Vaporisiert – und nicht nur digitalisiert (Teil 2): Das Banking sucht sich eine neue Form
Das Banking, so der Tenor des 1. Teils, wird als Folge der fortschreitenden Digitalisierung und des Medienwandels in seine kleinsten Bestandteile zerlegt. Es zerstäubt sich und lässt sich auf den großen digitalen Plattformen und Ökosystemen nieder. Die Funktion (Banking) sucht sich eine neue Form (Plattform/Ökosystem). Weitere, weniger zentralistische Formen sind denkbar. Allen Auflösungserscheinungen zum Trotz bahnt sich eine Renaissance des Banking an.
von Ralf Keuper
Früher bezog eine Volkswirtschaft ihre Stärke aus ihrer Produktionsbasis, ihrem Kapitalstock. Maschinen, Gebäude und Rohstoffe waren die tragenden Säulen. Mit dem Übergang in die nachindustrielle Gesellschaft (Daniel Bell) wurden das theoretische und praktische Wissen die wichtigsten Ressourcen.Das Informationszeitaler, dessen theoretischer Grundstein im Jahr 1948 von Claude Shannon in A Mathematical Theory of Communication gelegt wurde, begann (Vgl. dazu: Am Anfang war das Bit: zum 100. Geburtstag von Claude Shannon). Produktionsprozesse konnten mathematisch beschrieben und mit Software abgebildet/codiert werden. In der vernetzten Produktion (Industrie 4.0) bekommen Maschinen einen Digitalen Zwilling. Der, wenn man so will, digitale Zwilling des Menschen ist seine digitale Identität. Beide gehören zur Gruppe der Informationsgüter.
Heute lässt sich zu jedem Wirtschaftsgut ein digitaler Zwilling kreieren. Digitale Zwillinge können mit Rechten und Pflichten ausgestattet werden. In einem bestimmten Umfang können sie Transaktionen selbständig durchführen (Bestellungen, Bezahlen).”
Der nächste Schritt ist die Tokenization of Everything. d.h. Wirtschaftsgüter werden virtualisiert und ihr Wert in kleine, handelbare Einheiten (Tokens) aufgeteilt. Die Digitalisierung von Vermögenswerten wird daher als die größte Herausforderung und Chance der Finanzindustrie gehandelt (Vgl. dazu: The tokenization of assets is disrupting the nancial industry. Are you ready? & Digitalisierung des Eigentums).
Als erstes FinTech-Startup in Deutschland erhielt vor wenigen Tagen Bitbond von der BaFin die Zulassung für den Handel mit Security Tokens.
Software-Roboter weiten ihr Tätigkeitsfeld aus
In den letzten Jahren hat die Robotic Process Automation (RPA) im Banking Einzug gehalten. Bislang beschränkt sich ihr Einsatz auf die Erledigung von Routinetätigkeiten. Das könnte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern, wie Brian Arthur in The second economy zu bedenken gibt. Nach Arthur ist die zunehmende Intelligenz automatisierter Systeme die größte Veränderung seit der industriellen Revolution.
Das Muskelsystem der industriellen Revolution wird abgelöst durch das Nervensystem der digitalen, vernetzten Ökonomie. Die intelligenten automatisierten Systeme sind darauf ausgelegt, durch den Einsatz von Sensoren Veränderungen in der Außenwelt wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Denkbar sind Multiagentensysteme, die in der Lage sind, auch komplexe Tätigkeiten zu übernehmen – sowohl in der Produktion als auch im Banking. Im Jahr 2017 sorgte der damalige Chef der Deutschen Bank, John Cryan, mit der Aussage für Aufsehen, dass, nachdem in den Banken Menschen arbeiten, die sich wie Roboter verhalten, künftig Roboter arbeiten würden, die sich wie Menschen verhalten. Großes Potenzial liege, so Dr. Udo Milkau, in der Kombination von Künstlicher Intelligenz und RPA (Vgl. dazu: „Künstliche Intelligenz“ und „Robotic Process Automation“ verändern Transaction Banking).
