Mehr Frauen in der IT? Nur über grundlegendes Change Management
Es ist ein alter Hut – anders kann man es nicht formulieren: Es gibt zu wenige Frauen in der IT. Gerade einmal 16 Prozent beträgt ihr Anteil unter den Fachkräften, wie die letzten Zahlen des Interessensverbands eco belegen. In Führungspositionen wird die Luft gleich noch einmal dünner. Umso verständlicher, dass auch IT-Unternehmen vor diesem Hintergrund Frauenförderung längst als Image-Polierer für sich entdeckt haben. Zudem können ja mehr Frauen hoffentlich den allzeit monierten Fachkräftemangel lindern. So überschlagen sich die Firmen mit vollmundigen Ankündigungen, der Employer Brand soll schließlich profitieren. In vielen Fällen werden die Versprechen aber nicht eingelöst – denn an Konzepten mangelt es nicht, aber an der Umsetzung.
von Dirk Pothen, adesso
Jedes Unternehmen sollte Interesse haben, seinen Frauen-Anteil signifikant zu erhöhen. Diverse Teams – in diesem Fall bezogen auf Geschlechtervielfalt – erzielen bessere Ergebnisse und bringen nachhaltigere Innovationen hervor als monokulturelle und im Fall der IT-Branche meist reine Männer-Teams. Frauen gehen oftmals anders an Entscheidungssituationen heran. In gemischtgeschlechtlichen Teams entsteht dadurch eine zusätzliche Perspektive, die insgesamt zu besseren Lösungen führen kann. Diversität wirkt sich also positiv aus: kulturell, fachlich und letztlich auch kommerziell. Daran lassen Studien und Expertenmeinungen keine Zweifel aufkommen. Und trotzdem tun sich viele Firmen schwer, den „Frauen-Verstand“ zu schätzen.Dirk Pothen ist Mitglied des Vorstands des IT-Dienstleisters adesso (Website) mit aktuell rund 4.200 Mitarbeitenden. Pothen leitet in seiner Funktion als Personalvorstand auch die adesso-Initiative „She for IT“, die mehr Frauen für IT-Berufe begeistern und gewinnen möchte. Für Pothen ist der Weg eines IT-Unternehmens hin zu höherem Frauenanteil ein Change-Management-Prozess, der anstrengend, aber alternativlos ist. Bis 2022 will adesso 40 Frauen für Führungspositionen gewinnen. In seinem Kommentar beleuchtet er die Gemengelage und gibt Tipps für männlich dominierte Unternehmen, die sich ebenfalls auf den Weg machen möchten, ihren Frauenanteil zu erhöhen, von Diversität zu profitieren und das Thema Gleichstellung konsequent umzusetzen.
Warum eigentlich?
Das hat einen entscheidenden Grund. Um Vielfalt und Gleichstellung am Arbeitsplatz nachhaltig und effizient zu verankern, reicht eine Aufnahme in die Unternehmensleitlinien nicht aus. Vielmehr bedarf es grundlegender Change-Management-Prozesse, die alle Mitarbeitenden eines Unternehmens während der Veränderung begleiten. Durch sie muss letztendlich die Umsetzung erfolgen. Nicht selten treten hierbei Widerstände auf, die in der Konsequenz zum Misserfolg des Projektes führen. Echtes Change Management kann also anstrengend sein und hat zudem keine Garantie auf Erfolg. Rein statistisch betrachtet scheitern neun von zehn solcher Initiativen. Da ist zunächst einmal mehr als verständlich, wenn Unternehmen angesichts guter Geschäftszahlen und ungebrochenem Umsatzwachstums keinen triftigen Grund sehen, an Bewährtem zu rütteln. Aber können wir sicher sein, dass das so bleibt? Können wir weiter abwarten und beobachten? Nein, denn die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt und im Wettbewerb, die Erwartungen und Arbeitsbedingungen und vor allem die Transparenz darüber verändern sich stetig. Nur wer die Nase vorn hat, profitiert von den Potenzialen. Unternehmen müssen sich also bereits in guten Zeiten auf die Zukunft vorbereiten – und die schließt im Falle der IT-Branche definitiv Frauen als Fach- und Führungskräfte mit ein.
Ein echter Change-Management-Prozess wird natürlich auch vom Management getrieben
Für eine erfolgreiche Umsetzung von Diversity fällt besonders den Führungskräften, von CEO und Aufsichtsrat bis zur Teamleitung, eine Schlüsselrolle zu – sie müssen gewissermaßen für die Umsetzung der Ziele zu mehr Geschlechtergleichheit zur Verantwortung gezogen werden. Fortschritte werden gemessen und kommuniziert, die Ziele werden öffentlich gemacht und sind damit bindend. adesso beispielsweise will in den nächsten zwei Jahren über 40 zusätzliche weibliche Führungskräfte ins Unternehmen holen, und zwar nicht in den so klassischen Bereichen Marketing und HR, sondern auch Beraterinnen, Programmierinnen und Co.
Das hat seinen Grund: Ich bin überzeugt davon, dass der Weg zu mehr Frauen über mehr Frauen führt. Ein Paradoxon? Nein, denn es gilt die Wirkung von Frauen als Vorbilder zu nutzen.”
Schon heute ist der Frauenanteil in Teams mit weiblichen Führungskräften höher. Somit gilt es, direkt von Beginn an, gezielt mehr Frauen in Führungspositionen zu besetzen. So kann der Effekt einer „self-fulfilling prophecy“ erzeugt werden. Natürlich müssen die Männer, die bei adesso immerhin 83 Prozent der kompletten Belegschaft und 94 Prozent der Führungskräfte ausmachen, mit an Bord geholt werden. Es würde nichts bringen, wenn sie untätig von der Seitenlinie aus abwarten, wie das „Experiment“ läuft. Aber starke weibliche Vorbilder haben nun einmal einen viel höheren Multiplikator-Effekt – und das fängt bestenfalls bereits in sehr jungen Jahren im familiären Umfeld an.
Es ist allerdings nicht damit getan, mehr Frauen für sein Unternehmen zu gewinnen
Die Employee Journey macht den Unterschied: Dabei spielt die Gestaltung des Bewerbungsprozesses eine genauso wichtige Rolle wie Karriereplanung, Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle, Teilzeit- und Auszeitoptionen sowie Equal Pay. Alte Bewertungsmuster müssen aufgebrochen und unbewusste Vorurteile abgebaut werden. Viele Aspekte, die das Modell für Frauen attraktiv machen, sind geschlechterübergreifend auch für die Generation der heutigen Berufseinsteiger interessant und sogar entscheidungsrelevant.
Die Einführung und Umsetzung von Diversity ist definitiv kein Sprint.”
Alles in allem handelt es sich um einen langfristigen und nachhaltigen Prozess, dessen Maßnahmen dann aber entscheidend zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Will man das Potenzial diverser Teams für sich heben, reichen reine Lippenbekenntnisse allerdings nicht aus.Dirk Pothen, adesso
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