Bundesbanker Balz: “2020 wird ein Schlüsseljahr für Europa im Zahlungsverkehr”
2020 wird laut Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, “ein Schlüsseljahr für Europa im Zahlungsverkehr”. 2020 hätten europäische Anbieter die letzte Chance, eine zukunftsfeste Architektur der Zahlungssysteme mitzugestalten. Auf der Handelsblatt-Jahrestagung “Bankentechnologie” in Frankfurt am Main gab Balz einen optimistischen Ausblick auf 2020.
Der Markt des bargeldlosen Zahlungsverkehrs werde weiter stark wachsen, so Balz, dies bietet “insbesondere für die vom Niedrigzins-Umfeld betroffenen Banken Chancen”. 2019 sei die Zahl der bargeldlosen Zahlungen im Euroraum um fast acht Prozent gewachsen. Dies sei, so Balz, vor allem eine Folge der zunehmenden Digitalisierung. Im ersten Halbjahr wurden 2,14 Milliarden Girocard-Transaktionen getätigt, ein Plus von fast 22 Prozent. “Wachstumstreiber war insbesondere das schnelle und bequeme Kontaktlos-Bezahlen” erklärte Balz. 22,2 Prozent der Girocard-Zahlungen wurden kontaktlos durchgeführt. Es seien über 100 Millionen Girocards im Umlauf, so der Bundesbanker (Webseite).
Auch europaweit wachse die Anzahl der Kartenzahlungen, besonders diejenigen, die über internationale Kartensysteme abgewickelt werden. Ein Treiber, so Balz, sein dabei “die wachsende Verbreitung digitaler Bezahllösungen, unter anderem der BigTechs”. Vielfach liege den Bezahllösungen der BigTechs eine digitalisierte Karte der internationalen Kartensysteme zugrunde. Deren Transaktionszahlen wachsen somit parallel zur weiteren Verbreitung dieser digitalen Bezahlmöglichkeiten. Auch die Zahl der Überweisungen habe zugenommen. Der Grund laut Balz: “die erfolgreich etablierten mobilen Bezahlverfahren auf der Basis von Instant Payments”.
2018 sind Angebote von Big Tech-Firmen wie Apple Pay und Google Pay in den Zahlungsverkehr eingestiegen und konkurrieren in Deutschland mit den mobilen Bezahllösungen von Banken und Sparkassen. Andere Lösungen wie Amazon Pay erfreuen sich im E-Commerce großer Beliebtheit. “So besetzen die BigTechs Stück für Stück die Schnittstelle zum Kunden”, erklärte Balz. Auch Facebook habe angekündigt, zunächst in den USA, eine Bezahlfunktion für seine Netze einzurichten. Mit Facebook Pay soll man in verschiedenen Apps Geld an andere Personen versenden oder Dienste bezahlen können. Es gehe hierbei, so Balz, “um einen vergleichsweise traditionellen Bezahlservice, der auf der bestehenden Finanzinfrastruktur aufbaut”.
Facebooks Libra hat ein kleines Erdbeben verursacht
Facebooks Plan, Libra als Stablecoin herauszugeben, habe “ein kleineres Erdbeben nicht nur auf meinem Schreibtisch, sondern auch in den Besprechungszimmern von Banken, Ministerien und praktisch allen Zentralbanken ausgelöst”, betonte Balz.
Vor einem halben Jahr habe Facebook unter dem Projektnamen „Libra“ die Entwicklung eines Krypto-Tokens verkündet. Mit einer Bindung an staatliche Währungen, der Abwicklung auf Blockchain-Basis und der Ausgabe über ein Partner-Konsortium soll es den Zahlungsverkehr revolutionieren. “Nachdem Libra viele Wochen die Diskussionen bestimmt hatte, hat sich der Hype nach meinem Gefühl zumindest etwas gelegt”, so Balz. Wichtige Partner aus dem Zahlungsverkehrsmarkt wie PayPal, VISA und Mastercard hätten sich zurückgezogen. Politik, Regulatoren und Zentralbanken hätten deutlich gemacht, dass Libra angesichts potenzieller Risiken für die Finanzstabilität höchste regulatorische Anforderungen erfüllen müsse. Und schließlich war der vorgesehene Libra-Starttermin zu ambitioniert und wurde auf das zweite Halbjahr 2020 verschoben.
Politik, Zentralbanken und Aufseher sollten die Pläne weiterhin sehr ernst nehmen, forderte Balz. Libra habe gezeigt, was möglich ist und welche Defizite im globalen Zahlungsverkehr noch bestehen. Und selbst wenn Libra scheitern sollte, werden andere Akteure mit ähnlichen oder anderen Konzepten folgen. Insoweit gehe es hier um langfristige Weichenstellungen. Big Techs würden ihre Produktpalette weiter in Richtung Bankdienstleistungen erweitern. “Allerdings, ohne sich selbst den dafür geltenden komplexen und kostenintensiven Regelwerken auszusetzen”, kritisierte er. So plant Google mit der Citigroup Bankkonten anzubieten, auf die mit der Pay-App zugegriffen werden kann. Apple habe schon länger eine Kreditkarte im Angebot.
