Verlagerung der Bankfiliale in den Handel – Carl-Ludwig Thiele skizziert die Bargeld-Zukunft
Viele und immer mehr Handelsunternehmen ermöglichen ihren Kunden, im Rahmen des Cashback-Verfahrens ihre Einkäufe mit der Karte zu bezahlen und dabei Bargeld abzuheben. Dies ist seit langem erfolgreiche Praxis. Recht neu sind hingegen Bargeldein- und auszahlungen von einem Girokonto an der Supermarktkasse – und das, ohne dass damit ein Warenkauf verbunden ist. Kurz: cash-in-shop. Das ist faktisch eine Verlagerung der Bankfiliale, beziehungsweise des Geldautomaten in den Handel. Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Bundesbank, stellte Ende Februar die Zukunftsperspektive der Deutschen Bundesbank für den Bargeldkreislauf vor.
von Nadja Graf
Als Zentralbank ist es für sie wichtig, das im Bargeldkreislauf auftauchende Falschgeld schnell zu erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen. Wer weiß: vielleicht werden wir in zehn Jahren unser Geld im Supermarkt abheben und nicht mehr am Geldautomaten. Bargeld ist ein aktuelles Thema und es bleibt spannend. Viele Akteure im “Bargeldmarkt” arbeiten an modernen, effizienten und sicheren Verfahren. Viele Nutzer vertrauen auf die Vorteile von Bargeld. Damit wir auch in Zukunft noch eine Wahl zwischen baren und unbaren Zahlungsmitteln haben, ist die Existenz des Bargelds erforderlich.Bargeld hat für mich eindeutig eine Zukunft.“
Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Bundesbank
Komplexer Bargeldkreislauf regelt den Zahlungsverkehr
In Deutschland hat die Bundesbank das alleinige Recht, Banknoten auszugeben. Bei den Euromünzen liegt zwar das sogenannte Münzregal beim Finanzminister, die Bundesbank bringt aber die Münzen in den Umlauf. Die Notenbank fungiert als Zentrum des Bargeldkreislaufs. Ihre 35 Filialen bearbeiten und prüfen jedes Jahr etwa 15 Milliarden Banknoten mit modernen Maschinen. Mit der Bearbeitung des Bargeldes in den Filialen stellen die Mitarbeiter die hohe Qualität des Banknotenumlaufs, eine reibungslose sowie effiziente Bargeldversorgung sicher.
Die Banken leiten es an Unternehmen und private Haushalte weiter. Diese geben es überwiegend im Handel wieder aus. Handel und Verbraucher zahlen überschüssiges Bargeld bei den Geschäftsbanken ein. Diese behalten einen Teil für ihre Kassenbestände und für die Wiederauszahlung an Kunden. Das restliche Bargeld fließt zurück an die Bundesbank. Den Transport der Noten und Münzen übernehmen in der Regel private Wertdienstleister.
Dies ist nur eine grob vereinfachte Darstellung des Bargeldkreislaufs, es gibt unzählige Besonderheiten.
Alle bei der Bundesbank eingezahlten Banknoten werden einer sehr strengen Prüfung unterzogen und abgenutzte oder im Einzelfall auch gefälschte Scheine aussortiert und durch neue ersetzt. Auch wenn Kreditinstitute Bargeld wieder ausgeben, ohne dass dieses vorher bei der Bundesbank untersucht wurde, ist eine Prüfung auf Echtheit und Umlauffähigkeit gesetzlich vorgeschrieben. Die Bundesbank überwacht sorgfältig, unter anderem durch Vor-Ort-Kontrollen, ob die Banken dem ordnungsgemäß nachkommen.
Die Entscheidung, welche Zahlungsmittel in welcher Menge nachgefragt werden, obliegt allein den Marktakteuren.
Bargeldumlauf wächst weltweit
Es wird mitunter so getan, als stünde die Abschaffung des Bargelds unmittelbar bevor. Doch die Fakten zeigen: Der Banknotenumlauf des Euro wächst von Jahr zu Jahr.”
Es wird mitunter so getan, als stünde die Abschaffung des Bargelds unmittelbar bevor. Doch die Fakten zeigen: Der Banknotenumlauf des Euro wächst von Jahr zu Jahr.”