Vaporisierung führt zum Wettlauf um den Universellen Identity Graphen
Von der Vaporisierung erfasst werden, wie schon erwähnt, die digitalen Identitäten der Personen und Maschinen. Beide, Menschen und Maschinen, hinterlassen im Netz Datenspuren, die zu einem Bild, dem Identity Graphen, zusammengefasst werden können. Schon heute bieten Unternehmen, wie Tapad, drawbridge und ThreatMetrix, eigene Identity Graphen an. Der Mehrwert des Identity Graphen besteht darin, dass es mit ihm möglich ist, das vielfältige Zusammenspiel von Personen, Geräten und Interessen zu visualisieren und zu einem aussagekräftigen Bild zusammenzusetzen. Der eigentliche Pionier ist Facebook mit seinem Social Graph.
Facebooks Social Graph besteht aus einer Matrix, die für jeden Nutzer die Beziehungen zu Freunden und Kontakten erfasst, mit Querverweisen auf gemeinsame Interessen, Mitgliedschaften, Zugehörigkeiten und Örtlichkeiten. an der Schnittstelle von Freunden und Interessen finden sich die Attribute, nach denen sich Marketingleute am meisten sehnen: Begeisterung, Engagement, Prioritäten, Ziele und Identitäten (in: Vaporisiert. Solide Strategien für Erfolg in einer dematerialisierten Welt).
Banking sucht sich eine neue Form
Wenngleich die Zahl der Bankfilialen sinkt und Banken, wie wir sie noch kennen, aus dem Stadtbild verschwinden werden, folgt daraus nicht, dass es in Zukunft keine “Banken” mehr geben wird. Sie werden bloß andere Funktionen erfüllen, wie in Form von Personal Data Banks, Identity Banks, Datengenossenschaften oder Digital Asset Manager. Vor allem werden sie ihre angestammte Rolle als Informationsverarbeiter und Risikomanager der Wirtschaft ausfüllen, wie mit dem Bankgeheimnis 4.0. (Vgl. dazu: Digitales Bankgeheimnis 4.0 – ein neues Geschäftsfeld? Banken als Schutz vor der totalen Überwachung). Damit deutet sich nicht weniger als eine Renaissance des Banking an.
Soziale und technologische Innovationen gehen Hand in Hand
In Zukunft könnten die neuen Banken ihren Kunden persönliche digitale Assistenten zur Verfügung stellen, die in ihrem Auftrag im Internet handeln. Oder in den Worten von Dirk Helbing:
Vorstellbar ist, dass ein jeder von uns einen auf künstlicher Intelligenz basierenden persönlichen digitalen Assistenten hat, der im Laufe der Zeit lernt, welche Unternehmen oder Institutionen so vertrauenswürdig sind, dass man ihnen seine Daten zur Nutzung überlassen kann.
Da der Wettlauf mit den USA und China in Sachen Künstliche Intelligenz und Big Data ohnehin schon gelaufen sei, hält es Helbing für deutlich erfolgsversprechender, wenn wir auf die Themen Informationelle Selbstbestimmung und Partizipation setzen (Vgl. dazu: „Es ist Zeit für eine digitale Neuerfindung von Demokratie und Kapitalismus.“).
Die Antwort läge damit weniger auf der technologischen, sondern auf der organisatorischen, institutionellen Ebene – wie mit der Neudefinition dessen, was eine Bank ist bzw. welche Formen Banking in der vaporisierten Gesellschaft annehmen kann und wessen Interessen die Banken vertreten wollen.”
Dezentrale Technologien, wie die Blockchain oder generell die Distributiv Ledger Technologies, könnten ein Mittel sein, um das Ziel zu erreichen. Technologische und soziale Innovationen gehen dabei Hand in Hand.Ralf Keuper
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