EUDI-Wallet schön und gut, aber: Die digitale Brieftasche braucht eine privatwirtschaftliche Alternative!
eIDAS 2.0 hat grünes Licht von EU-Parlament und -Rat erhalten. Den großen Durchbruch in Sachen digitale Identitätslösungen wird die Initiative in Deutschland aber nicht bringen. Hier müssen stattdessen privatwirtschaftliche Akteure aus dem Banken- und Finanzsektor ran.
von Tage Borg, CTO von Scrive
Die eIDAS 2.0-Verordnung ist ein ambitioniertes Projekt: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent der EU-Bevölkerung über eine digitale Identität verfügen und diese im Alltag nutzen können. Die Basis dafür soll die EU Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) sein, eine digitale Brieftasche für EU-Bürgern, in denen verschiedene, personenbezogene Informationen gespeichert werden, zum Beispiel Personalausweis, Führerschein, Gesundheitsdaten oder eine elektronische Unterschrift.Obwohl es in manchen Ländern hinsichtlich der Entwicklung und Implementierung dieser Lösungen besser läuft als in anderen, wird die eIDAS 2.0-Initiative nicht entscheidend für die breite Akzeptanz und Adoption von digitalen Identitätslösungen sein. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen sind staatliche bzw. EU-initiierte und geleitete Projekte dieser Art nicht dafür bekannt, Aspekte wie Benutzerfreundlichkeit, Interoperabilität und Flexibilität gut abzuschneiden. Zum anderen führt das bei diesen Projekten übliche Prinzip von „Design by Committee“ zu mangelnder Priorisierung:
Es wird zu oft versucht, alle potenziellen Herausforderungen – von der technologischen Umsetzung bis hin zu Datenschutz und Compliance – auf einmal zu lösen, bevor der Endnutzer die Lösung zum ersten Mal zu Gesicht bekommt.”
Und nicht zuletzt braucht es tatsächlich mehrwertschaffende Use Cases für die Lösungen, denn ihre Akzeptanz und Nutzung fällt mit ihrer Anwendbarkeit im Alltag.
Um dies zu verdeutlichen, lohnt ein Blick nach Schweden: Die schwedische BankID wird pro Jahr rund sieben Milliarden Mal genutzt, aber nur fünf Prozent davon entfallen auf Anwendungsfälle im öffentlichen Sektor, verglichen mit 52 Prozent im Bank- und Finanzsektor, 25 Prozent für andere Privatsektor-Anwendungen und 18 Prozent für mobile Zahlungsvorgänge.
Der öffentliche Sektor kann und wird nicht das Zugpferd für digitale Identitätslösungen darstellen und jede Lösung, die den privaten Sektor nicht von Anfang an miteinbindet, wird keine breite Akzeptanz und Adoption im Alltag finden.”
Digitale Identitätslösungen stehen und fallen mit dem Banken- und Finanzsektor
Sprich: Die entsprechenden Alternativen müssen von Unternehmen und Institutionen aus dem Banken- und Finanzsektor entwickelt und vorangetrieben werden und eine Erleichterung alltäglicher, aber komplexer Prozesse für den Endnutzer bieten.”
Eine digitale Identitätslösung sollte zunächst ein einziges, aber dafür kritisches und häufig auftretendes Problem zuverlässig lösen. Auf der Basis dieses Erfolgs kann das Prinzip „digitale Identität“ dann die nötige Dynamik und Akzeptanz für die Ausweitung auf andere Anwendungsfälle gewinnen.
Organisationen aus dem Banken- und Finanzsektor sind dafür prädestiniert entsprechende Lösungen zu entwickeln und zu implementieren:
Zum einen haben sie nicht nur Einblicke hinsichtlich der Bedürfnisse und Anforderungen ihrer Nutzer, sondern auch über die notwendige Erfahrung bei der Bereitstellung und Skalierung digitaler Dienstleistungen.”
Zudem genießen sie aufgrund ihres Tagesgeschäfts und ihrer Bekanntheit bei einem Großteil der potenziellen Nutzer einen Vertrauensbonus, selbst bei üblicherweise technologieskeptischen Personen – ein Bonus, der sich noch einmal positiv auf Akzeptanz und Adoption auswirkt.
Warum zum digitalen Identitätspionier werden – und wie?
Wie bereits in der Vergangenheit bei Trends wie Blockchain und künstlicher Intelligenz zu beobachten war, wird es auch bei digitalen Identitätslösungen viele Mitläufer geben, die auf den Trend aufspringen, sobald dieser etabliert und akzeptiert ist. Dann wird jede Innovation schnell von allen Wettbewerbern adoptiert werden und eventuelle Wettbewerbsvorteile werden sich schnell ausgleichen. Bis dieser Zeitpunkt jedoch erreicht ist, werden einige wenige, wirklich innovative Akteure die Möglichkeit haben, nicht nur zusätzliche Marktanteile zu gewinnen, sondern auch die regulatorischen Rahmenbedingungen und die Infrastruktur mitzugestalten, die zu einem integralen Teil des digitalen Alltags in der EU werden soll.
Generell gilt, dass vieles, was als Trend beginnt, ab einem bestimmten Grad der allgemeinen Adoption im Markt zum Hygienefaktor für Kunden wird – einem Faktor, der zwar nicht aktiv zur Kundenzufriedenheit beiträgt, jedoch die Unzufriedenheit steigert, wenn er nicht vorhanden ist.”
Nicht-Early Adoptern und Verweigerern fehlen dann diese Hygienefaktoren und sie werden gezwungen, diese in einem Tempo zu implementieren, das möglicherweise die Qualität der angebotenen, neuen Funktionen und Dienstleistungen mindert. Selbst in einem relativ konstanten Markt kann dies Marktanteile kosten, insbesondere auch weil entsprechende Kipppunkte auch plötzlich und ohne Vorwarnung erreicht werden können – und je länger die Implementierung dauert, desto signifikanter die Verluste.
Ein Beispiel für solche Early Adopter-Success Stories kommt aus dem skandinavischen Markt für KFZ-Finanzierung: Hier gibt es einen Anbieter von Finanzierungslösungen, der mit der Einführung von elektronischen Vertragsabschlüssen dem Autoverkäufer Reportings über Verkaufszahlen innerhalb von Stunden statt Wochen bereitstellen konnte.
Verkäufer bevorzugten selbstverständlich die Lösung, die noch im selben Monat eine Auszahlung ermöglicht, gegenüber der arbeitsaufwändigeren Lösung, die zudem noch verspätet Ergebnisse liefert.”
Mit dieser Lösung konnte der Anbieter an seinen Wettbewerbern vorbeiziehen, die inzwischen bis zu einem gewissen Grad aufgeholt haben, aber nach wie vor nicht vollständig.
Ein weiteres Beispiel ist eine schwedische Online-Bank, die es Kunden ermöglicht hat, für ihre Kinder auf elektronischem Weg Sparkonten zu eröffnen. Da dieser Prozess schneller und einfacher war, als die papierbasierten und postbasierten Prozesse der Konkurrenz – berufstätige Eltern mussten nicht zu den üblichen Geschäftszeiten eine Bankfiliale aufsuchen – konnte die Bank viele junge Neukunden gewinnen. Mit Blick darauf, wie schwierig es ist, langjährigen Kunden überzeugende Anreize zum Wechsel ihrer Bank zu bieten, stellte dieses frühe Kunden-Onboarding einen signifikanten Wettbewerbsvorteil für die Online-Bank dar.Tage Borg, Scrive
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