Die Banking-Server sind in der Coronakrise das, worum wir uns am wenigsten sorgen müssen
Zahlreiche Schwarzmaler und Freunde der Apokalypse sind derzeit in der Öffentlichkeit – und insbesondere in den sozialen Medien – unterwegs. Sie schwadronieren über den durch die Coronakrise drohenden Kollaps der gesamten Geldversorgung, über den Staat, der die Bürger in dieser Ausnahmesituation um ihr geliebtes Bargeld bringen könnte und über den Zusammenbruch sämtlicher Banking-Server und IT-Systeme der Banken.
Wahr ist, dass die aktuelle Situation der IT-Infrastruktur (namentlich dem Internet) einiges abverlangt – durch deutlich mehr Videokonferenzen, verursacht durch die im Homeoffice versammelten Mitarbeiter, aber auch durch Menschen, die sich das Zuhausebleiben wegen der Coronakrise mit Film-Streaming in 4K versüßen wollen und entrüstet sind, wenn die Daten etwas zäher eintreffen als erwartet. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Wir sehen auch in Woche drei nach Beginn des Ausnahmezustands in Deutschland ein Internet, das zwar an verschiedenen Ecken und Enden etwas ächzt, aber wenig Grund zur ernsthaften Beunruhigung gibt.De-Cix arbeitet auch jetzt nicht am Limit
Da ist zum einen der Backbone, dessen Betreiber auch anlässlich der Herausforderungen, die die Coronakrise mit sich bringt, beteuern, dass er nicht einmal zu 50 Prozent ausgelastet ist und auch größeren Anstrengungen standhalten wird. Das klingt angesichts der Berechnungen verschiedener Experten (u.a. der Heise-Kollegen) mehr als glaubhaft, zumindest was die Regionen Nordamerika und Westeuropa betrifft.
Der nächste kritische Punkt sind die jeweiligen Services, die in den meisten Fällen zumindest bei ressourcenintensiven Anwendungen heute inzwischen in der Cloud stattfinden. Dass mal die eine oder andere Videokonferenz Aussetzer zeigt, kommt in den besten Familien vor – namentlich vor knapp zwei Wochen bei Microsoft Teams. „In den besten Familien“ buchstäblich, denn Microsoft selbst dürfte Azure-Cloud-bedingt da in der denkbar besten Position sitzen, um selbst kurzfristig für Abhilfe zu sorgen. Im entsprechenden Fall hat es beispielsweise nur Stunden gedauert, bis man auch in Westeuropa den durch die Coronakrise gestiegenen Anforderungen gerecht geworden ist und Microsoft Teams wieder annehmbar arbeitete.
Dritter Punkt ist die Infrastruktur der jeweiligen Banken. Wir haben in den letzten Wochen mit unterschiedlichen IT-Experten aus dem Infrastrukturumfeld und aus dem Bankenumfeld gesprochen: Kritisch zu bewerten ist, das geben einige Stimmen zu bedenken, das Sammelsurium an Legacy-IT, das bei Banken und Sparkassen zum Einsatz kommt. Unternehmen, die hier in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben in Sachen Digitalisierung gemacht haben, sind jetzt entspannter unterwegs, was auch die Mitarbeiter bemerken, die jetzt teilweise nicht mehr den gewohnten Kundenverkehr aufrechterhalten.
Doch zumindest bei den für die geschäftlichen Prozesse relevanten Systemen ist die Situation derzeit nicht angespannter als sonst auch. Dass wir insbesondere in den letzten Monaten einige Fälle hatten, in denen die Systeme selbst großer Banken über Stunden oder gar Tage mit bestimmten Funktionen nicht erreichbar waren, ist durchaus bekannt und offen gestanden ein Armutszeugnis für diejenigen Banken und Sparkassen. Und ja – es könnte durchaus in den kommenden Wochen zu Ausfällen kommen. Diese haben dann aber freilich nichts mit der Coronakrise zu tun, sondern eher mit maroden Systemen einzelner Institute und mit Pannen bei der Auslastungsplanung oder den Fallbacks.
Aus Kundensicht: Plan B entwickeln für Liquidität
Man kann also den Kunden lediglich den Tipp geben, dass sie weiterhin ihrer Bank vertrauen können, wenn sie das in der Vergangenheit auch konnten – oder eben dass das Misstrauen gegenüber Banken, die bereits in den letzten Monaten als Pannen-Kandidaten traurige Berühmtheit erlangt haben, auch in dieser kritischen Phase gerechtfertigt ist.
Letzten Endes, so fasst es einer zusammen, sind derzeit ausnahmslos alle Banken dabei, bestimmte Prozesse in die Cloud zu transferieren, bei denen dies denkbar und opportun erscheint. Damit wird insbesondere bei kleineren Banken die Ausfallwahrscheinlichkeit sinken. Größere Banken oder solche, die mit einer der zuverlässigen großen IT-Tochter der Bankengruppen arbeiten (Finanzinformatik oder Fiducia) verfügen hier indes beispielsweise über entsprechendes Know-how. Hier komme es also lediglich auf das Geschick der regionalen IT-Teams an, die naturgemäß durch die Coronakrise etwas dezimiert sind.
Für die Endkunden, die hier möglicherweise mitlesen, gilt dagegen die für Geldanleger vielleicht banale Erkenntnis, dass sie die Wahrscheinlichkeit der Liquidität erhöhen können, indem sie nicht alle Eier in einen Korb legen. Einen Plan B für die kurzfristige (!) Bargeldversorgung zu haben, kann sich bezahlt machen. Neben einer mäßigen (!) Bargeldreserve, die bekanntermaßen in der eigenen Wohnung eher ein Unsicherheitsfaktor ist, und der Abhebemöglichkeit vom Haupt-Girokonto sollte man folglich über eine weitere Kreditkarte oder eine weitere Kontoverbindung verfügen.
Es gibt letzten Endes rund um die Coronakrise sicherlich zahlreiche Unsicherheitsfaktoren, die das Gesundheitliche betreffen – die Bargeldversorgung ist es, so wie die sonstigen kritischen Infrastrukturen von Wasser bis Strom, eher nicht, was uns Sorgen machen sollte.“
Tobias Weidemann, IT-Finanzmagazin
Ach ja: Wenn Sie ein Wertpapierdepot besitzen und sich um irgendetwas Sorgen machen wollen, dann machen Sie sich doch eher hierüber Gedanken (und seien Sie sich im zweiten Schritt darüber bewusst, dass in zahlreichen früheren Krisen die Kurse langfristig zurückgekommen sind). Und noch wichtiger: Bleiben Sie gesund! tw
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