Technische Innovation ist Trumpf: Aber können Amazon & Co. ein Vorbild für das Schadenmanagement sein?
Den Kunden zum Nabel der Welt machen – was Tech Companies wie Amazon längst verinnerlicht haben, bedeutet für andere Branchen noch einen längeren Weg. So auch für Versicherungen. Gerade im Bereich Schadenmanagement gibt es viel Potenzial. Welche Chancen sich hier nutzen lassen und was Data Analytics damit zu tun hat, erklärt Versicherungsexperte Marco Lange von Q_PERIOR.
von Marco Lange, Q_PERIOR
Können Amazon und Co. ein Vorbild für Versicherer sein? Was die Kundenorientierung betrifft, macht Amazon so schnell niemand etwas vor. Viele Technologieunternehmen stellen die Kundschaft und ihre Bedürfnisse radikal in den Mittelpunkt und setzen den Fokus klar auf das vernetzte Kundenerlebnis und maximalen digitalen Komfort, basierend auf konsequenter KI-gestützter Automatisierung.Darin steckt auch für Versicherungen jede Menge Potenzial, gerade im Bereich Schadenmanagement.”
Was können sie also tun, um hier ihre Möglichkeiten komplett auszuschöpfen? Um Antworten zu finden, hat Q_PERIOR den Stand der Dinge im Schadenmanagement bei Versicherern in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter die Lupe genommen. Das Ziel: Handlungsfelder für Automatisierungsmöglichkeiten und eine stärkere Kundenzentrierung erarbeiten. Die Ergebnisse sind im Studienpaper „Schadenmanagement der Zukunft: Kundenzentrierung macht den Schadenfall zum Erlebnis“ zusammengefasst.
Die Kosteneffizienz vom Thron stoßen
Vorab: Versicherern ist natürlich bewusst, dass das Kundenerlebnis im Schadensfall eine sehr wichtige Rolle spielt. Je schneller und effizienter der Schaden bearbeitet wird, desto besser. 78 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage voll oder teilweise zu. Trotzdem wird in vielen Häusern nach wie vor die Kosteneffizienz noch stärker gewichtet als die Kundenzufriedenheit: So geben 69 Prozent der Studienteilnehmenden an, die Qualität der Ergebnisse vor die Qualität der Erlebnisse zu setzen.
Warum ist das so? Ein Erklärungsansatz ist eng mit dem Thema Key Performance Indicators (KPI) verknüpft. Eine wichtige KPI ist nach wie vor die Kosteneffizienz. Dazu zählen auch die Prozesskosten im Schadensmanagement, die möglichst gering bleiben sollen. Je weniger Aufwand eine Schadenbearbeitung verursacht, desto besser. Die Kundenzufriedenheit hingegen, die sich beispielsweise über den Net Promoter Score – eine Kennzahl, die misst, inwiefern Konsumenten ein Produkt oder eine Dienstleistung weiterempfehlen würden – erfassen ließe, gehört in vielen Häusern bislang nicht zu den klassischen KPIs.
Doch hier schlummert großes Potenzial. Denn der Net Promoter Score kann maßgeblich dazu beitragen, den Erfolgsfaktor Kundenzufriedenheit und damit auch die Chancen der Weiterempfehlung an Dritte zu steigern – eine Währung, die auch für Versicherungen immer wichtiger wird. Doch noch wird diese Chance eher verhalten genutzt. Stattdessen sehen wir hier einen klassischen Zielkonflikt der Unternehmensstrategie:
Die Erkenntnis, dass das Schadenmanagement auf die Ergebnisqualität abzielen muss, ist zwar vorhanden. Doch aktuell scheint es intern schwierig durchzusetzbar zu sein, die gängigen KPIs um den Net Promoter Score zu erweitern.”
Dies ist sicherlich auch auf die aktuell angespannte Wirtschaftslage zurückzuführen, die keine guten Voraussetzungen schafft, um in neue Innovationen zu investieren. Und so sehen viele Versicherer das Schadensmanagement auf Platz 3 hinter dem Vertrieb und der Produktentwicklung.
Die Technik ist da, jetzt muss sie genutzt werden
Autor Marco Lange, Q_PERIORMarco Lange ist Senior Manager Insurance bei Q_PERIOR (Webseite). Er verfügt über mehr als zwölf Jahre Erfahrung in der Beratung von Versicherungsunternehmen mit Fokus auf Schadens- und Bestandsprozesse. Neben seinen Beratungsschwerpunkten übernimmt er als IT-Projektleiter die Verantwortung für große Implementierungsvorhaben im Direkt- und Maklervertrieb.
