Folgen der MiFID II-Umsetzung: Kritik und erste Erfahrungen aus den Umsetzungsprojekten
In sechs Monaten tritt die MiFID II-Richtlinie in Kraft. Derzeit arbeiten die Banken mit Hochdruck an der Realisierung. Jetzt zeigt sich immer konkreter, wie die Institute das Mammut-Projekt umsetzen und ob der Gesetzgeber sein Ziel erreichen wird, die Verbraucher besser zu schützen. Cofinpro gibt einen Überblick über die Erfahrungen aus den MiFID ii-Projekten und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
von Daniel Spitschan und Melanie Purgar, Senior Expert Consultants Cofinpro
1. Berge von PapierAb Herbst dieses Jahres bekommen viele Bankkunden ein Starterpaket mit Informationen rund um MiFID II, AGB-Änderungen und mehr: Pro Kunde werden dutzende Seiten Papier verschickt. Viel mehr Papier begleitet den Kunden künftig auch über das Jahr. Bei jedem Beratungstermin wird er stapelweise zusätzliche Produkt- und Kosteninformationen zu seiner Beratungsdokumentation erhalten.
Daneben noch je Quartal eine Depotübersicht, welche die Umsätze und Bestände darstellt. Und im Rahmen der Vermögensverwaltung sind die Institute verpflichtet, ebenfalls alle drei Monate ausführlich über die Entwicklung der Anlageprodukte zu informieren. Zudem müssen dem Kunden beispielsweise auch kurzfristige Überschreitungen einer bestimmten Verlustschwelle im Depot mitgeteilt werden. Die Mitteilungen häufen sich also und die zu erwartende Reaktion vieler Kunden: Sie werden die Post ihrer Bank noch seltener gründlich studieren.
2. Die Auswahl an Produkten verringert sichDie Banken werden Angebote künftig sehr genau prüfen, um die strengen Auflagen zu erfüllen und Risiken in der Beratung zu minimieren. Sie sind verpflichtet, ihre Angebote genau am jeweiligen Anlegerprofil auszurichten. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen möglich, was die Risikostreuung im Kundendepot erschweren wird. Das Anlageziel und die Motivation des Kunden müssen hinterfragt sowie regelmäßig überprüft werden. Dies ist aus Sicht des Verbraucherschutzes sinnvoll, wird aber dazu führen, dass die Kunden künftig auf weniger Produkte zugreifen können. So wären vor allem Anleger, die ohne Beratung Wertpapiere kaufen, von etwaigen automatisierten Vertriebseinschränkungen negativ betroffen und deren Wahlfreiheit eingeschränkt. 3. Der Ausweis der tatsächlichen Kosten gelingt nicht immer
Der Gesetzgeber verlangt künftig eine bessere Kostentransparenz. Die Banken sind verpflichtet, bereits vor dem Geschäftsabschluss alle anfallenden Kosten auszuweisen. Das Dilemma der Banken dabei: Zu diesem Zeitpunkt stehen die Kosten je nach Produktart noch gar nicht konkret fest. Die Institute müssen also auf die Vorjahreswerte zurückgreifen, um eine angenäherte Schätzung abzugeben. In den neuen jährlichen Kostenreports werden die Kunden beispielsweise dann auch nicht die tatsächlich angefallenen Produktkosten ihres Fonds sehen, sondern gegebenenfalls die Zahlen aus dem Jahresabschluss des Vorjahres. 4. Es bleibt bei der abhängigen Beratung
Auch unter MiFID II wird kein Durchbruch der Honorarberatung erfolgen, da der organisatorische Aufwand für die Institute zu hoch ist. Die Banken werden sich also nicht von ihrem traditionellen Modell der abhängigen Beratung abwenden. Doch sie müssen explizit auf diese Art der Vergütung hinweisen und gleichzeitig an der Qualität ihrer Dienstleistungen arbeiten. Sonst dürfen sie die Provisionen für die Vermittlung von Finanzprodukten nicht mehr behalten. Zur Qualitätssteigerung zählt beispielsweise ein verbesserter Zugang zu Beratungsdienstleistungen – auch in Form eines engmaschigen Filialnetzes. Damit könnte sogar dem „Filialsterben“ in der Fläche entgegengewirkt werden. Im Katalog der potenziellen Qualitätsverbesserungen ist außerdem von Online-Tools die Rede, die den Kunden bei der Überwachung und Beurteilung des Portfolios unterstützen sollen. Solche Maßnahmen sind bestenfalls ohnehin bei vielen Banken geplant, die ihr Online-Angebot ausbauen wollen.
Melanie Purgar ist Senior Expert Consultant bei Cofinpro. Sie ist Wertpapier-Expertin und beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit MiFID II. Die Beraterin begleitet Banken bei der Umsetzung des Regulierungsprojekts.
Die Bank muss künftig sämtliche telefonischen und elektronischen Orderaufträge oder Anlagegespräche mit dem Kunden aufzeichnen. Manche Institute nehmen das gesamte Gespräch auf – also gegebenenfalls auch Privates. Andere werden erst auf die Aufnahmetaste drücken, wenn es um das Produkt geht. Allen gemeinsam ist: Die Aufzeichnung wird mindestens über 7, eher über 10 Jahre archiviert, um die geführten Gespräche zu protokollieren und im Streitfall über Beweismittel zu verfügen. 6. Mehr Bürokratie für Vereine und andere juristische Personen
Jede juristische Person, also beispielsweise jeder eingetragene Verein, braucht ab dem kommenden Jahr einen sogenannten Legal Entity Identifier (LEI), um weiter Finanztransaktionen vornehmen zu können. Ohne diesen dürfen beispielsweise Fondsanteile nicht mehr verkauft werden. Die Beantragung eines solchen LEI kostet Geld und sie muss jährlich neu erfolgen. Das ist umständlich und teuer. Die Regelung dürfte dazu führen, dass kleinere Beträge seltener in Wertpapiere angelegt werden.
Das ernüchternde Fazit
MiFID II beinhaltet aus Verbrauchersicht viele sinnvolle Maßnahmen. Doch es bringt nicht nur den Banken, sondern auch dem Kunden noch mehr Bürokratie und nimmt ihm möglicherweise Chancen in der Geldanlage. Zudem widerspricht eine mit der Regulierung einhergehende steigende Standardisierung im Produkt- und Dienstleistungsangebot dem zunehmenden Bedürfnis der Verbraucher nach individuellen Leistungen. Die Institute müssen Wege finden, diesen Anforderungen zu begegnen.aj
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