Versicherer müssen Digitalisierung nutzen – aber nicht selber machen! Adcubum-COO Dr. Rommel im Interview
Versicherer nutzen die Digitalisierung derzeit bestenfalls als weiteren Vertriebsweg – aber es wären auch neue geschäftliche Möglichkeiten drin. Doch statt selber zu entwickeln, sollten Versicherer lieber einkaufen und schnell umsetzen, verrät Dr. Holger Rommel, COO der Adcubum, im IT Finanzmagazin-Interview.
Herr Dr. Rommel, in einer aktuellen Marktanalyse geben Sie den Versicherungsunternehmen den Rat, sich künftig als reiner Nutzer von IT zu positionieren. Ist es in Zeiten der Digitalisierung nicht zu riskant, eigenes Know-how zu Hard- und Software aufzugeben? Ginge damit nicht auch „technologische Kreativität“ verloren?
Versicherungsunternehmen müssen die Möglichkeiten neuer Technologien natürlich nutzen.
Das heißt aber nicht, dass sie diese Technologien beherrschen müssen.”
Schauen Sie sich um: fast alle Menschen nutzen heutzutage Mobile Devices und entsprechend Apps, aber die meisten wissen weder, wie man eine App programmiert, noch wie die darunter liegenden Technologien funktionieren. Trotzdem gehen die User kreativ mit diesen Technologien um und ziehen einen hohen eigenen Nutzen daraus. Das gleiche gilt auch für Versicherungsunternehmen: sie müssen erkennen, wie sie aus neuen Technologien Business-Nutzen ziehen können. Sie müssen aber nicht die Technologien selber beherrschen – sie tun das ja in vielen Fällen heute auch nicht, speziell nicht im Bereich Hardware. Diese kaufen alle Versicherer fertig ein – und mit der fortschreitenden Industrialisierung der IT auch immer mehr die Software.
Sie können das mit dem Übergang vom Handwerk zur industriellen Produktion vergleichen: auch da sind die produzierenden Unternehmen mehr und mehr dazu übergegangen, die Werkzeuge und Maschinen für ihre Produktion zu kaufen, statt diese selber zu bauen.”
Ist denn das von Ihnen präferierte „Nutzer-Know-how“ schon ausreichend in den Versicherungen vorhanden? Und wenn nein, wie lässt sich der Sinn für neue Produkte und Geschäftsmodelle auf Basis von Web, Social Media und Apps in die Assekuranzen einpflanzen?
Auch hier würde es meiner Meinung nach helfen, wenn die Versicherer sich von der Idee des “Technologie-beherrschen-müssens” lösen würden. Oft entstehen dabei nämlich Systeme, die zwar zu den technologischen Fähigkeiten des jeweiligen Erstellers oder zur vorhandenen Systemumgebung passen, deren Nutzen aber aus Sicht des Kunden eher eingeschränkt ist. Es gibt unzählige tolle Apps auf der Welt, aber wenn sie nach wirklich innovativen Versicherungs-Apps suchen, dann finden sie heute noch nicht sehr viele.
Wenn man für einen Moment einfach einmal die eigenen technologischen Möglichkeiten und Kenntnisse vergisst und nur schaut, was dem Anwender tatsächlich einen Nutzen stiften würde, dann bewegt man sich von der richtigen Seite auf das Problem zu.”
Hat man dann erst einmal eine coole Idee entwickelt, dann lassen sich die technologischen Themen oft auch lösen. Und um auf die Frage zurückzukommen: Ich glaube, dass es bezüglich “Nutzer-Know-how” bei den Versicherern noch Nachholbedarf gibt, und zwar sowohl im Fachbereich als auch in den Abteilungen, die sich über die Weiterentwicklung der eigenen Geschäftsmodelle Gedanken machen.
Vorausgesetzt die Versicherungen folgen Ihrem Rat. Welche Folgen hätte das beispielsweise für die Vertriebspartner? Wie sieht es bei Maklern und Co. mit dem Digital-Know-how und der technischen Ausstattung aus, um diesen Weg auch mitgehen zu können?
Mit der Entwicklung der Technologie ändern sich die Gewohnheiten der Menschen. Und wenn alle plötzlich nur noch mit dem Smartphone kommunizieren, anstatt Briefe zu schreiben, dann muss sich auch die Versicherungswirtschaft samt Maklern darauf einstellen, sonst laufen die Kunden eines Tages weg. Und die eingeschränkten eigenen Möglichkeiten von Maklern und anderen Vertrieblern sprechen wieder dafür, neue Technologie zu nutzen, statt sie selber beherrschen und eigene Maklerportale bauen zu wollen.