Die Befragung hat auch gezeigt, dass die Versicherungsbranche bislang viel Zurückhaltung an den Tag legt, was die Einführung neuer Applikationen und technischer Innovationen betrifft. Bisher scheint der Druck auf die Entscheider noch nicht groß genug zu sein. Außerdem ist die Zurückhaltung bei Innovationen ein Ausdruck der gelebten Unternehmenskultur. Mehr Kooperationen mit InsurTechs oder anderen Startups könnten hier helfen, den Blick stärker zu weiten.
Außerdem lässt sich schon heute vieles mit bestehender Technologie lösen. Ein gutes Beispiel sind KI-Anwendungen, die interessante Möglichkeiten bieten, um Standardprozesse effizienter zu gestalten. Chatbots können die Beantwortung von Standardfragen übernehmen und auch das Stammdatenmanagement lässt sich sehr gut automatisieren. Ein weiteres Beispiel liefert der Kfz-Bereich, wo ebenfalls noch größeres Automatisierungspotenzial lauert, als bisher ausgeschöpft wird. Über spezielle Apps können Geschädigte beispielsweise Fotos ihres Blechschadens hochladen und direkt an die Versicherung schicken. Auch Plausibilitätschecks sind hier möglich. Beim Schadensmanagement wiederum bieten sich Automatisierungslösungen für die Haftungsprüfung an. Gerade diesen Teil des Schadensprozesses sieht die Mehrheit der Befragten als großen Weichensteller für die Automatisierung bei der Schadensbearbeitung.
Den Datenschatz heben
Außerdem sollten Versicherer nicht vergessen, dass sie auf einem riesigen Datenschatz sitzen, den es zu heben gilt: In Zeiten von Apps, Sensor-Technologien und Social Media haben Unternehmen Zugriff auf Unmengen von Daten. Deshalb wird Data Analytics zum Gebot der Stunde – eigentlich. Denn bisher nutzen Versicherer diese Möglichkeit nicht ausreichend.”
Auch hier ist die Techbranche ein gutes Vorbild: Sie zeigt, dass die smarte Auswertung von Kundendaten für Unternehmen und für die Kundschaft großen Mehrwert schaffen kann – zum Beispiel mit individuellen Produktempfehlungen (Next Best Offer).
Versicherer können wiederum Data Analytics einsetzen, um etwa Schadenshäufigkeiten über den Gesamtbestand vorherzusagen. Prädiktive Algorithmen können anhand von umfangreichen Profil- und Verhaltensdaten Kundschaft mit geringem Risikoprofil identifizieren.”
Dieser kann damit ein vereinfachter Prozess zur Risikoprüfung angeboten werden, was sowohl Mitarbeitende entlastet als auch die Customer Experience verbessert.
Mehr Transparenz für die Kundschaft etablieren
Technik ist das eine, Transparenz das andere: Je mehr Einblicke die Kundschaft in den Bearbeitungsstatus ihres Schadensfalls erhält, desto besser. Auch hier sind Amazon oder Paketdienste, die ihre Kundschaft proaktiv und regelmäßig über den jeweiligen Status ihrer Bestellung informieren, gute Vorbilder. Versicherungen dagegen arbeiten noch immer mit Dunkelverarbeitung, aus Sicht der Kundschaft finden die Vorgänge in einer Blackbox statt. Das ist letztlich weder transparent noch besonders effizient. Denn gerade im Schadenmanagement können fehlende Informationen über den Bearbeitungsstand eines Schadensfalls zusätzliche Kosten verursachen. Denn Kundschaft, die per Telefon oder Mail nach dem Stand der Dinge fragt, bindet Ressourcen, was wiederum zu weiteren Verzögerungen und Rückständen bei der Schadensbearbeitung führen kann.
Und so kommt auch an dieser Stelle der Faktor Kundenzentrierung zum Tragen. Steht die Kunschaft beim Schadenmanagement im Fokus, bekommt sie proaktiv Informationen über den laufenden Vorgang. Das wiederum macht die Prozesse schlanker, schneller und damit auch kostengünstiger. Lässt der Versicherer seine Kundschaft jederzeit an ihrer Schaden-Journey teilhaben, erreicht er mehrere Dinge auf einmal:
Er reduziert seine operativen Kosten, beschleunigt die Verarbeitung – und hinterlässt eine zufriedene Kundschaft, die ihn im Idealfall weiterempfiehlt.”
Der Anfang ist gemacht. Was es jetzt braucht, ist eine Neuausrichtung der Unternehmenskultur, um die Kundenzentrierung weiter zu stärken. Dafür ist es notwendig, die Innovationsfreude in Technologien zu forcieren. Es lohnt sich. Denn das Schadensmanagement bietet gute Möglichkeiten, um es Amazon ein Stück weit gleichzutun.Marco Lange, Q_PERIOR
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