Nach Beginn der Einführung des Euro-Bargeldes waren Ende Januar 2002 220 Milliarden Euro als Banknoten ausgegeben. Ende 2004 hatte sich die Menge auf 500 Milliarden Euro erhöht, im Wesentlichen durch Umtausch der Altwährungen DM, Franc und Lira in Euro. Ende 2004 bis Ende 2014 hat sich die ausgegebene Bargeldmenge von 500 Milliarden Euro auf 1.000 Milliarden Euro verdoppelt. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil des von der Bundesbank ausgegebenen Bargeldes um 7,2 Prozent oder 43 Milliarden Euro – rein Nachfrage getrieben. Die Gesamtmenge der vom Eurosystem ausgegebenen Banknoten belief sich Ende 2017 auf 1.171 Milliarden Euro. Davon haben die Filialen der Bundesbank etwa 600 Milliarden Euro, also über die Hälfte, emittiert. Der Banknotenumlauf wächst seit der Euro-Bargeldeinführung kontinuierlich und hat sich seit der Euro-Bargeldeinführung mehr als verfünffacht. Die jährlichen Wachstumsraten liegen dabei weit über den Inflationsraten. In den vergangenen Jahren betrugen sie meist über 5 Prozent.
Mit dieser Entwicklung steht der Euro im Übrigen auch nicht alleine da. Es gibt fast dreieinhalb Mal so viele US-Dollar Banknoten wie 20 Jahre zuvor. Die gleiche Entwicklung zeigt sich für das britische Pfund. Und auch der Banknotenumlauf des Schweizer Franken hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt. Bargeld ist also auch international sehr beliebt.
Aber nicht jede von der Zentralbank ausgegebene Banknote findet an der Handelskasse, dem Point-of-Sale, Verwendung. Es wird geschätzt, dass sich etwa 65 bis 70 Prozent der von der Bundesbank ausgegebenen Banknoten im Ausland befinden. Ursachen hierfür sind der Tourismus, eine hohe Zahl von ausländischen Arbeitskräften und die damit verbundenen Geldsendungen in die Heimat, sowie enge Handels- und Finanzbeziehungen mit anderen Ländern.
Etwa 20 bis 25 Prozent der ausgegebenen Banknoten werden im Inland gehortet, zum Beispiel im klassischen Sparstrumpf. Die Wertaufbewahrungsfunktion von Bargeld ist insbesondere in unsicheren Zeiten, in denen die Bevölkerung physisch greifbares Geld einer Notenbank halten möchte, von immenser Bedeutung. Dies zeigen die Zahlen im Nachgang des Oktobers 2008 im Zusammenhang mit der Lehman-Krise.
Nur geschätzte etwa 10 Prozent aller ausgegebenen Euro-Banknoten finden sich in der Transaktionskasse der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher und werden somit zum Bezahlen verwendet.”
Hohe Zufriedenheit mit klassischen Bezahlverfahren in Deutschland
Die Bundesbank untersucht mit ihrer Studie “Zahlungsverhalten in Deutschland” seit 2008 regelmäßig, wie sich die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Ladenkasse beim Bezahlen verhalten und für welches Zahlungsmittel sie sich entscheiden: sei es Bargeld, die Zahlung mit der Karte oder mit einem anderen Zahlungsmittel. 2017 wurde zum vierten Mal das Zahlungsverhalten der Bevölkerung in Deutschland untersucht.
Hier sieht es danach aus, als ob einige Verbraucherinnen und Verbraucher mittlerweile lieber mit der Karte bezahlen.”
2008 wurden knapp 58 Prozent der Umsätze an der Ladenkasse bar getätigt, 2014 waren es noch 53 Prozent. Die aktuelle Erhebung aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass heute weniger als 48 Prozent der Umsätze an der Ladenkasse bar abgewickelt werden. Ein Rückgang von etwas über 10 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Eine wichtige Nachricht dabei ist: Bargeld ist auch 2017 das beliebteste Zahlungsmittel am Point-of-Sale – im Vergleich der Zahlungsmittel untereinander sowie absolut gemessen an der Anzahl der Transaktionen. 2017 wurden mehr als 74 Prozent der Transaktionen bar abgewickelt. Jedoch lag der Anteil auch hier vor zehn Jahren noch etwa acht Prozentpunkte höher.
