Ausfallrisiken deutscher Unternehmen steigen deutlich
Zwei Jahre lang ging das Risiko, dass Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen, spürbar zurück. Die Entwicklung setzte sich zwar auch im ersten Halbjahr 2022 fort. Doch Creditreform sieht eine scharfe Trendwende voraus: Die Ausfallrate werde sich bis Mitte 2023 deutlich erhöhen. Die Gründe sind vielfältig.
Das Kreditgeschäft entwickelt sich zunehmend zum Sorgenkind der deutschen Wirtschaft. BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler warnte kürzlich vor den Folgen schnell steigender Zinsen, gegen das sich nicht alle Häuser ausreichend abgesichert hätten. Eine niedrige zweistellige Zahl von Banken könnte deshalb ernsthafte Probleme bekommen. Zwar konnte die BaFin bereits feststellen, dass zur Jahresmitte die Kriterien zur Ausgabe von Immobilienkrediten deutlich verschärft worden waren. Problematisch sind jedoch bereits laufende Darlehen. Eine Analyse der EZB im ersten Halbjahr 2022 ergab, dass im Euroraum 30 Prozent aller notleidenden Kredite auf Gewerbe-Immobilien entfallen.
Die Europäische Zentralbank hatte darüber hinaus auch einen Stresstest in Bezug auf Klimarisiken durchgeführt – der ebenfalls Mängel aufdeckte. Nur 20 Prozent bezogen mögliche negative Folgen des Klimawandels in die Entscheidung zur Kreditvergabe ein, 60 Prozent verfügten nicht einmal über einen Rahmen, um den Klima-Stresstest durchzuführen. Darüber hinaus zeigte sich, dass zwei Drittel der Bankenerträge aus Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen aus treibhausgasintensiven Branchen kommen. Allein in den 41 Instituten, die direkt der EZB-Aufsicht unterstehen, wurden in verschiedenen Szenarien, die laut EZB nur einen Bruchteil der Gefahren widerspiegeln, Risiken im Umfang von 70 Mrd. Euro aufgedeckt.
Risiko-Anstieg um knapp 40 Prozent
Nun hat sich auch die Ratingagentur Creditreform zu Wort gemeldet. Sie sieht ein deutlich steigendes Ausfallrisiko bei den Krediten deutscher Unternehmen. Zur Jahresmitte 2022 sei die Ausfallrate auf einen Wert von 1,06 Prozent gegenüber dem Vorjahr mit 1,08 und dem ersten Pandemiejahr 2020 mit 1,14 weiter gefallen. Doch in den kommenden 12 Monaten werde sich dieser Wert auf 1,45 massiv erhöhen und damit den höchsten Wert seit sechs Jahren erreichen. 2019 lag die Ausfallrate bei 1,40 Prozent, 2018 bei 1,41 und 2017 bei 1,44 Prozent.
Bei der Analyse der Ausfallrate stützt sich Creditreform auf die Daten von 2,55 Mio. wirtschaftsaktiven Unternehmen; dies entspreche einer Vollerhebung des deutschen Unternehmenssektors, wobei eine Basel-konforme Definition des Ausfallereignisses zugrundegelegt wird. Diese umfasse mehr als das Vorliegen einer Insolvenz. Die aktuelle und zurückliegende „Default Studies“ stehen auf der Website von Creditreform Rating kostenlos zum Download bereit.
Licht und Schatten
Bei der Detailanalyse zeigt sich, dass kleinere Betriebe 2021 nach wie vor ausfallgefährdeter waren als größere Unternehmen. Bei mittelgroßen und großen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Mio. Euro gingen die Ausfallraten am stärksten zurück. Im Branchenvergleich sticht der Verkehr- und Logistiksektor mit 2,19 Prozent im vergangenen Jahr negativ hervor. Auffällig waren auch Baugewerbe (1,44 Prozent) und Chemiebranche (1,05 Prozent), die beide einen Anstieg um 0,08 Prozent zu verzeichnen hatte – alle anderen Branchen entwickelten sich positiv. Allen voran konsumnahe Dienstleister (1,13 Prozent). Sie dürften nach Ansicht der Analysten im Zuge der gelockerten Pandemie-Auflagen sowie der weiterhin bestehenden bzw. wieder eingesetzten staatlichen Stützungsmaßnahmen profitiert haben.
