Unreguliert = innovativ? Wie lassen sich Währungen sinnvoll ‘kryptonisieren’ – und was heißt das eigentlich?
Die neue Generation in der Kryptofinanz schafft nicht mehr nur neue digitale Währungen, vielmehr entstehen hier IT-basierte Wirtschaftsunternehmen. Das meist durch einen ICO (Initial Coin Offering) generierte Kryptogeld dient zur Finanzierung einer neuen Blockchain Vision. Die «Kryptonisierung» von Finanztransaktionen jeglicher Art fordert nationale wie internationale Regulationen heraus.
von Fabian Kippenberg, CEO Dimcoin
Seit dem Aufmarsch von Blockchain & Co. sehen sich die Finanzinstitute zunehmend im Visier der Krypto-Branche. Dabei profitiert diese gleich von einer ganzen Reihe an Entwicklungen, die sich gegenseitig verstärken: Davon zum Beispiel, dass die Technologie, mit ihrem Peer-to-Peer-Ansatz den Intermediär in Finanzgeschäften überflüssig macht.“Banking is necessary, banks are not” – das Bonmot von Bill Gates aus dem Jahr 1994 ist mehr als 20 Jahre alt. Seine Bedeutung ist jedoch grösser als je zuvor.
Auf Blockchain basierende bankenähnliche Geschäftsprozesse bringen bis zu 95 % Kostenersparnis.”
Aber auch von einem Internet, das keine Bankfilialöffnungszeiten oder keinen Börsenschluss (und aktuell keine Börsenaufsicht) kennt. Von einer technikaffinen Generation, die Alltagsgeschäfte online resp. per Smartphone abwickelt. Davon, dass Vertrauen auch online, im Zweifelsfall sogar anonym, durch einen Algorithmus hergestellt werden kann. Und davon, dass Geschäfte im virtuellen Raum sich nicht (mehr) durch physikalische Grenzen und reale Schlagbäume aufhalten lassen.
Tausend Fragen in einer globalisierten Welt
Wie also umgehen mit einem Europäer, der in Südafrika wohnt, seine Ferien auf den Malediven verbringt, sich dort per Internet auf einer Kryptotauschbörse in London einloggt und in ein ICO mit Stiftungssitz in Japan investiert? Welchem Recht unterliegt er? Wo und wie soll resp. der Gewinn, den er womöglich erzielt, versteuert werden? Wie wird die Höhe der Steuer definiert? Wie überhaupt kann die Legalität der Transaktion überprüft werden? Nach welchen Kriterien? Und wer schlussendlich definiert diese und setzt ihre Einhaltung durch?
(National-)staatliche Regulationen greifen zu kurz
Die aktuelle Lage zeichnet sich durch ein massives Ungleichgewicht aus. Bisher beziehen sich staatliche Regulationen in der Regel auf das jeweils eigene Land. Darüber hinaus kennt der globale Finanzmarkt eine Vielzahl überstaatlicher Vereinbarungen, die häufig im Eingeständnis erheblicher Kompromisse in jahrelangen bi- oder multilateralen Verhandlungen entstanden sind. Was das Kryptobanking angeht, befinden sich hingegen sowohl Banken als auch Regulatoren mehr oder weniger im Experimentierstadium.
Die Krypto-Community ist allerdings über diese Phase stellenweise schon hinaus. Ein ICO dient schon längst nicht mehr nur der Spekulation, indem zu den bislang existierenden mehr als 800 Kryptowährungen noch eine neue hinzu kreiert wird. Mittlerweile dienen ICOs einer mit IPOs vergleichbaren Kapitalbeschaffung, die das Tüfteln an handfesten Applikationen auf Blockchain-Basis finanzieren und die weit über das Kaufen, Halten und Verkaufen von Kryptowährungen untereinander hinausgehen.
Ein Krypto-Startup beispielsweise plant nicht mehr und nicht weniger als eine voll digitalisierte Bank.”
Begünstigt durch eine neue europäische Gesetzgebung, die von der neuen Datenschutzgrundverordnung (GDPR) über eine Zahlungsverkehrsrichtlinie (PSD2) bis zu einer neuen Richtline zur elektronischen Identifizierung und Datenspeicherung (eIDAS) reicht, will man Payment-Funktionen und Services für verschlüsselte digitale Identitäten auf der Blockchain-Technologie anbieten. Dafür will sich das Unternehmen Lizenzen, zunächst als «Authorized Payment Institution», später als «Electronic Money Institution» beschaffen, um in der dritten Ausbaustufe zu einer echten «Commercial Bank» zu werden.
