Dr. Martin (BVR): girocard – sinnvolle Regulierung ist, was dem Verbraucher nutzt
Die girocard (ehem. EC-Karte) ist Marktführer bei den unbaren POS-Zahlungsmitteln. Und sie soll noch besser werden: Ab 2017 wird jede neu ausgegebene girocard der Volks- und Raiffeisenbanken eine Kontaktlos-Karte sein. Wie es um die neuen kontaktlosen Karten, mobile Payment und die Zahlverfahren der Zukunft bestellt ist, verrät Dr. Andreas Martin, Vorstandsmitglied des BVR, unserem Zahlungsverkehrs-Experten Rudolf Linsenbarth.
Herr Dr. Martin, wie reagieren Sie, wenn in ihrem privaten Umfeld von der EC-Karte gesprochen wird?
Manche Kunden sind mit der girocard anscheinend dermaßen zufrieden, dass der Markenname für sie in den Hintergrund tritt. Darüber freue ich mich dann erst einmal.
Trotzdem sehen Sie jetzt neun Jahre nach der Umbenennung die Notwendigkeit einer Markenkampagne. Kommt das nicht etwas zu spät?
Die girocard hat ja schon einige Transformationen hinter sich, von der Eurocheque-Karte über die EC-Karte mit Magnetstreifen zum EMV-Chip.
Mit Einführung der Kontaktlos-Funktionen und des Themas mobile, wo der Kunde die physische Karte ja gar nicht mehr in der Hand hält, wollen wir die Marke girocard in den Vordergrund stellen.”
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IIIDr. Martin (BVR): Girocard – sinnvolle Regulierung ist, was dem Verbraucher nutzt
Welche Motivation haben die Volks- und Raiffeisenbanken für ein nationales Debit Scheme?
Die girocard ist zwar ein Produkt der Deutschen Kreditwirtschaft, das heißt aber nicht, dass es exklusiv nur von deutschen Banken verwendet werden kann. Es gibt im Augenblick keine konkreten Projekte, aber wir stehen länderübergreifenden Kooperationen für die girocard grundsätzlich offen gegenüber. In einigen Ländern Europas haben die Banken ihre selbst aufgebauten Kartensysteme an internationale Kartenorganisationen verkauft und sind jetzt nicht mehr so froh über diese Entscheidung. Wir sind überzeugt, dass wir durch unsere Unabhängigkeit die Produktentwicklung besser vorantreiben können. Wir müssen keine Gebühren an einen Dritten zahlen und können unseren Bankkunden und dem Handel ein gutes Angebot machen. Außerdem ist die girocard so konzeptioniert, dass sie optimal zu den SEPA-Prozessen passt.
Die Privatbanken stehen der Weiterentwicklung der girocard aber sehr verhalten gegenüber. Wie es scheint, ist die kontaktlose girocard erst mal eine „Privatveranstaltung“ des BVR und des DSGV?
Die girocard ist ein Gemeinschaftsprodukt der Deutschen Kreditwirtschaft. Es gibt Vereinbarungen zwischen allen Bankenverbänden, dazu gehört auch der Bundesverband deutscher Banken als Dachorganisation der Privatbanken. Es steht jeder Bank frei, über ihr Angebot des Produkts girocard selbst zu entscheiden. Wir, der BVR und der DSGV, sind von den Vorteilen der girocard überzeugt. Zusammen stellen die Genossenschaftsbanken und Sparkassen 75 Millionen ausgegebene Karten und damit 80 Prozent des girocard-Systems.
Es gibt aber keine Anzeichen, dass die Privatbanken bei der girocard aussteigen.”
Seit dem 9. Juni gilt die sogenannte Anwendungsvorauswahl. Außer einer einzigen Tankstellenkette tut sich der Handel mit der Umsetzung schwer. Wünschen Sie sich als Banker auch manchmal, eine Verordnung aus Brüssel ignorieren zu können?
Das ist in der Tat sehr interessant. Die Frage ist, was ist sinnvolle Regulierung? Sinnvolle Regulierung ist, was dem Verbraucher nutzt.
Also, wenn eine Verordnung dazu führt, dass die Kunden verwirrt sind und Kartenzahlung sogar länger dauert als Bargeldzahlung, ist niemandem geholfen.”
Es gibt zu dieser Verordnung einen gut durchdachten Vorschlag vom Bundesverband der electronic cash-Netzbetreiber.
Wäre es da nicht am einfachsten, die Banken verzichten auf das Co-Badging, also beispielsweise das Aufbringen von Maestro oder V Pay als zusätzliche Zahlverfahren?
Wir haben genau das im Auftrag unserer Banken konzeptionell bereits umgesetzt. Zunächst bleibt abzuwarten, wie Kunden und Händler mit der Anwendungsvorauswahl zurechtkommen. Ein Ende des Co-Badging ist zumindest eine Option.
