Banken im Gefängnis-Paradigma? Wie sich Banken von den Fußangeln der Vergangenheit lösen können
Einige Banken sind so etabliert, dass wir als Verbraucher sie als festen Bestandteil unseres Alltags wahrnehmen, als unumstößliche Institutionen. Früher war das vielleicht einmal der Fall. Doch das Entstehen eines neuen, modernen Geschäftsumfelds untergräbt diese Position. Die Digitalwährung Libra von Facebook und Apple Pay sind gute Beispiele für die Frakturierung des Marktes, da große Technologieunternehmen zu strategischen Vorstößen in den Finanzbereich ansetzen. In ähnlicher Weise treiben Digital-First Challenger FinTech-Unternehmen die Verbrauchererwartungen in neue Höhen: Sie bieten eine nahtlose Kundenerfahrung, die die Angebote der etablierten Banken weit in den Schatten stellt und häufig durch fortschrittlichere Technologien wie maschinelles Lernen ermöglicht wird. Banken können sich keine Selbstzufriedenheit erlauben, da etablierte Unternehmen in allen Bereichen mit der Neo-Realität konfrontiert werden, so dass sie entweder ihr Geschäft digitalisieren müssen oder Marktanteile verlieren werden.
von Jouk Pleiter, CEO Backbase
In einigen Fällen reagieren die Banken und setzen beherzt auf Innovation, da sie erkennen, dass sich die Banken-Landschaft verändert und sie sich mitverändern müssen. Andere lassen sich jedoch durch ihr eigenes Image blenden und sind nach wie vor davon überzeugt, dass sie tatsächlich unumstößliche Institutionen sind. Sie stützen sich auf unsichere Annahmen, dass die Regulierungsbehörden ein allzu weites Eindringen der Neo-Banken in ihre Domänen verhindern und die Kunden aus Trägheit bei ihren bisherigen Anbietern bleiben werden.Mit anderen Worten: Diese Banken sehen Gitterstäbe – Gitterstäbe, die die Neo-Banken nicht eindringen lassen, und Gitterstäbe, die die Kunden nicht ausbrechen lassen – ein Gefängnis-Paradigma.”
Sie könnten eine böse Überraschung erleben, wenn Trends wie Open Banking und Digital-First-Kundenerwartungen dafür sorgen, dass die Kunden ihren Anbieter bereitwilliger und ungehinderter wechseln als in der Vergangenheit. Sie könnten sich bewusst werden, dass sie an einem veralteten Geschäftsmodell und einer verwalteten Denkweise festhalten, die den Anforderungen des Marktes nicht mehr gerecht werden, weshalb ihnen die Kunden davonlaufen. Tatsächlich könnten sie feststellen, dass diese Gitterstäbe eine wirksamere Falle für die Bank sind als für die Kunden.
Warum ist das Gefängnis-Paradigma also so unzulänglich – und was können Banken dagegen tun?
Die Regulierungsbehörden richtig einschätzen
Das Bankwesen ist ein stark regulierter Sektor. Etablierte Banken beschäftigen große Teams und investieren in verschiedene Technologien, um die Compliance-Anforderungen zu erfüllen. Daher können wir verstehen, warum sie möglicherweise nicht glauben, dass Neo-Banken – mit ihren jungen, schlanken Teams, die aus der Praxis lernen – alle regulatorischen Hürden nehmen können.
Und in gewisser Weise haben sie bisher Recht behalten. Die meisten Neo-Banken, die Schlagzeilen machten, haben Zahlungssysteme revolutioniert, sind aber noch nicht in der Lage, Einlagen entgegenzunehmen und diese Mittel für Arbitragegeschäfte zu verwenden oder eine breite Palette von Finanzprodukten anzubieten – Merkmale, die eine echte Bank auszeichnen. Und die Compliance wird immer aufwändiger.
Ausrutscher wie das PIN-Nummern-Fiasko bei Monzo untergraben auch die Vorstellung, dass Neo-Banken mittlerweile reif genug sind, um den etablierten Banken wirklich die Stirn zu bieten.”
Unter praktischen Gesichtspunkten könnten die etablierten Banken möglicherweise große Compliance-Teams beschäftigen. Ihre alte Technologie wird jedoch zunehmend zu einer Belastung, die sie rasch angehen müssen. In vielen Fällen verwenden traditionelle Banken Berichtsprozesse auf Excel- oder Papierbasis, statt zu versuchen, sich den bestehenden Anforderungen zu stellen und Prozesse durch neue Technologien zu automatisieren. Derzeit werden Regulierungsvorschriften auf Einzelfallbasis behandelt – ohne eine echte strategische Vision. Digitale Banken verfügen dagegen über die Unternehmenskultur und die Kapazitäten, um erheblich effektiver mit der Regulierung umzugehen, und nutzen sie sogar als treibende Kraft für die Transformation ihres Geschäfts.
Ungebundene Kunden
Trägheit kann eine starke Kraft sein – man darf jedoch nicht vergessen, dass sie in beide Richtungen wirkt. Zugegeben, eine gewisse Anzahl von Kunden ist möglicherweise recht unflexibel: Sie sind vielleicht älter und misstrauen den neuen Technologien. Möglicherweise haben sie aber auch einfach andere Prioritäten. Dies kann ein Vorteil für etablierte Banken sein, da es ihnen Zeit für ihre eigene digitale Transformation gibt..
Es sollte jedoch nicht als selbstverständlich angesehen werden. Im Laufe der Zeit werden Neo-Banken immer ausgereifter und der Wechsel wird immer einfacher werden. Das unflexible Kundensegment wird allmählich schrumpfen. Digitale Schnittstellen sind einfach überlegen und neue Angebote und Funktionen können schnell eingeführt werden.