Während sich dieses Projekt den Auflagen auf europäischer resp. EU-Ebene für Finanzdienstleister unterwirft, sehen andere Konzepte weltumspannende neue Finanzservices vor. Weltweite Peer-2-Peer-Geldüberweisungen sollen nicht nur Kosten und Dauer der herkömmlichen Bank- oder Bargeldtransaktionen reduzieren; sie erschließen vielmehr Teile Afrikas und Asiens, wo Menschen zwar kein Bankkonto, aber ein Smartphone besitzen. Hierfür ist angedacht, digitale «Wechselstuben» zu schaffen, die Kryptogeld in FIAT-Geld und umgekehrt wechseln. In der Schweiz genügt gemäß Geldwäschereigesetz die Verpflichtung, sich einer privatrechtlich organisierten Selbstregulierungsorganisation anzuschließen und sich gegebenenfalls von der FINMA kontrollieren zu lassen. Je nach nationaler Regelung gibt es jedoch mehr oder weniger (national-)staatliche Auflagen oder Restriktionen, z. B. zu Devisenbesitz, Zollbestimmungen, usw.
Noch weiter geht die Vision, den Wertschriftenhandel zu «kryptonisieren». Dahinter steckt der Gedanke, dass viele bankrechtliche Auflagen kleinere Investoren oder Unternehmen durch komplizierte und kostspielige Prozess quasi vom Kapitalmarkt ausschliessen. Getreu dem partizipativen Gedanken der Krypto-Community wäre es denkbar, physische Güter oder Rohstoffe vollständig zu digitalisieren und damit lediglich «virtuelle Anteile» davon zu kaufen, zu halten oder wieder zu verkaufen.
Zukunftsvision – wertvolle Güter finanziell teilen
Ein kryptonisierter Diamant, ein Gemälde von ‘van Gogh’ oder ein Luxusrenditeobjekt in Dubai könnten in tausenden Wertanteilen gehandelt werden, so dass auch Menschen mit geringer Kapitalausstattung an ihrer Wertentwicklung teilhaben könnten. Diese «kryptonisierten Werte» können auf hybriden Börsenplattformen gehandelt werden, die dank Blockchain quasi in Echtzeit traden.
«Kryptonisieren» – eine Wortschöpfung wie «googeln»?
Noch stecken viele dieser Startup-Ideen im ICO-Stadium zur Finanzierung. Doch nun werden die Regulatoren an den wichtigsten Finanzplätzen aktiv: In der Schweiz ließ das Eidgenössische Finanzdepartement unlängst verlauten, man arbeite an der «Klärung der rechtlichen Qualifikation von virtuellen Währungen». Die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) in New York hat Ende Juli bekanntgegeben, dass Angebot und Verkauf von bestimmten digitalen Token «den Anforderungen der nationalen Wertpapiergesetze unterliegen würden». In Singapur ist darauf Anfang August die Monetary Authority of Singapore (MAS) in die Offensive gegangen und will die nationalen ICO-Regulationen verschärfen. Gemäß der MAS bewegen sich Tokens aus der virtuellen Währungsdimension hinaus, indem sie beispielsweise die Aussicht auf künftige Gewinnausschüttungen oder Nutzungslizenzen künftiger Anwendungen enthalten und damit in die Nähe von Anteilsscheinen oder Aktien rücken.
Streng genommen kommt in den Augen der Regulatoren bei Plattformen, die den Sekundärhandel solcher Tokens ermöglichen, der «Securities and Futures Act (SFA, Cap. 289) zum Tragen. Noch sind keine Auflagen erlassen worden; das MAS empfiehlt lediglich, unabhängige rechtliche Beratung hinzuziehen.”
Diese Notwendigkeit dämmert auch den Krypto-Startups, zumindest den seriösen unter ihnen. Diese wissen, wo ihr Know-how endet, wobei sie an der grundlegenden «DANN» von Krypto-Banking nicht rütteln lassen wollen: dezentrale Strukturen, niederschwellige Angebote mit wenig Zugangsbeschränkungen, die Verpflichtung auf geltendes Recht, aber auch die Chance, in einem kreativen Umfeld mit den limitierten Ressourcen eines Startups Innovation zu schaffen.
Regulierung tut not – aber zuerst muss definiert werden
Wenn reguliert werden soll, dann muss zunächst viel an Begrifflichkeit geklärt werden. Was ist ein Coin, was ein Token? Hinzu kommen wichtige Fragen des Zugangs und der Identifikationsprozesse: Wie weit muss ein KYC-Prozess gehen und wie soll er konkret aussehen? Wie sieht es mit Sicherheit und Verfügbarkeit aus? Welche Behörden überwachen diese Prozesse und geben Definitionen vor?
Derzeit profitiert die Kryptowelt noch davon, dass die Ausgangslage weltweit ähnlich ist. Standortwettbewerb findet momentan allenfalls gemäss geltendem Stiftungsrecht, der Verfügbarkeit von qualifizierten Entwicklern oder den Kosten statt. Die unregulierten Märkte geben jedenfalls die einmalige Chance, etwas aufzubauen, was mit den verfügbaren Ressourcen nie wieder so revolutionär aufbrechen kann. Wer sich dabei an die Dotcom-Blase erinnert fühlt, mag auch daran denken, dass sich damals ebenfalls erst die Spreu vom Weizen trennen musste und sich schlussendlich jene Player am Markt durchsetzten, die einen soliden Business Case aufwiesen und mit nachhaltige Geschäftsmodellen in den Markt eintraten.
Das Befolgen aller notwendigen «Rules und Regulations» gehört da selbstverständlich dazu.” Fabian Kippenberg
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