Creditshelf CTO: “Die Frage nach “Make or Buy” erübrigt sich” … mit KI, Ruby on Rails und enorm viel Know-How
Creditshelf vermittelt Kredite. Doch statt Sicherheiten geben die Kreditnehmer Daten, aus denen Creditshelf die Kreditwürdigkeit ableitet. Dazu setzt das FinTech datengetriebene Kreditmodelle ein, die außer Finanzinformationen eine Vielzahl weiterer Faktoren auswerten, z.B. Netzwerkinformationen. Wie das geht und welche Technologie dahinter steckt, wollten wir von CTO Dr. Gregor Heinrich genauer wissen.
Herr Dr. Heinrich, welche Rolle spielt bei Creditshelf die Technologieseite?
Technologie ist für uns ein Effizienztreiber, und sie macht das Geschäftsmodell zum Teil auch erst möglich. Datenanalysen in der Tiefe, wie wir sie machen, wären ohne Tools nicht möglich und das Kreditrisiko nicht zu managen. Wir arrangieren Kredite für Kunden, mit denen wir häufig noch keine Geschäftsbeziehung aufgebaut haben. Daraus – und aus der Tatsache, dass diese Kredite unbesichert sind – ergibt sich ein prinzipiell höheres Risiko, als wenn die Hausbank einem ihrer langjährigen Kunden einen Kredit ausreicht. Wir nutzen Technologie aber immer in Verbindung mit dem Wissen unserer Kreditrisiko-Analysten.Das ist mit “Human in the Loop”-Ansätzen aus der KI vergleichbar, bei der der Mensch und die Maschine sich gegenseitig in der Entscheidungsfindung ergänzen.”
Kreditentscheidungen sind bei uns nicht vollautomatisch. Wir nutzen immer Informationen, die die Analysten mit ihrer Erfahrung hinzufügen, um über die Zeit mehr von der Kreditentscheidung zu automatisieren.
Wie sieht es mit eigener Softwareentwicklung aus?
Da es für relativ neue Geschäftsmodelle wie unseres keine Standardsoftware gab und gibt, erübrigt sich die Frage nach “Make or Buy” – wir müssen einen Teil selbst bauen.”
Neben der genannten Technologie für Kreditrisikoanalyse und -monitoring auf unserer eher komplexen Assetklasse sind das u.a. Registrierungsstrecken, die Integration von Kooperationspartnern sowie Funktionen für Auktionen, Zahlungsverkehr und Investorenreporting. Diese Funktionen haben wir zu unseren Kredit-Lifecycle-Tools integriert. Wir haben damit die volle technologische Kontrolle über unser digitales Geschäftsmodell und können uns mit eigener Innovation weiterentwickeln und Marktopportunitäten nutzen.
Werden auch Standardlösungen verwendet?
Wir integrieren Standardsoftware, wo es geht: Beispielsweise kommen Funktionen wie CRM, CMS und Service-Tickets von Hubspot. Mit Systemen wie Dropbox, DocuSign und Confluence integrieren wir Best-in-Class-Funktionen, die den Kreditprozess direkt unterstützen.”
Slack spielt ebenfalls eine große Rolle für die Prozesskoordination. Letztlich kann man auch die Integration mit unserer Frontingbank, die die Kredite entsprechend Kreditwesengesetz formell für uns vergibt, als Standardlösung sehen: Wir integrieren unseren Zahlungsverkehr und Transaktionsbuch mittels MT940 bzw. einer API an deren Kernbankensystem. Was diese Lösungen gemeinsam haben, ist erstens, dass sie in ihren Geschäftsfeldern sehr innovativ sind, und zweitens, dass wir alles in sicheren Cloud-Umgebungen laufen lassen.
Werden Sie Ihre eigenen Technologien auch anderen anbieten?
Zurzeit tun wir das nicht. Wir sind ein FinTech, kein klassischer Softwarehersteller oder SaaS-Anbieter.
Wir sind da aber prinzipiell offen: Wenn es Nachfrage gibt nach unserer eigenentwickelten Software, können wir uns durchaus vorstellen, damit in Zukunft neue Produkte anzubieten, z.B. als SaaS-Applikationen.”
