Neue Chancen durch den Brexit: FinTech-Standort Deutschland auf Wachstumskurs
Die FinTech-Branche in Deutschland ist auf einem guten Weg, wie eine umfassende Studie der Unternehmensberatung EY zeigt. Die Zahl der FinTech-Unternehmen in Deutschland wächst im ersten Halbjahr 2017 um fünf Prozent – weiterhin solides aber leicht verlangsamtes Wachstum. Dabei legt die Größe der Risikokapital-Investitionen weiter zu. Der Kapitalzufluss liegt im ersten Halbjahr 2017 bereits bei 307 Mio. Euro im Vergleich zum Gesamtjahr 2016 mit insgesamt 400 Mio. Euro. Als Zentrum der FinTech-Szene etablieren sich die Region Rhein-Main-Neckar sowie der Berliner Raum. Gerade im Raum Frankfurt bemüht sich die Finanzindustrie um den Schulterschluss mit den jungen Unternehmen. Im Jahr 2017 entstanden vor allem viele Start-ups im Umfeld Immobilen, sogenannte PropTechs.
Deutschlands FinTech-Unternehmen gelingt es zunehmend, zu einem aus eigener Kraft wachsenden dynamischen und diversifizierten Cluster zu werden. Dies ist ein wesentliches Ergebnis der aktuellen Studie „Germany Fintech Landscape“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die zusammen mit Frankfurt Main Finance die deutsche FinTech-Branche untersucht hat und Möglichkeiten für deren weitere Förderung aufzeigt.Klar erkennbar ist laut Studie der Trend der Finanzinstitute, verstärkt auf die Herausforderung durch Produkte und Dienstleistungen der FinTech-Unternehmen zu reagieren. Die Mehrzahl der zehn größten Banken investieren heute in und / oder kooperieren mit FinTechs. Des Weiteren zeigt sich, dass die Geschäftsmodelle der FinTechs reifer werden und diese beispielsweise auch durch Kooperationen untereinander in die nächste Entwicklungsphase gehen, um ihre Marktposition zu stärken.
307 Mio. Euro Kapital ist reichlich vorhanden
Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der FinTech-Unternehmen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent auf 295 (2016: 280). Der Kapitalzufluss lag im ersten Halbjahr bereits bei 307 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2016 hatten die FinTech-Unternehmen in Deutschland 400 Millionen Euro eingesammelt. Die Anzahl der Abschlüsse legte ebenso zu wie die durchschnittliche Größe der Deals, die leicht von 7 Millionen Euro auf 7,3 Millionen Euro anstieg.
Auch wenn die absoluten Wachstumsraten leicht abflachen, zeigt sich weiter eine durchgängig positive Dynamik bei allen wesentlichen Kennzahlen. Das zeige, dass sich die FinTech-Landschaft in Deutschland weiterhin auf einem erfreulichen Pfad befinde, sagt Jan-Erik Behrens, Mit-Autor und Partner bei EY.
Die Entwicklung, die wir hierzulande bei FinTechs beobachten, läuft auf ein weiteres Rekordjahr zu und zeigt eindrucksvoll die Innovationskraft des Standorts Deutschland mit unterschiedlichen regionalen Stärken.”
Jan-Erik Behrens, Partner bei EY
FinTech-Branche verschiebt Fokus und Geschäftsmodelle gewinnen an Reife
Die deutschen FinTechs rücken immer stärker an die Kernfunktionen der Finanzdienstleister heran. Das gilt etwa für Bezahlsysteme über Internet oder mobile Geräte (Payments), Kredite (Lending), aber auch Angebote für die Immobilienwirtschaft (PropTech), die Versicherungsbranche (InsurTech) und der Vermögensanlage (InvesTech) und elektronische Marktplätze (Financial E-Marketplaces & Aggregators). Etwa 67 Prozent der neuen FinTechs kommen aus diesen Kernsegmenten, 33 Prozent sind Gründungen im Bereich Enabling FinTechs, zu dem Finanz- und Prozesssteuerungssoftware (Processes & Technology), Finanzdatenanalyse und Regulierungsmanagementservices (RegTech) zählen.
Die Studie zeigt eine Verschiebung der FinTech-Aktivitäten. Segmente, die in den letzten Jahren das Wachstum stark getrieben hatten, waren InvesTech, Financing & Funding und InsurTech. Im ersten Halbjahr 2017 hingegen ist eine sehr hohe Aktivität im Bereich PropTech zu verzeichnen, was nicht zuletzt auch dem starken Immobilienmarkt in Deutschland geschuldet sein dürfte, wie die Studie vermutet.
Berlin und Rhein-Main-Neckar: führende Standorte in Deutschland
Vor allem die Regionen Berlin und Rhein-Main-Neckar bauen innerhalb Deutschlands ihren Status als FinTech-Hotspots aus: Berlin verzeichnet aktuell 80 FinTech-Unternehmen, in der Region Rhein-Main-Neckar sind 72 Unternehmen aktiv. Mit einigem Abstand folgt München, der dritte der führenden FinTech-Standorte innerhalb Deutschlands. In der bayerischen Hauptstadt haben noch immerhin 45 FinTechs ihren Sitz.