Banken, die sich nicht anpassen, werden feststellen, dass ihr eigener Widerstand gegen Veränderungen stärker ist als der ihrer Kunden.”
Für traditionelle Banken muss die Einrichtung einer digitalen Plattform, die sich an den Präferenzen der Konsumenten orientiert, oberste Priorität haben. In der Lage zu sein, neue Experimente durchzuführen und Annahmen jederzeit überprüfen zu können – ohne langwierige Einführungszyklen – mit Möglichkeiten wie A/B-Tests, wird im Laufe der Zeit immer wichtiger werden.
Die Kosten der Trägheit
Was passiert, wenn es diesen Banken nicht gelingt, sich anzupassen und zu innovieren? Hierzu muss man sich nur ansehen, was jetzt schon stattfindet. Immer mehr Menschen nutzen eine traditionelle Bank für ihr Hauptkonto, auf dem sie ihr Gehalt empfangen, überweisen dann aber sofort einen Teil davon an eine Neo-Bank, über die sie ihre monatlichen Zahlungen abwickeln. Damit kommen sie in den Genuss von Vorteilen wie sofortigen Benachrichtigungen und umfangreichen Funktionen. Im Augenblick ist das für die etablierten Banken immer noch rentabel. Doch die Beziehung der Kunden zu ihrem Geld entgleitet ihnen.
Einige Neo-Banken wie Starling beginnen bereits, ein Ökosystem an Finanzpartnern aufzubauen, um Dienstleistungen wie Kredite und Altersvorsorge anzubieten. Sie haben erkannt, dass die Zukunft eine digitale Drehscheibe sein wird, die den Kunden die primäre Beziehung zu ihren Finanzen bietet und sie mit anderen Dienstleistern verbindet.”
Banken müssen entscheiden, ob sie versuchen wollen, diese Position als digitale Drehscheibe selbst auszufüllen, oder ob sie sich zu einem nachrangigen Dienstleister degradieren lassen. Schlimmer noch: Es ist möglich, dass Banken in eine Support-Rolle gedrängt werden: Sie dürfen die Vorarbeit für andere Unternehmen leisten, die das Geschäft mit der höheren Wertschöpfung für sich in Anspruch nehmen.
Aus dem Gefängnis-Paradigma entkommen: mehr als nur Technologie
Was soll eine Bank tun? Kurz gesagt: Sie muss „Digital-First“ werden.”
Was soll eine Bank tun? Kurz gesagt: Sie muss „Digital-First“ werden.”
Viele interpretieren dies als Investitionen in Technologie. Dies ist zwar wichtig, aber nur ein Teil des Prozesses. Denken Sie an all die Banken, die eine App entwickelt und es dabei belassen haben. Dadurch haben sie zwar in Technologie investiert, aber niemand würde auf die Idee kommen, sie für eine Neo-Bank zu halten.
In Technologie zu investieren bedeutet, alles „Digital-First“ zu machen und sich von umständlichen Altsystemen zu trennen. Es ist nicht möglich, alles über den Haufen zu werfen und neu zu beginnen. Daher ist es wichtig, sich zu überlegen, wie man das Neue aufbauen kann, ohne es mit dem Alten zu verheddern. Eine Möglichkeit dafür ist die interne Umstellung des Geschäftsmodells auf ein API-Ökosystem. Das ist nicht nur ein Schritt in Richtung auf die Zukunft als digitale Drehscheibe, sondern ermöglicht es unterschiedlichen Entwicklungsteams, parallel an verschiedenen Projekten zu arbeiten, ohne sich gegenseitig im Weg zu stehen oder das Tagesgeschäft der Bank zu behindern.
Ebenso wichtig wie die Technologie ist jedoch eine Digital-First-Kultur. Die Unternehmenskultur durchdringt die Organisation und beeinflusst alle Entscheidungen.
Wenn die Unternehmensleitung denkt: „Die Bank verdient Geld und hat eine App. Warum sollten wir da Unruhe hineinbringen?“, wird die Innovation im Keim erstickt.”
Die App wird es weiter geben, die Bank wird jedoch in einem schwerfälligen traditionellen Entwicklungszyklus feststecken und immer weiter hinter den rasanten Entwicklungen der Neo-Banken zurückbleiben.
Eine mit einer Digital-First-Kultur geführte Bank wird dagegen mit einem Tempo arbeiten, das mit dem von Start-up-Unternehmen vergleichbar ist. Bei ihr werden Ansätze wie Lean, Agile und DevOps umgesetzt. „Innovation“ und „Digital“ werden keine isolierten Teams sein, die in abgelegenen Büros vor sich hin werkeln, sondern in die gesamte Bank integriert.
Zu einer Digital-First-Bank in puncto Technologie, Unternehmenskultur und Geschäftsmodell zu werden, ist jedoch leichter gesagt als getan. Es erfordert einen umfangreichen Umbau der Teams, der Leitung und der Prozesse …
… der richtige Zeitpunkt dafür ist jedoch jetzt.”
Etablierte Banken genießen Vertrauen und Glaubwürdigkeit und können solide Bilanzen und Kundenbeziehungen vorweisen – jedenfalls im Augenblick. Wenn die Banken es zulassen, werden ihnen die Neo-Banken diese Vorteile nach und nach streitig machen, ganz zu schweigen von der künftigen Konkurrenz durch Angebote wie Apple Pay und Google Wallet. Heute befinden sich die etablierten Banken immer noch im Vorteil – gerade noch. Doch diejenigen, die sich nicht aus dem Gefängnis-Paradigma lösen können, werden büßen müssen.Jouk Pleiter, CEO Backbase
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