In allen Bundesländern hat sich die Ausfallrate 2021 gegenüber dem Vorjahr reduziert, jedoch verzeichneten die ostdeutschen Bundesländer tendenziell eine geringere empirische Ausfallrate als die westdeutschen. Im Ländervergleich hat Berlin (1,85 Prozent) die höchste Ausfallrate, während Thüringen (0,72 Prozent) die niedrigste aufweist.
Lage für Start-Ups durchwachsen
Im Jahr 2019 war bei jungen Unternehmen noch ein leichter Anstieg der Ausfallrate zu verzeichnen, auf 2,26 Prozent. Zwei Jahre später liegen die Ausfälle nur noch bei 1,66. Laut Creditreform könnten die staatlichen Hilfen im Rahmen der Corona-Krise insbesondere in der fragilen Anfangsphase der Unternehmen als stabilitätsverleihendes Sicherheitspolster gewirkt haben.
Die Analysten der Ratingagentur geben jedoch keine Entwarnung für Start-ups: Es sei in den beiden vergangenen Jahren schwierig geblieben, adäquate Anschlussfinanzierungen zu finden, wenn das Startkapital für die erste Phase unmittelbar nach Gründung aufgezehrt wurde.
Enorme Risiken in der nahen Zukunft
Auch wenn der positive Trend zuletzt angehalten hatte, geht Creditreform davon aus, dass die aktuelle Risikolage deutliche Spuren hinterlassen wird. Während die Pandemiemaßnahmen hierzulande das Wirtschaftsleben kaum noch beeinflussen, stehen nun die Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Mittelpunkt. An erster Stelle sind hier die Versorgungsrisiken bei Energie, insbesondere mit Blick auf die Abhängigkeit von russischem Gas, zu nennen. Es werde einige Zeit benötigen, um diese strukturelle Gegebenheit aufzulösen.
Doch auch die immer noch gestörten Lieferketten bleiben relevant. Chinas rigorose Null-Covid-Politik könnte diese Probleme erneut verschärfen. Und auch hierzulande besteht Gefahr für die Lieferketten: Das Niedrigwasser auf dem Rhein – das genaugenommen den Klima-Risiken zuzuordnen ist – schränkt die Binnenschifffahrt ein. Mit „Vorfahrt für die Kohle“ bei der Bahn ist ein Ausweichen auf die Schiene nur begrenzt möglich. Creditreform prognostiziert deshalb Produktionseinbußen in wichtigen Branchen wie der Automobilindustrie, in der die Transformation zur Elektromobilität in vollem Gange ist, sowie der chemischen Industrie und der Metallindustrie.
Der sich aus dieser Situation ergebende Gegenwind für die deutsche Wirtschaft werde länger anhalten und sich weit ins Jahr 2023 hineinziehen. Eine Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Ausstoßes beziffern die Ratingexperten auf 1,5 Prozent und das Wirtschaftswachstum auf 1,6 Prozent – aber nur unter Vorbehalt. Es gebe beträchtliche Abwärtsrisiken, so dass eine spätere Korrektur dieser Zahlen nach unten nicht ausgeschlossen werden könne. Insbesondere ein vollständiger Stopp der russischen Gaslieferungen oder weitere klimabedingte Schwierigkeiten der Binnenschifffahrt könnten eine technische Rezession herbeiführen.
Durch die aktuelle Gemengelage aus geopolitischen, wirtschaftlichen und pandemiebedingten Faktoren hat die Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Ausfallrate deutscher Unternehmen wieder spürbar zugenommen. Dennoch gehen wir davon aus, dass die staatlichen Stützungsmaßnahmen ihre stabilisierende Wirkung abermals nicht verfehlen und zumindest einen massiven Anstieg bei Insolvenzen verhindern.“
Dr. Benjamin Mohr, Head of Public Finance and Economic Research bei Creditreform Rating hj
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