Markteintritt von Big Tech-Firmen “nicht unproblematisch”
Den Einstieg der Big Tech-Firmen findet Balz “nicht unproblematisch” und zwar in Sachen Verbraucherschutz, Wettbewerbspolitik und aus der Sicht der Wettbewerber.
So besteht die Gefahr, dass sich die digitalen Plattformen zu immer marktstärkeren Anbietern entwickeln, die den Kunden am Ende gar keine Wahl mehr lassen.”
Banken müssten sich den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Aber dieses setze einen funktionierenden Wettbewerb voraus. Die Kartellbehörden müssen überprüfen, ob die bestehenden Instrumente noch geeignet sind, um auf die wachsende Marktmacht von BigTechs zu reagieren.
In China könnten die Bürger über die Dienste WeChat und Alipay (Alibaba-Gruppe) nicht nur bezahlen, sondern auch Essen bestellen, Theaterkarten kaufen oder Taxis rufen. Der technologische Vorsprung der chinesischen Player sei eine Herausforderung für den europäischen Markt, so Balz.
Laut einem Beschluss des Bundestages zur Anpassung des Zahlungsdienste-Aufsichtsgesetzes müssen Anbieter von technischen Infrastruktur-Leistungen einen Zugang zu ihren Schnittstellen oder Betriebssystemen gewähren. “Ein richtiger und wichtiger Schritt für Fairplay im digitalen Wettbewerb”, lobte Balz, “wir hoffen, dass damit wieder ‘Waffengleichheit’ erreicht werden kann und die etablierten Akteure ihre Wettbewerbsposition mit Blick auf die BigTechs verbessern können.
Digitales Zentralbankgeld für jedermann?
Bei der Bewertung von digitalem Zentralbankgeld müssen Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen werden, so Balz. “Über diese Aspekte wissen wir derzeit noch viel zu wenig”. Zudem müsse man unterscheiden zwischen einer „Wholesale-Variante“ für begrenzte Nutzerkreise und einer „Retail-Variante“, also digitalem Zentralbankgeld für jedermann.
Die Bundesbank habe sich mit einem solchen Szenario schon vor einiger Zeit im „Blockbaster“-Projekt mit der Deutschen Börse beschäftigt. Grundsätzlich wäre die Ausgabe von „wholesale token“ durch die Zentralbank ausschließlich an Banken vermutlich mit überschaubaren Risiken verbunden, erklärte Balz. Allerdings könnte man auch überlegen, ob man nicht einen etwaigen Marktbedarf auch durch eine effiziente Gestaltung von Schnittstellen zwischen klassischem Zahlungsverkehrssystem und innovativer Blockchain-Technologie zum Beispiel bei der Übertragung von Wertpapieren abdecken könne.
Bei “digitalem Zentralbankgeld für jedermann” sei die Bundesbank deutlich zurückhaltender, auch wenn verschiedene Zentralbanken die Chancen und Risiken von digitalem Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit untersuchen würden. So habe sich die chinesische Zentralbank für die zeitnahe Einführung einer digitalen Bargeld-Alternative entschieden. Und die schwedische Zentralbank forsche schon an der „eKrona“. Aufgrund des stark rückläufigen Bargeldverkehrs in Schweden wolle man den Bürgerinnen und Bürger eine Alternative in Zentralbankgeld anbieten. Es seien aber noch viele Fragen offen. Die Bundesbank werde sich eng mit der EZB und ihren Partnern im Eurosystem abstimmen. Aber ein „digitaler Euro“ – unter diesem Schlagwort wird nun vermehrt in Politik und Medien diskutiert – müsse nicht unbedingt von der Zentralbank ausgegeben werden – dies könnten auch Geschäftsbanken tun, so Balz.
Lob für TIPS und PEPS-I
Den traditionellen Zahlungsverkehr will die Bundesbank weiter entwickeln. Bei der Echtzeit-Abwicklung von Zahlungen könnten noch manche Hindernisse beseitigt werden. Und warum nicht innovative Instant Payment Systeme verknüpfen und für grenzüberschreitende Zahlungen nutzen? “Ein entsprechender Testlauf der Instant Payment Abwicklungsplattform des Eurosystems – TIPS – zusammen mit SWIFT gpi verlief erfolgsversprechend”, so Balz. Auch ohne Libra könnte man so die globalen und grenzüberschreitenden Zahlungsströme beschleunigen. Auch begrüßte Balz privatwirtschaftliche Initiativen, wie die europäische Lösung “PEPS-I“, ein von internationalen Kartensystemen und Technologiekonzernen unabhängige Bezahlalternative.
