eiDAS 2.0 und der Fehlstart von ID Wallet – Interview mit Armin Bauer, CTO IDnow

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Das Thema digitale Identitäten im Mobile Wallet rückt derzeit aus zwei Richtungen in den Fokus. Da wären zum einen die EU-Initiative „European Identity Digital Framework“ (eIDAS 2.0) und zum anderen die verschiedenen Projekte der Bundesregierung zur Einführung eines Ausweises auf dem Smartphone.
von Rudolf Linsenbarth
Besonders im Brennpunkt steht die am 23.9. vor der Bundestagswahl veröffentlichte App „ID Wallet“. Sie musste wegen zahlreicher Probleme sofort wiedereingestellt werden. Gründe waren unter anderem:- Lastprobleme
- Fehlender initialer Vertrauensaufbau im DIDComm-Protokoll
- DNS Server mit AXFR-Protokoll und der Möglichkeit für ein Subdomain Takeover
Welche Folgen hat das für die weitere Entwicklung von mobilen Identitäten auf dem Smartphone? Wird das Konzept von Self-Sovereign Identity (SSI) dadurch in Mitleidenschaft gezogen? Wie sollten wir in Deutschland das Thema digitale mobile Identitäten umsetzen, damit dieser Teil der Digitalisierung ein Erfolg wird?

IDnow
Wir fragen Armin Bauer, Co-Founder und Managing Direktor Technology bei IDnow:
Herr Bauer, Lastprobleme und ein DNS-System mit AXFR-Protokoll sind handwerkliche Fehler bei der Umsetzung. Fehlendes Vertrauen in den Austeller eines verifizierbaren Nachweises wäre dann aber doch ein grundsätzliches Problem der Architektur von ID Wallet. Ist die Kritik gerechtfertigt oder hat da jemand das Konzept von SSI nicht verstanden?
Grundsätzlich finden wir, dass der gewählte Ansatz der ID Wallet konzeptuell in die richtige Richtung geht. Digitale Identitäten sind ein Grundpfeiler der Digitalisierung und müssen zukünftig unter der Kontrolle der Bürger gespeichert werden. Wir finden es gut, dass die Regierung hier voranschreitet und auch innovativen Lösungen eine Chance gibt.Allerdings ist die Technologie „SSI“ an sich sehr neu und im Fluss. Deshalb kann durchaus infrage gestellt werden, ob es sinnvoll ist, die Sicherheit der Identitäten aller deutschen Bürger auf einer noch so jungen Technologie aufzubauen.
So sind im verwendeten DIDcomm v1 Protokoll Sicherheitsprobleme bekannt, die noch nicht gelöst wurden. Die meisten anderen Implementierungen von Wallets nutzen hier neuere Versionen dieses Protokolls.”
Ein anderes Beispiel: Am 01. September 2021 hat die Mozilla Foundation (Hersteller des Firefox Browser) offiziell der Verabschiedung eines essenziellen Standards für das ID Wallet („Decentralized Identifiers (DIDs)“) bei der W3C aus verschiedenen Gründen widersprochen. All dies zeigt, wie unsicher diese Standards aktuell noch sind.
Die Verantwortlichen der ID Wallet hatten unter anderem das iterative Vorgehen genannt, um das Fehlschlagen zu erklären. Wir von IDnow sind auch Freunde dieses agilen Prozesses aus der Softwareentwicklung – jedoch ist es fraglich, ob dieser Ansatz der richtige ist, wenn es um die Sicherheit der Identitäten aller deutschen Bürger geht.
Genau das kontrolliert normalerweise das BSI. Uns ist es unverständlich, warum normalerweise alle Anbieter sehr genau kontrolliert und zertifiziert werden, hier dies jedoch unterlassen wurde.”

