Banken müssen sich ESG-Trend anpassen
Sowohl Unternehmen, die Aktien und Anleihen begeben, als auch Finanz- und Vermögensberater haben in der Vergangenheit das Thema Nachhaltigkeit teils nur als Marketing-Masche genutzt. Doch Anleger nehmen die ESG-Kriterien inzwischen sehr viel ernster, und auch die Aufsichtsbehörden wollen künftig genauer hinschauen. Banken und Finanzdienstleister müssen sich darauf einstellen, dass beide Seiten kritische Fragen stellen, um potenzielles „Greenwashing“ zu verhindern.
Noch Anfang Mai hatten die Bankenaufseher der BaFin verkündet, angesichts der Unwägbarkeiten wegen des Einmarschs Russlands in der Ukraine eine geplante eindeutige ESG-Einstufung (Environment, Social, Governance) von Investmentfonds auf unbestimmte Zeit zu verschieben. „Für eine dauerhafte Regulierung ist das derzeitige Umfeld nicht ausreichend stabil“, so BaFin-Präsident Mark Branson.
Doch nur vier Wochen später zeigte sich, dass das Thema dringlich bleibt: Ende Mai erfolgte die Durchsuchung der Asset-Management-Sparte der Deutschen Bank, DWS, die sich daraufhin umgehend vom bisherigen DWS-Chef Asoka Wöhrmann trennte. Der Vorwurf lautet auf „Greenwashing“ – der von Wöhrmann formulierte Anspruch, DWS zu einem weltweit führenden Anbieter von nachhaltigen Fonds und Finanzprodukten zu entwickeln, soll auf falschen bzw. überhöhten Darstellungen zur Nachhaltigkeit der Anlageinstrumente beruhen.
Auslöser: Wirecard-Einstufung
Ausgelöst hatte die Aktion die amerikanische Finanzspezialistin Desiree Fixler, die rund ein halbes Jahr als Nachhaltigkeits-Chefin bei DWS tätig war. Nach einem Streit mit ihren Vorgesetzten wurde sie gefeuert – und stellte sich danach den Aufsichtsbehörden als Whistle-Blower zur Verfügung. Nach ihren Angaben wurde in vielen Fällen anstelle von eigenen ESG-Analysen einfach ein Durchschnitt aus den externen Ratings errechnet.
Das widersprach der Darstellung, die Wöhrmann bei der Generalversammlung am 18. November 2020 gegeben hatte. Laut Neuer Züricher Zeitung (NZZ) hatte der DWS-Chef angekündigt, man nutze Forschungsdaten und künstliche Intelligenz, um potenzielle Portfoliorisiken in der Anlageplattform zu identifizieren. Das eigenentwickelte Tool „ESG-Engine“ sei ein bahnbrechender Ansatz für die ESG-Integration, der weit über die bisherigen Branchenstandards hinausgehe.
Auslöser für Fixlers Nachforschungen war die Einstufung von Wirecard: trotz des öffentlich bekanntgewordenen Betrugsverdachts, der damals noch nicht belegt war, erhielt die Aktie vom internen Bewertungstool „ESG-Engine“ die zweithöchste Note für Governance. Damit bestätigte DWS dem Unternehmen eine rechtschaffende, nachhaltige Unternehmensführung und legte damit die Basis, die Aktie in mehrere ESG-Fonds aufzunehmen.
Der Fall DWS ruft Aufseher auf den Plan
Ihr Protest gegen diese Praxis und Hinweise auf weitere Mängel, wie verspätete Datenübermittlung, kosteten erst Fixler den Job, mit fast eineinhalb Jahren Verzögerung schließlich auch Wöhrmann. Inzwischen ermitteln deutsche Staatsanwaltschaft, die US-Börsenaufsicht und das FBI gegen das Unternehmen.
Und auch bei der BaFin hat man nun offensichtlich die Situation neu bewertet. So verkündete gestern Thorsten Pötzsch, Chef der Wertpapieraufsicht bei der Bafin, bei einer Branchenkonferenz in Frankfurt:
Wir werden Greenwashing nicht tolerieren!“
Die Finanzaufsicht werde Anbieter von grünen Anlagen verstärkt unter die Lupe nehmen und gegen irreführende Vermarktung von ESG-Fonds vorgehen. Man sehe auf der einen Seite ein höheres Interesse der Anleger, auf der anderen Seite aber auch eine gehörige Skepsis, ob die gemachten Nachhaltigkeitsversprechen zutreffend seien. Tatsächlich sei nicht jeder ESG-Fonds sicher und bringe Rendite, merkte Pötzsch an.