Das Kartellamt hat die einzelnen Bankengruppen verpflichtet, die Händlerentgelte für die girocard in bilateralen Gesprächen mit dem Handel festzulegen. Sind die Claims mittlerweile abgesteck, oder gibt es da noch immer langwierige Verhandlungsrunden?
Wir als BVR sind kein Verhandlungsführer, das übernimmt die DZ Bank für die Institute in unserem Verbund. Aber nach allem was ich höre, gibt es hier mittlerweile einen eingeschwungenen Zustand. Nichtsdestotrotz sehe ich für die girocard hier eine ungute Doppelregulierung.
Eigentlich müsste der Handel der girocard doch den roten Teppich ausrollen, da sie ja die Grundlage für das ELV-Verfahren ist?
Auch hier kann ich nur aus einer Beobachterposition antworten. Immer, wenn „der Handel“ auf „die Kreditwirtschaft“ trifft, gibt es naturgemäß Diskussionspotenzial. Selbstverständlich will die eine Seite noch günstigere Preise, während die andere Seite darauf drängt, dass die erbrachten Leistungen auch angemessen entlohnt werden müssen. Die girocard ist nicht ohne Grund Marktführer im Bereich der unbaren Zahlungsmittel am POS und gewinnt auch weiterhin kontinuierlich Marktanteile hinzu. Ich meine, das spricht für sich.
Jetzt kommt also endlich die kontaktlose girocard. Im Vorfeld hat es Gerüchte gegeben, dass die Nutzerführung am POS eine andere sein wird, als die von MasterCard und VISA. Insbesondere was die Zahlung von Beträgen über 25 € angeht.
Sie sprechen hier die sogenannte Offline-PIN für kontaktlose Zahlungen an. Das ist eine Option, die wir im neuen Kartenbetriebssystem SECCOS 7 der girocard spezifiziert haben. Das werden wir aber zunächst nicht umsetzen. Damit ist das Handling der girocard am POS also dasselbe wie bei den internationalen Card Schemes.
Die Volksbanken und Raiffeisenbanken planen die Ausgabe von ca. 3 Millionen kontaktlosen girocards in 2016. Welche Regionen werden zuerst bedient und wann soll der Rollout abgeschlossen sein?
Wir werden 2016 bundesweit sogar über 4 Millionen Karten an unsere Kunden ausgeben. Als regionale Schwerpunkte stellen sich derzeit vor allem Baden-Württemberg sowie Dortmund als Region, in der wir bereits häufiger Pilotierungen im Zahlungsverkehr durchgeführt haben, heraus.
Ab 2017 wird jede neu von uns ausgegebene girocard dann auch als kontaktlose girocard ausgeliefert. Die Umstellung wird 2019 abgeschlossen sein.”
Linsenbarth ist einer der profiliertesten Blogger der Finanzszene und kommentiert bei Twitter unter @holimuk die aktuellen Entwicklungen. Alle Beiträge schreibt Rudolf Linsenbarth im eigenen Namen.
Wie sieht parallel der Zeitplan zur Umstellung der Händler-Terminals aus?
Das neue Kartenbetriebssystem SECCOS 7 ist abwärtskompatibel zu der Lösung, die wir bereits in Kassel einsetzen. Das werden wir als Erstes auf unsere weiteren Pilotregionen zügig übertragen. Die Gespräche hierzu laufen bereits. Es gilt auf jeden Fall: Die im Markt befindlichen kontaktlosen Terminals sind zur kontaktlosen girocard kompatibel und benötigen nur ein Softwareupdate.
Ab wann steht die girocard den Nutzern im Smartphone zur Verfügung?
Im November 2016 starten wir mit einem Piloten zur girocard mobile in Kassel. Die Ausweitung auf die anderen Regionen ist für das zweite Quartal 2017 geplant.
Herr Dr. Martin eine letzte Frage, haben Sie persönlich schon kontaktlos bezahlt und wenn ja, wie sind Ihre Erfahrungen?
Ja, ich habe die Technik bereits mehrfach verwendet, in der Vergangenheit zum Beispiel im Rahmen des girogo-Piloten, dann bei unserer Einführung der girocard kontaktlos in Kassel und natürlich zuletzt auf der CeBIT in diesem Frühjahr, auf der wir gemeinsam mit Telekom, Vodafone und Telefonica die technische Machbarkeit der girocard mobile dem Messepublikum präsentierten.
Auch wenn wir vom BVR uns gegen das Prepaid-Verfahren GeldKarte entschieden haben, der Kontaktlos-Technologie gehört einfach die Zukunft.”
Ich bin mir sicher, der wesentlich schnellere Bezahlvorgang und das gute Gefühl, die Karte nicht mehr aus der Hand zu geben, wird unsere Kunden auch sehr schnell von dieser innovativen Technologie überzeugen.
Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Martin.Rudolf Linsenbarth
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