Der Rhein-Main-Neckar-Region, angeführt von Frankfurt, bescheinigt die Studie deutliche Fortschritte auf dem Weg, sich als führender Zielort für die Ansiedlung von FinTechs zu etablieren. Die besonderen Stärken der Region Rhein-Main-Neckar sieht die Studie im Bereich Veranstaltungen & Netzwerke sowie im Bereich Infrastruktur. Zahlreiche Inkubatoren, Acceleratoren, Investorentreffen und Vernetzungsinitiativen wurden ins Leben gerufen und mit Erfolg gestartet. Beim Image und Finanzierungsmöglichkeiten hat die Region allerdings noch Steigerungspotenzial. „Internationale Investoren konzentrieren sich noch weiter auf London oder Berlin“, stellt Behrens fest. „Deshalb muss die FinTech-Community an ihrer internationalen Sichtbarkeit arbeiten, um auch Investoren aus dem Ausland anzuziehen.“
Brexit könnte einen Schub bringen – vor allem für die Region Frankfurt
Zu den Trends, die die Entwicklung der FinTechs in Zukunft beeinflussen werden, verweist die Studie darauf, dass der Brexit die Attraktivität der deutschen FinTech-Zentren steigern dürfte. Wie etliche Finanzinstitute, die sich bereits für die Verlagerung von Geschäftseinheiten von London in die EU, vor allem auch nach Frankfurt, entschieden haben, dürften auch FinTech-Unternehmen folgen.
Der führende Finanzplatz der EU hat die Chance, zugleich führender Standort für die jungen, innovativen und agilen Unternehmen zu werden. Frankfurt und die Rhein-Main-Neckar-Region stehen in einem weltweiten Wettbewerb, und London bleibt absehbar die Benchmark in Europa, an der uns Gründer messen werden.”
Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance
Väth ergänzt, vor allem bei der Offenheit für die Zusammenarbeit mit Gründern, der sozialen Akzeptanz eines Scheiterns und des folgenden Neuanfangs sowie bei der steuerlichen Behandlung von Verlusten aus Risikokapital müsse man noch besser werden.
Die großen Finanzinstitute suchen nach passenden FinTechs
Die wachsende Präsenz von FinTechs im Finanzsektor hat Banken und andere Finanzinstitute dazu veranlasst, verschiedene Initiativen ins Leben zu rufen und so auf die Herausforderung durch die kleinen, wendigen Start-ups zu reagieren. So haben neun der zehn größten Banken Deutschlands Kooperationen mit FinTech-Unternehmen begonnen, einige haben gar selbst in FinTechs investiert wie etwa die Commerzbank über ihre Investment-Vehikel Commerz Ventures und Mainincubator oder die Deutsche Börse über db1 Ventures.
„Die Banken beobachten die FinTech-Unternehmen und ihre Lösungen sehr genau – sie kooperieren mit den Startups und investieren zum Teil selber. Bei der Entwicklung eigener innovativer Lösungen bzw. Produkte haben sie aber noch Nachholbedarf“, beobachtet Christopher Schmitz, Mit-Autor und Partner bei EY.
Die aktuellen Initiativen der Banken sind noch vereinzelte und wenig koordinierte Antworten auf die FinTech-Herausforderung. Ein umfangreiches Leistungsangebot auf einer digitalen Plattform, wo sowohl eigene Produkte als auch die von externen Dienstleistern angeboten werden, wäre eine angemessene Antwort. Die Banken arbeiten zwar daran, aber von für Kunden greifbaren Mehrwerten ist bislang wenig zu sehen.”
Christopher Schmitz, Partner bei EY
Digitale Plattformökonomie dank „Open Banking“
Während Finanzinstitute noch an einer angemessenen Reaktion auf die FinTech-Herausforderung arbeiten, expandiert eine zunehmende Zahl von FinTechs außerhalb ihres Kernmarktsegments, beobachtet Schmitz. Sie setzen dabei zunehmend auf Partnerschaften mit anderen FinTechs. Es ist auch bemerkenswert, dass die reiferen FinTechs versuchen, bereits ihre eigenen Ökosysteme rund um das Kernproduktportfolio aufzubauen. Gut zu erkennen ist dies an Beispielen wie N26, die ihr Leistungsspektrum schnell durch Kooperationen mit anderen FinTechs ausgebaut haben. Die PSD2, die den Zugang für Dritte zu Zahlungskonten ab 2018 etabliert, sowie die zu erwartende weitere Öffnung im Rahmen der „Open Banking“ Bestrebungen bereitet der digitalen Plattformökonomie im Finanzdienstleistungsbereich den Weg. Daher wird sich der Wettbewerb mit etablierten Finanzinstituten intensivieren, erwartet Schmitz.
Die komplette Studie „Germany Fintech Landscape“ können Sie hier herunterladen.tw
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