Grundsätzlich gehen die Ideen wie u.a. Zugang, Einverständnis und Transparenz, die hinter SSI stecken, in die richtige Richtung. Allerdings sollte der Staat hier nicht selbst als Software-Entwickler auftreten, sondern die Rahmenbedienungen für einen freien Wettbewerb schaffen. Nur so ist es möglich, auf die schnell ändernden technischen Rahmenbedienungen ausreichend flexibel zu reagieren.
Deshalb kann es für den Erfolg dieser jungen Technologie nicht förderlich sein, wenn der Staat versucht, im Rahmen einer „Public Private Partnership“ sich auf eine einzige Technologie festzulegen.
Stattdessen sollte der Ansatz eines Zertifizierungsrahmen gewählt werden, wie es auch bereits sehr erfolgreich durch andere Staaten gemacht wird.”
Neben dem Blockchain-basierten Ansatz, den die ID Wallet nutzt, gibt es auch andere Ansätze – wie beispielsweise OpenID Connect – welche seit Jahren im Einsatz sind und von anderen Ländern erfolgreich eingesetzt werden. Hier sollte der Staat sich technologieneutral verhalten und nicht ausschließlich auf die Blockchain setzen.
Als einfaches Beispiel: Der aktuell gewählte Ansatz des Konsortiums wäre so, als ob der Staat selbst anfangen würde, Autos zu bauen. Das Ergebnis können wir uns vermutlich alle vorstellen. Stattdessen macht der Staat Vorgaben, was genau ein Auto erfüllen muss, um auf den deutschen Straßen zugelassen zu werden, und überlässt dann den Bau der Autos BMW, Porsche, VW und Mercedes. Zusätzlich werden bei Autos auch verschiedene Technologien zugelassen, so dass es Autos mit Benzin, Diesel, Wasserstoff oder rein elektrisch gibt.

Smart eID ist eine gute Verbesserung und Weiterentwicklung der Online-Ausweisfunktion, auch wenn es bis dato kein ID Wallet im Sinne der eIDAS darstellt.
Wir sehen die Zukunft des ID Wallets in dem Entwurf der eIDAS 2.0 der EU-Kommission, welcher aus unserer Sicht in eine gute Richtung geht. Wichtig ist hier, eine Technologie-Neutralität und einen offenen und transparenten Wettbewerb zuzulassen.”
Deswegen ist es essenziell, sich nicht zu früh auf eine einzige Technologie festzulegen. Stattdessen muss es Raum für Innovationen geben.
Mittlerweile gibt es auch Kritik an der Tatsache, dass Entwicklung und Betrieb an ein privates Unternehmen vergeben worden ist (Link). Allerdings sind Digitalisierungsprojekte, die im staatlichen Auftrag vorangetrieben werden, siehe Smart eID, auch kein Garant für einen Erfolg.
Entscheidend ist nicht das „ob“ sondern das „wie“. In der Tat lief die Vergabe an eine „System Vertrieb Alexander GmbH (SVA)“ (siehe hier) intransparent und vergabetechnisch fragwürdig. Ich als deutscher Bürger habe ein persönliches Interesse daran zu erfahren, warum die Entwicklung einer so essenziellen sicherheitsrelevanten Funktion wie eines eID Wallets durch dieses Unternehmen durchgeführt wurde und nach welchen Kriterien dieses Unternehmen ausgewählt wurde.
Wir rufen die Regierung hier auf, ein transparentes und offenes Verfahren zu schaffen, welches klare Vorgaben macht und einen freien Wettbewerb schafft und welcher ermöglicht, dass verschiedene ID Wallets entwickelt werden können, welche entweder Blockchain-basiert sind oder auf anderen Technologien.”
Schauen wir jetzt einmal auf eIDAS 2.0. Die Richtlinie für eine europäische digitale Identität (Euid) soll Ende 2022 verabschiedet werden. Genau ein Jahr später muss der deutsche Staat seinen Bürgern ein Wallet zur Verfügung stellen. Ist das beim jetzigen Tempo überhaupt machbar?
Natürlich ist die Zielvorgabe in dem Rahmen, wie sie die EU hier vorgibt, sehr ambitioniert. Wir finden es aber gut, dass hier solch sportliche Ziele gesetzt werden.
Wichtig ist es jetzt, ordentliche Standards und Zertifizierungsrahmen zu definieren und weitere Schnellschüsse in der Implementierung zu vermeiden.”
Außerdem gilt es, alle wichtigen Experten aus den jeweiligen Bereichen der Privatwirtschaft für die weitere Ausarbeitung mit einzubeziehen und die gemeinsamen Kräfte zu mobilisieren. Nur gemeinsam mit den Experten im Markt kann eine zufriedenstellende Umsetzung gelingen.
Generell sollte jedoch die Sicherheit nicht der Geschwindigkeit geopfert werden.”
Da hier die Basis für ein sicherheitskritisches System gelegt wird, sollten die Standards offen und unter Einbeziehung aller Parteien wie der Mitgliedsstaaten, Privatwirtschaft, Verbänden und Experten geschehen.
Herr Bauer, vielen Dank für das Gespräch.Rudolf Linsenbarth
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