Wenn Sie eine Plattform für einen digitalen Kundenzugang so einkaufen können wie z.B. ein Textverarbeitungsprogramm, dann können Sie auch als kleines Unternehmen voll von der Digitalisierung profitieren.”
Sie sprechen sich dafür aus, dass Versicherungen keinen eigenen „Maschinenpark“ mehr betreiben. Wie steht es um den Schutz der meist sehr sensiblen Kundendaten?
Das eine hat mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun. Der “Maschinenpark” verarbeitet Daten; für den Datenschutz ist jedoch relevant, wo diese Daten lagern und wie sie gesichert sind. Fast jede Versicherung nutzt heute Standardsysteme, die auch sensible Kundendaten enthalten – zum Beispiel in der Buchhaltung. Nur die Kernsysteme und die Systeme zur Kundeninteraktion werden sehr oft selbst gebaut und betrieben. Auch hier könnte man Standardkomponenten einsetzen, ohne das die Sensibilität der Daten verletzt wird, die ja immer noch in einem eigenen Rechenzentrum oder in einer geschützten Umgebung lagern können, auch wenn die Softwaresysteme darüber keine Eigenbauten mehr sind.
Wenn dies auch kein Problem mehr darstellt. Warum tut sich die Branche trotzdem noch so schwer damit, sich von den eigenen IT-Kapazitäten zu trennen?
Meiner Meinung nach gibt es dafür unterschiedliche Ursachen. Viele Versicherungsunternehmen sind es aus der Vergangenheit her gewöhnt, alle ihre IT-Systeme selbst zu schreiben und zu betreiben. Früher war das auch gar nicht anders möglich, da Standardsysteme für Versicherungen gar nicht zur Verfügung standen. Der Glaube, dass sich Versicherungsprozesse nicht in Standardsoftware abbilden lassen, ist – zumindest in Deutschland – stellenweise noch verbreitet, auch wenn das nachweislich nicht mehr stimmt.
Die Schweiz z.B. ist hier schon ein gutes Stück weiter. Hier nutzt die Mehrheit der großen Kranken- und Unfallversicherer das gleiche Softwaresystem, und das obwohl die Versicherer untereinander in einem starken Wettbewerb stehen.”
Oft wird dabei die Befürchtung laut, dass mit gekauften Systemen keine Differenzierung zwischen den Versicherungen mehr möglich ist. Dabei wird aber die technologische Differenzierung, die bei Einsatz von Standardsoftware sicher weniger da ist, mit der Differenzierung am Markt verwechselt, die eben über Kundennutzen und angebotene Produkte funktioniert, und die “trotz” Standardsoftware möglich ist.
Schließlich fällt es nicht allen Unternehmen gleich leicht, sich von angestammten Tätigkeiten – wie eben dem Schreiben von Software – zu lösen. Die Annahme scheint oft zu sein, dass man jetzt ja einfach “nur” die neuen Technologien erlernen muss, und dann kann man auch wie bisher die neuen Systeme selber schreiben. Dabei werden zwei Dinge übersehen: Die bisherigen Versicherungssysteme hatten kaum Berührungspunkte mit Endkunden. Das heißt, dass man den Nutzern viel mehr “zumuten” konnte als einem Endkunden, der eine App einfach nicht nutzt, wenn sie ihm nicht gefällt.
Hier müssen neben den Ingenieuren eben die Fachexperten, Designer, Ergonomen eine wesentliche Rolle spielen.”
Zweitens wird durch die fortschreitende technologische Revolution nicht nur eine Technologie durch eine neue ersetzt, sondern es kommen ständig neue hinzu. Irgendwann wird die dafür erforderliche Wissensmenge für die IT-Abteilung einer Versicherung einfach nicht mehr beherrschbar sein. Auch das haben noch nicht alle Versicherungsunternehmen so verstanden.
Was macht Sie zuversichtlich, dass die Versicherungen 2017 in Richtung Digitalisierung umdenken?
Das Umdenken in der Versicherungsbranche hat schon vor einiger Zeit begonnen.”
Es gibt Unternehmen, die den Weg der Industrialisierung bereits sehr weit gegangen sind. Andere stehen noch am Anfang. Mein Eindruck ist, dass der Prozess des Umdenkens in den vergangenen Jahren immer mehr Fahrt aufnimmt. Da die Digitalisierung Teil eines evolutionären Prozesses ist, wird sich das auch nicht aufhalten lassen, sondern eher noch beschleunigen.
Und mit ersten erfolgreichen Beispielen werden immer mehr Versicherungsunternehmen auf den Zug der Digitalisierung aufspringen – zum einen weil sie sehen, dass es funktioniert; zum anderen, weil sie erkennen, dass es dazu keine Alternative gibt.”
Herr Dr. Rommel, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.aj
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