Der Unterschied zwischen „braunen“ und „grünen“ Fonds
Dass die Frage der Nachhaltigkeit einen Unterschied macht, lässt sich unter anderem im Jahresbericht 2021 der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) nachlesen (Download). In einer vorläufigen Analyse des Klimarisikoszenarios für EU-Investmentfonds wurde zwischen Fonds unterschieden, deren Portfolios auf umweltschädlichere Vermögenswerte ausgerichtet sind (braune Fonds) und Fonds mit saubereren Portfolios (grüne Fonds). Solche Fonds hatten im vergangenen Jahr Verluste eingefahren, wobei Braune Fonds zwischen 9 und 18 Prozent verloren hatten, die Grünen Fonds dagegen nur zwischen 3 und 8 Prozent.
Bei einer Untersuchung von Emittenten grüner Anleihen aus den Jahren 2009 bis 2019 konnte zudem gezeigt werden, dass dieses Anlage-Instrument tatsächlich die gewünschte Lenkungswirkung für die Wirtschaft entwickelt: Die Unternehmen hatten viel häufiger Emissionsdaten offengelegt und im Durchschnitt ihren CO2-Fußabdruck sehr viel stärker reduziert als andere Unternehmen.
Großanlegern ist es ernst mit Nachhaltigkeit
Bei der jährlichen Investorenbefragung von Union Investment (Download) zeigte sich, dass Nachhaltigkeit einen immer höheren Stellenwert bei Investitionen und Geldanlagen einnimmt. 83 Prozent der institutionellen Investoren in Deutschland berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien, das sind 5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr und sogar eine Steigerung um 18 Prozent gegenüber 2018. Hauptmotiv ist inzwischen die eigene Überzeugung. Auch dies stellt eine bemerkenswerte Änderung dar (21 Prozent). In der Vergangenheit wurde nachhaltiges Investment am häufigsten mit den regulatorischen Anforderungen begründet, dieser Wert liegt jetzt bei 14 Prozent.
Bei den Investoren findet ein Sinneswandel statt. Nachhaltigkeit ist für sie nicht länger eine Pflichtübung, sondern unverzichtbarer Bestandteil der Kapitalanlage.“
André Haagmann, Vorstand Union Investment
Dass die eigene Überzeugung tatsächlich eine hohe Rolle spielt und nicht nur vorgeschoben ist, zeigt sich auch an anderen Stellen der Umfrage. So gibt mehr als die Hälfte der Großanleger (52 Prozent) an, einen aktiven Dialog zu ESG-Fragen mit den Emittenten ihrer Anlagen zu führen. Das bedeutet eine Steigerung um 15 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Und nur für 40 Prozent der Großanleger steht bei der Bewertung nachhaltiger Kapitalanlagen die Rendite an erster Stelle. Für 60 Prozent hat dagegen die Nachhaltigkeitswirkung höchste Priorität.
Dabei ist allerdings zu beachten, dass es keine scharfe Trennung dieser beiden Punkte geben kann. Denn zugleich bescheinigen die befragten Großanleger, die nachhaltig und konventionell investieren, dem nachhaltigen Portfolio eine ähnliche und sogar bessere Renditeentwicklung (69 Prozent). Lediglich fünf Prozent sehen das nachhaltige Portfolio im Hintertreffen. Ähnlich gelagert sind die Erfahrungen in Bezug auf das Risiko: 68 Prozent der Investoren stufen das nachhaltige Portfolio als ebenbürtig oder besser ein, während sechs Prozent die entgegengesetzte Meinung vertreten.
Licht und Schatten bei Informationen
Die insgesamt im Markt angebotenen Produkte und Lösungen beurteilt eine Mehrheit der Befragten (58 Prozent) als hilfreich. Das ist ein Plus von sieben Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahreswert. Daher überrascht auch die gute Bewertung der nachhaltigen Investments nicht: Zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) sind mit den nachhaltigen Kapitalanlagen in ihrem Verantwortungsbereich zufrieden bzw. sehr zufrieden. Gleichzeitig können sich nur sieben Prozent vorstellen, aus nachhaltigen Kapitalanlagen wieder auszusteigen.