Ein Kandidat wäre hier unsere Technologie für Risikobewertung und -monitoring. Auf einen Blick sofort die Schwachstellen einer geplanten Finanzierung sehen, hierfür gibt es einen großen Bedarf im Finanzsektor und darüber hinaus. Für einen Markteintritt gibt es aber noch andere Voraussetzungen, u.a. durch die langen Vertriebszyklen im B2B-Softwarevertrieb, insbesondere in der Finanzindustrie.
Was sind die entscheidenden Schlüsseltechnologien?
Wie viele meiner Kollegen darf ich hier antworten: Cloud, KI, Big Data sowie API Economy.”
In der Kombination befähigen uns diese vier Schlüsseltechnologien, unser Geschäftsmodell zu skalieren: Cloud und Big Data erlauben die Skalierung der Ressourcen bei gleicher Effizienz und bilden die Grundlage unserer Digitalisierung; KI führt zu Effizienzsteigerungen und verbesserten Risikomodellen; und die API Economy erlaubt stärkere Fokussierung unserer Wertschöpfung durch Auslagern von nichtstrategischen Dienstleistungen und Datenquellen.
Was sind die wesentlichen Datenquellen für das Creditshelf-System, und lassen sich dort andere Datenquellen problemlos anbinden?
Wir analysieren etwa zehn verschiedene Datenquellen für den eigentlichen Kreditprozess – von Auskunfteien über Handelsregister und monatlichen oder jährlichen Finanzdaten unserer Kunden bis hin zu Informationen zu deren Industrie, Kunden und Lieferanten, Produkten und Geschäftsmodell. Zudem verarbeiten wir Fundamentaldaten zum Markt.
Was uns von vielen anderen unterscheidet, sind zwei Dinge: Erstens, wir arbeiten “digital first”: Wir kommen nicht von einem Legacy-Prozess, sondern haben den Anspruch, möglichst gleich Datenquellen digital zu nutzen und anzubinden. Darauf ist auch unsere Architektur ausgelegt.
Zweitens arbeiten wir “Human in the loop”: Wir sind, glaube ich, sehr gut darin, qualitative Informationen technologiegestützt in unsere Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.”
Insofern sind unsere Analysten eine weitere zentrale Datenquelle, die uns langfristig lernen und den Kreditprozess datengestützt verbessern lässt.
Bezüglich Anbindung von Datenquellen ergibt sich ein gemischtes Bild. Im Idealfall binden wir eine API von einem Datenanbieter an, z.B. von Auskunfteien oder Open-Banking-Anbietern für XS2A-Dienste. Das geht sehr effizient. Liegen dagegen die Informationen in unstrukturierter bzw. nicht maschinenlesbarer Form vor, wie z.B. bei monatlichen Finanzdokumenten oder Jahresabschlüssen, müssen wir mehr Aufwand betreiben, bis hin zum Einsatz von KI – bzw. korrekter maschinellen Lernens –, um Dokumente automatisiert in digitale Form zu bringen.
Leider hat sich in Deutschland die Verwendung oder gar Standardisierung von Finanzdatenschnittstellen noch nicht durchgesetzt.”
Aus unserer Sicht ist das ein Faktor, der den Zugang des Mittelstands zu Kapital beeinträchtigt. Wir arbeiten aus diesem Grund seit Jahren gemeinsam mit Partnern an Finanzdaten-APIs für den Mittelstand und gehen davon aus, ab 2022 eine erste volldigitale Lösung zu haben.
Wie werden bei Ihnen die Produkte entwickelt – Wasserfall, Agile, etc.?
Wir arbeiten hauptsächlich mit Scrum, bei dem wir zusätzliche Skalierungsmethoden eingeführt haben, um mehrere Teams zu synchronisieren. Wir entwickeln den Prozess ständig weiter.
In letzter Zeit machen wir mehr mit Pairing, das aus dem Extreme Programming bekannt ist. Dies hilft nicht nur der Qualität, sondern auch, Wissen im Team besser zu verteilen.”
