz in der Bankenlandschaft bleiben, wenn da nicht die Begründung für diesen Schritt wäre: laut den Westfälischen Nachrichten begründet der 62-jährige seinen Schritt nämlich damit, dass …
Zukunftsfragen einer Sparkassenorganisation, die Teil einer europäischen Finanzindustrie sein wird und deren Tagesgeschäft sich in einer durchgängig digitalisierten Welt vollzieht, Aufgabe einer anderen Generation sein sollten.“
Wer um die hohen Ambitionen von Rolf Gerlach weiß, dürfte überrascht sein ob dieser Aussagen – sind sie doch letztlich ein Eingeständnis dahingehend, dass seine Generation die Sparkassen-Organisation wohl kaum erfolgreich in eine digitale Zukunft führen kann. Und so darf man gespannt sein, ob dieser Rücktritt ein Weckruf für die Sparkassen-Gruppe und vielleicht sogar ein Vorbild für weitere hohe Sparkassen-Funktionäre sein wird.
Denn um die Organisation erfolgreich in die Zukunft zu führen, wird sich es nötig sein, Zöpfe abzuschneiden, welche seine Generation selbst geflochten hat – allem voran das Regionalprinzip, dass sich im Zeitalter von mobilem Internet und Smartphones nicht dauerhaft wird halten können, in dem sich viele Sparkassen aber bequem eingerichtet haben. Auch die intensive Kooperation mit FinTechs wird unumgänglich sein, um den Kunden auch künftig marktgerechte Angebote machen zu können.
Die Sparkassen-Organisation steht also vor großen Herausforderungen – und man darf gespannt sein, wer es sein wird, der sie hierbei anführen wird.Tobias Baumgarten
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