Wirft man einen tieferen Blick auf die Ergebnisse der aktuellen Befragung, ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Nahezu alle, nämlich 96 Prozent, der Kleinbetrag-Zahlungen bis 5 Euro werden bar beglichen. Auch bei Ausgaben bis 50 Euro entscheiden sich die Verbraucherinnen und Verbraucher meist für das Bargeld als Zahlungsmittel. An bestimmten Orten und für bestimmte Zwecke, beispielsweise bei Zahlungen zwischen Privatpersonen sowie beim Essen und Trinken außer Haus wird überwiegend bar bezahlt.
Die Untersuchung zeigt auch klar, dass 88 Prozent der Befragten in Zukunft unverändert mit Bargeld bezahlen möchten. Eine Bargeldeinschränkung, Stichwort “Bargeldobergrenze”, oder gar eine Abschaffung von Bargeld, wird in der Bevölkerung, unserer Studie zufolge, klar abgelehnt.”
Dennoch sind die Wachstumsraten bei unbaren Zahlungsmitteln wie kontaktlosen Kartenzahlungen, Internet- und mobilen Bezahlverfahren hoch. Besonders jüngere Verbraucherinnen und Verbraucher suchen Alternativen zum klassischen Zahlungsverkehr. So können sich insgesamt 15 Prozent der Befragten vorstellen, ihr Girokonto statt bei einer Bank oder Direktbank beispielsweise bei einem Internetanbieter zu führen.
Mehr als jede oder jeder fünfte 18- bis 24-Jährige möchte bereits heute mit dem Mobiltelefon Geld an Freunde und Bekannte senden können. 38 Prozent aller Befragten geben an, dass es zu lange dauert, bis bei Überweisungen das Geld auf dem Konto gutgeschrieben ist.”
Über alle vier Studien zum Zahlungsverhalten zwischen 2008 und 2017 zeigt sich eine insgesamt hohe Zufriedenheit mit klassischen Bezahlverfahren und eine nur langsame, aber stetige Änderung im Bezahlverhalten. Die Zahlen zeigen jedoch auch klar: Der Trend zum Bargeld ist seit dem Beginn der Befragungen im Jahre 2008 leicht rückläufig. Insbesondere die ec-Karte oder girocard gewinnt in kleinen Schritten, aber stetig, dazu. Welche Auswirkungen dieser Trend mittelfristig auf die Transaktionskasse haben wird, kann man derzeit nicht abschätzen.
Bargeld verursacht Kosten
Allein in der Bundesbank sind über 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bargeldbereich tätig. Zu den Personalkosten der Bundesbank kommen beispielsweise Infrastrukturkosten bei den Kreditinstituten und im Handel noch hinzu. Diese Kosten werden letztlich von den Verbraucherinnen und Verbrauchern über den Preis der Ware oder der Dienstleistung getragen. Die Kosten des Bargelds sind dem Einzelnen möglicherweise nicht immer vollständig bewusst.
Eine Studie zu “Kosten und Nutzen des Bargelds und unbarer Zahlungsinstrumente“, die im Auftrag der Bundesbank erstellt und 2014 veröffentlicht wurde, nennt für Deutschland …
… Kosten in Höhe von 36 Cent je Barzahlung. Eine Zahlung mit Debitkarte kostete hingegen 82 Cent, eine Zahlung mit Kreditkarte sogar 2,73 Euro.”
Betrachtet man die Kosten in Prozent des Umsatzes ist hingegen die Debitkarte günstiger als die Barzahlung: 1,33 Prozent des Umsatzes bei der Debitkarte und 1,78 Prozent bei der Barzahlung mussten jeweils aufgewendet werden. Die Kosten, die eine Barzahlung und eine Zahlung mit Karte verursachen, sind also nicht zu vernachlässigen. Die gute Nachricht ist, dass Kosten beeinflusst werden können.
Im Bereich der unbaren Zahlungsmittel findet seit vielen Jahren ein Streben nach mehr Effizienz statt. Noch vor 25 Jahren konnte man selbst im Supermarkt seinen Einkauf mit einem Eurocheque bezahlen. Und heute wird das kontaktlose Bezahlen mit der Karte beworben. Die nationalen Nachrichtenformate im Massenzahlungsverkehr wurden durch SEPA standardisiert, mit entsprechenden Folgen für die Abwicklungsgeschwindigkeit und letztlich auch die Kostenseite. Und die Zentralbanken bieten künftig sogar Massenzahlungen in Echtzeit an – ohne den technologischen Fortschritt der vergangenen Jahre undenkbar.