Zudem haben wir eine Rolle namens “Ambassador” eingeführt. Ambassadors sind Vertreter unserer internen Teams, also Sales, Risiko und Operations, die bei der Entwicklung von Features als Stakeholder vertieft mitdiskutieren, wenn die Einbindung des gesamten Nutzerteams zu aufwändig wird. Dadurch wird die Arbeit der Product Owner erheblich vereinfacht.
Welche Programmiersprachen, Tech Stacks und Tools verwendet Creditshelf?
Wir fokussieren uns im Kern auf fünf Sprachen bzw. Tech Stacks: React.js für unsere Frontends, Ruby on Rails für unseren Kreditprozess, Python für Kreditanalysekomponenten und Pipelines sowie Kubernetes, um alles skalierend zu betreiben.”
Hinzu kommt die Datenhaltung, die sich in relationalen Datenbanken und NoSQL-Datastores abspielt, u.a. Graph-Datenbanken und Document Stores.
Entwickelt wird mit dem vielseitigen Visual Studio Code sowie spezialisierten IDEs wie PyCharm und RubyMine. Diese sind in ein „DevOps“-Ökosystem um Github, AWS und ElasticStack eingebunden, das uns Best-in-Class Tools für unsere CI/CD-Pipelines zur Verfügung stellt, von statischer Codeanalyse (u.a. CodeClimate Quality, Coveralls), Vulnerability Management (u.a. Depfu, Detectify) und Tests (u.a. CodeBuild, Selenium) bis hin zu Review Tools (CodeFactor) und Prozess-Metriken (u.a. CodeClimate Velocity). Diese Tools sind via APIs eng mit unserem Planungstool Clubhouse sowie Slack-Meldungen verknüpft.
Wir entwickeln diese u.a. in Richtung „DevSecOps“ weiter, mit tieferen Codeanalysen während des Build- und Integrationsprozesses sowie dynamischen Tests zur Laufzeit, was unsere Penetration Tests komplementiert.”
Und wie sieht es mit Analytics Tools aus?
Analytics verwenden wir in zwei „Modi“: Für KPI-Dashboards und Reports, die sich relativ langsam ändern und regelmäßig wiederverwendet werden, verwenden wir Tableau.
Für prototypische Arbeiten dagegen, insbesondere in Data Science oder Rapid Prototyping, verwenden wir Kubeflow. Wir haben Kubeflow um Konnektoren zu unseren wichtigsten Datenbanken ergänzt, so dass man mit einem Jupyter Notebook mit ein paar Zeilen Python Code und entsprechenden Zugriffsrechten direkt mit unseren Daten arbeiten kann.
Das ist nicht nur praktisch innerhalb des Tech Teams, sondern wir verwenden Kubeflow auch zur „Demokratisierung“ von Code innerhalb der Firma.”
Mittlerweile ist die Akzeptanz da, und unsere Kollegen in Operations haben begonnen, Kubeflow selbständig einzusetzen.
Wenn Sie ein wenig in die Zukunft sehen – welche Technologie wird sich in fünf Jahren am stärksten auf Ihr Geschäft auswirken – worin wird Creditshelf investieren?
Man kann hier sicher sagen, Künstliche Intelligenz.”
In den nächsten fünf Jahren werden weitere Teile des Kreditanalyseprozesses für Unternehmen automatisiert sein – auch solche, die heute noch die Domäne von Analysten sind, weil z.B. komplexe Unternehmensstrukturen vorliegen oder bestimmte wirtschaftliche Situationen. Dann lässt sich statt in mehreren Tagen oder Wochen eine Kreditentscheidung in wenigen Stunden erreichen.
Speziell in Deutschland wird außerdem der digitale Zugang zu Finanzdaten des Mittelstands zu enormen Effizienzsteigerungen in der Kreditanalyse führen.”
Was heute mangels sinnvoller Alternativen als PDFs bei Finanzierern abgegeben wird, kann in naher Zukunft hoffentlich via API oder zumindest in einem standardisierten Datenformat gemacht werden. Daten könnten z.B. von den Unternehmen als XBRL geliefert werden. Der Standard existiert, ist aber beim Datenaustausch im Mittelstand nicht weit verbreitet.
Herr Dr. Heinrich, vielen herzlichen Dank für das spannende Interview!aj
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