Mit Blick auf 2020 erklärte Balz, dass es erfolgreich etablierte Systeme und Lösungen in einzelnen Ländern gäbe, die deutsche Girocard sei hier das beste Beispiel. Doch europaweit funktionieren diese nur, wenn mit den internationalen Kartensystemen kooperiert wird. Ähnliches gelte für Bezahlsysteme im E-Commerce oder für Person-to-Person Payments (P2P).
Burkard Balz wurde 1969 in Lemgo(NRW) geboren. Balz absolvierte die Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Commerzbank in Hannover, anschließend das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Göttingen, wurde Trainee im Firmenkundenkreditgeschäft bei der Commerzbank in Hannover und Frankfurt am Main. Referent im Verbindungsbüro der Commerzbank zur Europäischen Union in Brüssel, Firmenkundenbetreuer bei der Commerzbank in Hannover, Abteilungsdirektor Institutionelle Kunden bei der Commerzbank in Hannover (Prokurist), 2009 bis 2018: Mitglied des Europäischen Parlaments (CDU), ab 2014 Koordinator (Finanzpolitischer Sprecher) der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Seit 01.09.2018 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank.
Kooperationen werden 2020 noch wichtiger
Mit Instant Payments sei ein Fundament gelegt, das als Basis für eine pan-europäische Abwicklung genutzt werden könnte. Karten müssten nicht nur in physischer Form, sondern auch zur Einbindung in Smartphone-Wallets verfügbar sein. Kunden müssten nicht sofort auf Payment-Apps umsteigen.
Sie könnten die geliebte Girocard gegebenenfalls unter einer europäischen Marke weiter nutzen.”
Die neuen PSD2-Schnittstellen, die alle Banken seit September für lizensierte Marktakteure bereitstellen müssten, könnten ein weiteres Element für die europaweite Interaktion der Banken im Zahlungsverkehr bilden. Am 14. September 2019 wurden die neuen Regulierungsstandards zur „Starken Kundenauthentifizierung und sicheren Kommunikation“ wirksam.
Balz begrüßte die Bestrebungen der Deutschen Kreditwirtschaft, die verschiedenen Zahlungsservices im E-Commerce unter einer Marke auf einer Plattform zu bündeln. Auch die Sparkassen und Volksbanken hätten gemeinsam mit KWITT erfolgreich das Thema P2P-Zahlungen besetzt. “Kooperationen wie diese sind zu begrüßen und werden in Zukunft noch viel wichtiger werden”, erklärte Balz. In einer Netzwerkindustrie wie dem Zahlungsverkehr würde es künftig noch mehr darauf ankommen, zu kooperieren und die einzelnen Stärken zusammenzuführen – und dies nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend. Im Zahlungsverkehr werde am Ende nur derjenige Erfolg haben, der eine kritische Masse erreicht. Dies sei eine zwingende Folge der Netzwerkökonomie. Die Banken seien mit X-Pay und PEPS-I auf dem richtigen Weg. Aber der Weg sei noch lang und die Zeit dränge.
Letzte Chance, die Zahlungssysteme mitzugestalten
2020 hätten die europäischen Anbieter vermutlich die letzte Chance, eine zukunftsfeste Architektur der Zahlungssysteme mitzugestalten.
Nutzen Sie diese Chance, denn das Vertrauen auf bewährte Geschäftsmodelle und die Dominanz und Überlegenheit nationaler Lösungen sind keine gute Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Zukunft.”
Der Bundesbanker erwartet für 2020 “sich ändernden Formfaktoren”: Neue Bezahlformen – sei es per Wearable oder per Voice – würden Stück für Stück im Massenmarkt ankommen. Das Bezahlen mit dem Smartphone werde 2020 zunehmen. Insbesondere im Vergleich zum Bargeld werde das Smartphone wegen des geänderten Nutzerverhaltens und der Bequemlichkeit an Bedeutung gewinnen. Instant Payments werden an Fahrt aufnehmen und beim Endverbraucher ankommen. Sie böten ein großes Potenzial im B2B-Bereich, aber auch im Einzelhandel und E-Commerce. “Dabei zählt am Ende, was Verbraucher und Händler wollen: eine einfache, schnelle, sichere und kostengünstige Zahlungsabwicklung”, so Balz.
Die BigTechs werden weitere Schritte auf dem Parkett des Finanzsektors unternehmen. Ob nun mit Libra oder ohne – der Trend zur Ausweitung ihrer Geschäftsfelder in Richtung Finanz- und Zahlungsdienste werde sich fortsetzen. Die Nutzung von Daten spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch im Zahlungsverkehr seien sie das „Öl des 21. Jahrhunderts“.hd
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