Auch wenn Regulierung auf Platz 2 der Beweggründe für nachhaltige Investments abgerutscht ist, gibt sie immer noch einen wesentlichen Impuls. Trotzdem zeigt sich in der Befragung noch Informationslücken bei Regulierungsthemen. Nur knapp die Hälfte der Befragten (49 Prozent) kennt die sogenannte EU-Offenlegungsverordnung (Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor). 40 Prozent geben an, diese Verordnung genau zu kennen, 9 Prozent attestieren sich selbst rudimentäre Kenntnisse.
Auch Privatanleger werden „grüner“
Ein wenig anders stellt sich die Lage bei Privatanlegern dar. Zwei Dritteln (67 Prozent) ist Nachhaltigkeit zwar wichtig, doch als entscheidendes Kriterium für die Geldanlage wird sie nur von einem Zehntel der befragten Privatanleger berücksichtigt. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen ist die Motivation für Anlage-Entscheidungen zu nennen: Renditeziele (79 Prozent) und Vermögenssicherung (70 Prozent) stehen an erster Stelle, die Unterstützung der Wirtschaftstransformation kommt dagegen nur auf 13 Prozent. Privatanleger glauben in der Mehrzahl nicht daran, dass ihre Anlage-Entscheidung einen spürbaren Einfluss auf diese Entwicklung hat.
Zum anderen werden bei nachhaltigen Finanzanlagen vielfach Abstriche bei der Rendite und Sicherheit befürchtet. So verbinden nur 35 Prozent bzw. 30 Prozent mit nachhaltigen Investments eine gute Rendite und Sicherheit. Andererseits halten die meisten Befragten nachhaltige Anlagen für innovativ (66 Prozent), sympathisch (64 Prozent) und wirksam (58 Prozent).
Beratung trägt Früchte
Hier zeigt sich, dass Banken und Finanzdienstleister noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten haben. Dass diese erfolgsversprechend ist, konnte im Rahmen der Union-Invest-Befragung ebenfalls belegt werden. Denn nachdem die Befragten nähere Informationen zu nachhaltigen Finanzanlagen erhalten hatten, wandelte sich ihr Bild erheblich.
Auf dieser Grundlage ist fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent, gestützte Befragung) der Ansicht, dass sich Finanzanlagen und Nachhaltigkeit gut verbinden lassen. Und 32 Prozent der informierten Befragten – ein Plus von 22 Prozentpunkten gegenüber dem ursprünglichen Anteil – geben nun an, dass sie bei der Auswahl von Finanzanlagen auf Nachhaltigkeit achten wollen. Von den Befragten sind sogar 41 Prozent zur Überzeugung gelangt, Nachhaltigkeit durch Kapitalanlagen fördern zu können.
Darüber hinaus sorgen Informationen für ein differenzierteres Nachhaltigkeitsverständnis. Neben ökologischen Aspekten wie dem Klima- und Umweltschutz (77 Prozent, Mehrfachnennungen) sehen die Befragten nun auch soziale und faire Produktionsbedingungen (43 Prozent) sowie eine verantwortliche Unternehmensführung (38 Prozent) als Bestandteile der Nachhaltigkeit, so die Privatanleger-Studie von Union Invest (Download).
Die Beratung ist für eine breite Akzeptanz und Verbreitung nachhaltiger Finanzanlagen entscheidend. Durch die ab August in der Anlageberatung verpflichtende Nachhaltigkeitspräferenzabfrage werden sich mehr Menschen mit nachhaltigen Geldanlagen auseinandersetzen und erkennen, dass Nachhaltigkeit weit mehr ist als Ökologie.“
Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment
Banken und Finanzdienstleister sollten also ein Konzept entwickeln, wie sie nicht nur die MiFID-II Richtlinie umsetzen, die im Rahmen der Umsetzung des EU-Aktionsplans Finanzierung Nachhaltigen Wachstums verlangt, dass die Präferenzen der Kundinnen und Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeit abgefragt werden. Sondern wie sie diesen Umstand auch dafür nutzen, Privatanleger stärker über positive Auswirkungen auf Renditechancen und Risikominimierung von (echten) ESG-Anlagen aufzuklären. hj
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