Innovationen für das Banking von morgen – Teil 1: “Mondragon” – die digitale Genossenschaft
In den Banken hat das Thema “Innovation” derzeit Hochkonjunktur. Nur mittels neuer Ideen, Verfahren, Technologien und Services glaubt man sich gegen die neuen Mitbewerber, wie FinTech-Startups und die Internetkonzerne, behaupten zu können. Der eigentliche Schwerpunkt der Aktivitäten liegt jedoch auf der Technologie. Von vielen Seiten ist zu hören, dass die Banken sich in Technologieunternehmen oder gar Softwareunternehmen zu wandeln hätten, sofern sie nicht bald von der Bildfläche verschwinden wollen. Innovation wird mit Technologie gleichgesetzt. Das ist eine stark eingeschränkte Sicht auf Innovationen – am Beispiel der spanischen “Mondragon Digital”.
von Ralf Keuper
Organisatorische und soziale Innovationen
Eine der wirkungsmächtigsten organisatorischen und sozialen Innovationen der letzten 200 Jahre ist die Genossenschaft. Laut Theresia Theurl, Leiterin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster, sind Genossenschaften Pioniere der Kooperation und damit Vorläufer heutiger Netzwerkorganisationen. Wenn Menschen mit ähnlich gelagerten Interessen und von gleicher sozialer Stellung sich zusammentaten, dann konnten sie Großes bewirken, d.h. sie konnten selbsttragende Wirtschaftsstrukturen schaffen, die allen ein auskömmliches Dasein ermöglichten. Der Bedarf an Genossenschaftsbanken entstand, als die Landwirtschaft längerfristige Kredite benötigte. Diese Organisationsform hat sich bis heute im Banking in Form der Genossenschaftsbanken erhalten.
Beispiel “Mondragon Bank”
Der Genossenschaftsgedanke wurde im Banking über die Jahrzehnte weiterentwickelt, wie in Spanien durch die “Mondragon Bank”(Wikipedia). Sie ist Teil der Mondragon Genossenschaft (Wikipedia). Über das Erfolgsrezept der Mondragon Bank schreibt Joel Baker:
Die Mondragon-Bank betrachtet sich selbst nicht nur als Hüter des Geldes, über das sie verfügt, sondern als Katalysator, der zur Gründung neuer Unternehmen innerhalb der Struktur des Mondragon-Kooperativenkomplexes beiträgt. Sie hat für alle, die bereit sind neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Türen weit geöffnet. Diese Einstellung und nicht zuletzt auch die großartigen Fähigkeiten, die in Mondragon entwickelt wurden, um Unternehmensgründungen zu fördern, haben dazu geführt, dass die Erfolgsquote bei 80% liegt! So hoch ist auf dem Rest der Welt der Anteil der gescheiterten Unternehmen!”
Das Mondragon-Modell. Ein neuer Weg für das 21. Jahrhundert 1998. Auch in Englisch
Jedes Organisationsmodell stösst irgendwann an seine Grenzen bzw. gerät durch Entwicklungen im Marktumfeld in Bedrängnis. So geschah es auch der Mondragon-Genossenschaft im Jahr 2013, als das Mitgliedsunternehmen Fagor, der größte Hersteller von Elektrogeräten in Spanien, in Schieflage geriet. Auch die Mondragon-Bank konnte den Kapitalbedarf von Fagor nicht mehr finanzieren. Trotzdem gilt die Mondragon-Genossenschaft in Spanien als ungewöhnlich stabil.
Neue Organisationsformen: Datengenossenschaften
Neben Boden, Kapital und Arbeit sind Informationen ein weiterer, neuer Produktionsfaktor. Die Bewirtschaftung des immateriellen Wirtschaftsgutes Information ist derzeit von einer ähnlichen Macht-Asymmetrie geprägt wie die Landwirtschaft gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Nutzer werden kaum bis gar nicht an den Erträgen beteiligt, welche die Internetkonzerne, allen voran Facebook und Google, aus der Verwertung ihrer Daten erzielen. Gleiches blüht den Unternehmen und hier vor allem dem Mittelstand mit der Verbreitung des Internet of Things (IoT). Auch hier haben Google, Microsoft, Amazon & Co. ihren Hut bereits in den Ring geworfen.
Ähnlich wie in der Vergangenheit die Warengenossenschaften bzw. die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften benötigen wir heute, so u.a. Theresia Theurl und Hans-Jörg Naumer, Datengenossenschaften. Theurl plädiert für die Errichtung von Daten-Clouds, die nach dem genossenschaftlichen Prinzip organisiert werden. Mit ihnen ist es möglich, “den Zugriff, die Verarbeitung und die Verwendung von Daten selbst zu organisieren und die ggf. damit verbundenen Gewinne selbst zu behalten”, so Theurl.
Vorläufiges Fazit: Genossenschaften sind auch eine Plattform
Die Genossenschaftsidee ist zukunftstauglich; jedoch nicht im Sinne eines “Weiter so!”, d.h. wir digitalisieren unsere Abläufe, versuchen die Kundenansprache über das Internet zu intensivieren und mittels Data Science zu verfeinern, richten Innovation Labs ein, kooperieren hier und da mal mit FinTech-Startus, bieten weiterhin gruppenspezifische Lösungen (wie Bezahlverfahren, Identitätslösungen) an und versuchen damit irgendwie einen Wallet Garden zu ziehen, d.h. das Bestehende digital zu transformieren. Das wird nicht mehr funktionieren. Dafür haben sich die Markt- und Branchenstruktur zu sehr gewandelt. Keine Bank oder Bankengruppe, sei sie auch noch so groß und vielfältig, ist noch in der Lage, die verschiedenen Facetten des Banking über alle relevanten Kommunikationskanäle abzudecken.
Die Plattform (Amazon, Apple, Alibaba, Samsung, Microsoft etc.) ist das neue, dominierende Organisationsmodell. Genossenschaften haben große Ähnlichkeit mit dem Modell der Plattform oder Netzwerkorganisation.”
Anders als bei den Internetkonzernen steht bei den Genossenschaften jedoch die Teilhabe, die Kooperation, das gemeinsame Ziel im Vordergrund. Nur wenn es den Genossenschaftsbanken gelingt, den Kunden das Gefühl zu vermitteln, auch in der Daten- oder Digitalökonomie mit ihnen zusammen etwas zum Besseren bewirken zu wollen, können sie ihre Rolle, zumindest in Teilen, behaupten. Ansatzpunkte wären m.E. das Digitale Dorf und die Digitale Stadt, d.h. die Vernetzung mit dem regionalen, digitalen Ökosystem. Das jedoch erfordert eine andere Kultur, andere Organisationsformen und eine andere Unternehmenspolitik. Quasi Mondragon Digital.Ralf Keuper
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