Für die Frage, ob Bargeld eine Zukunft hat, spielen die Entwicklungen im unbaren Zahlungsverkehr naturgemäß eine Rolle. Sinken durch den technologischen Fortschritt, die zunehmende Standardisierung oder andere Entwicklungen die Kosten unbarer Zahlungsmittel weiter, verschiebt sich mittelfristig die Kosten-Nutzen-Relation. Früher haben Händler bei Barzahlung teilweise Rabatte gewährt.
In der Vergangenheit wurden bereits viele Weichen gestellt, die zu mehr Effizienz geführt haben. Ein Beispiel ist die Einführung der Multistückelungsbearbeitung in der Bundesbank. Früher mussten Banknoten getrennt nach Stückelungen eingezahlt werden. Durch die Anschaffung einer neuen Generation von Banknoten-Bearbeitungsmaschinen war das nicht mehr notwendig. Die neuen Maschinen führten innerhalb von zwei Jahren zu einem rund 40-prozentigen Anstieg des stündlich möglichen Bearbeitungsvolumens je Mitarbeiter. Zudem wurde der Bargeldkreislauf durch die Multistückelung verkürzt – also effizienter – weil der Zwischenschritt zur Aufbereitung nach Stückelungen entfiel. Investitionen in die Automatisierung lohnen sich, dies hat die Einführung der Multistückelungsbearbeitung klar gezeigt.
Ein anderes Erfolgsbeispiel ist CashEDI. Als die Bundesbank 2004 erste Überlegungen zu einer elektronischen Öffnung ihrer Bargeldanwendung anstellte, stand im Mittelpunkt, einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen im Bargeldverkehr durch einen standardisierten elektronischen Datenaustausch zu erreichen. CashEDI hat die Effizienz im Bargeldkreislauf erhöht, indem Kassengeschäfte schneller abgewickelt werden und noch wichtiger, Daten bei professionellen Bargeldakteuren mehrfach genutzt werden können. Dazu kam ein Mehr an Transparenz durch die Nachverfolgbarkeit – “Tracking und Tracing” – von Bargeldbehältnissen. Nicht zu vergessen erhöhte sich durch die Trennung von Geld- und Informationsfluss die Sicherheit, da auch durch die elektronische Datenübermittlung die Gefahr von Manipulationen sank. CashEDI ist ein Paradebeispiel, wie eine Innovation dem gesamten Markt zu Gute kommt.
Abschaffung von Bargeld als Problemlösung?
Bargeld hat aber nicht nur Anhänger. Der so genannte “War on Cash” erinnert dabei an vielen Stellen an eine Kampagne.”
Bargeld hat aber nicht nur Anhänger. Der so genannte “War on Cash” erinnert dabei an vielen Stellen an eine Kampagne.”
Man kann den Eindruck gewinnen, das Bargeld abzuschaffen, wäre das Mittel zur Lösung vieler Probleme. Angefangen von der Weitergabe negativer Zinsen, bis hin zur Verhinderung von Geldwäsche, von Steuerhinterziehung oder sogar der Finanzierung von Terrorgruppen. Die Kampagne hat politisch zu Reaktionen geführt. Das Eurosystem hat einen Produktions- und Ausgabestopp für die 500-Euro-Banknote angekündigt. Damit hat der EZB-Rat Bedenken Rechnung getragen, dass diese Banknote illegale Aktivitäten fördern könnte. In den vergangenen Jahren haben zudem mehrere Länder in Europa, darunter Spanien, Frankreich und Italien, Beschränkungen für Barzahlungen eingeführt. Nach den fürchterlichen Terroranschlägen in Paris reduzierte die französische Regierung beispielsweise die Grenze von 3.000 auf 1.000 Euro. Es ist fraglich, ob in Ländern mit Bargeldbeschränkungen weniger Kriminalität oder Schattenwirtschaft stattfinden würde als in Ländern ohne Bargeldobergrenzen.
Verbraucher schätzen Bargeld als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel.”
Der Artikel basiert auf der Rede von Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Bundesbank. Sie wurde gehalten am 28. Februar 2018 in Frankfurt. Die Rede finden Sie hier im Original.aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/67242
Schreiben Sie einen Kommentar