STRATEGIE28. Juni 2016

girocard – bleibt sie auch in Zukunft die beliebteste Karte in Deutschland?

Klaus Igel, Softwareentwickler im Retail Bankingprivat
Klaus Igel, Berater und Softwarearchitekt für Banking Lösungenprivat

Aufgrund der zunehmenden Globalisierung werden es nationale Payment-Lösungen in Zukunft immer schwerer haben – so zumindest die fast einhellige Expertenmeinung. Gilt das auch für die girocard, dem nach Bargeld am häufigsten in Deutschland eingesetzten Zahlungsmittel?

von Klaus Igel, Berater und Softwarearchitekt für Banking Lösungen

Mit mehr als 100 Millionen ausgegebenen Karten, flächendeckender Händlerakzeptanz, günstigen Konditionen für den Handel und wichtigen Zusatzfunktionen hat die girocard aktuell eine sehr starke Ausgangsposition, um im Kampf gegen Visa, Mastercard und neue Player zu bestehen.

Ein Blick auf die Anzahl der Girokonten (ca. 102 Mio. Konten) in Deutschland zeigt, dass die Gleichung „wer ein Konto hat, hat auch eine girocard“ zutreffend ist. Zunächst denkt man bei der girocard, so man sie überhaupt unter diesem Namen und nicht nur unter ihrer alten Bezeichnung EC-Karte kennt, an die Einsatzmöglichkeiten am Geldautomaten und um damit im Handel bezahlen zu können. Das ist heute kein Alleinstellungsmerkmal mehr und dieses Feld kann aus Sicht der Anwender 1:1 von jeder Kreditkarte abgedeckt werden.

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girocard

Dazu kommen aber noch eine Reihe exklusive girocard-Mehrwertfunktionen – die beiden wichtigsten sind:
1. Einsatz im Online-Banking zur Freigabe von Aufträgen im Rahmen des chipTAN-Verfahrens, bei dem der Kartenleser die TAN zusammen mit dem Chip der girocard generiert.
2. Nutzung von SB-Terminals und Kontoauszugdruckern im Selbstbedienungsbereich der Banken/Sparkassen.

Mit der Altersverifikation, der technischen Unterstützung einer digitalen Signatur oder dem Speichern von Bonuspunkten / Tickets sind weitere, vielleicht nicht ganz so bekannte Zusatzfunktionen, vorhanden.

Aktuell kommen auf der Haben-Seite natürlich noch die flächendeckende Akzeptanz und die Datensicherheit hinzu. Laut eigener Aussage (hier auf girocard.eu)  gab es in der ersten Jahreshälfte 2015 keinen einzigen Fall betrügerischer Kartenfälschungen, was zweifellos auch dem flächendeckenden Einsatz der EMV-Technologie zu verdanken ist.

girocard: Fünf neue Herausforderungen

Betrachtet man die Ausgangslage, könnte man erstmal zum Fazit kommen, dass alles in bester Ordnung ist. Die Erde dreht sich – trotz Brexit und anderer Bremsmanöver – weiter und so gilt es auch für die girocard, sich fünf neuen Herausforderungen zu stellen:

1. Kontaktloses Bezahlen ist, wenn auch in Deutschland im internationalen Vergleich etwas langsamer, unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Während Kreditkarten schon seit geraumer Zeit für kontaktlose Zahlungen verwendet werden können, ist man bei girocard noch in der Erprobungsphase (mehr dazu hier).

2. Die girocard kann im Gegensatz zu Kreditkarten nicht für Online-Zahlungen verwendet werden. Das Projekt „girocard im Internet“ findet im Moment keine Beachtung mehr. Geblieben ist lediglich noch die Webseite: https://www.girocard-im-internet.de/

3. Mobiles Bezahlen mit dem Smartphone auf Basis des girocard-Systems ist aktuell noch nicht für den Endkunden verfügbar. Auf der diesjährigen CeBIT wurde allerdings das Projekt „girocard mobile“ (basiert auf NFC SIM) zusammen mit der Deutschen Telekom, Telefonica und Vodafone präsentiert, so dass hier auch in absehbarer Zeit mit einer Lösung zu rechnen ist. Allerdings gibt es hier einen zeitlichen Vorsprung zugunsten kreditkartenbasierter Systeme – ob man Lösungen wie mpass, Telekom MyWallet, Vodafone SmartPass, Base Wallet oder Cashcloud bereits als Success Story bezeichnen kann? Wohl eher (noch) nicht.

4. Die europäische Interchange Fee Verordnung sieht die sogenannte Anwendungsauswahl vor, d.h. der Kunde muss bei der Zahlung das mit seiner Karte mögliche Zahlverfahren selbst bestimmen – z.B. Girocard, Maestro, V-Pay, ELV. Das dürfte den normalen Kunden schlichtweg überfordern bzw. auch gar nicht interessieren – Ausgang ungewiss. Zum Thema „Anwendungsauswahl“ ist der Artikel http://www.bargeldlosblog.de/die-qual-mit-der-anwendungsauswahl/ sehr empfehlenswert.

5. „Punktesammler“ wenden sich möglicherweise anderen Systemen zu – auch auf die Gefahr hin, dass es zum Tauschgeschäft „Punkte gegen Sicherheit/Privacy“ kommt. Hierfür wird girocard vermutlich nicht die Themen Zahlungsgarantie, Zahlungs- und Datensicherheit opfern. Wie der Konsument Systeme à la Payback Pay aufnimmt, die den Zahlungsvorgang ja eher nebenläufig behandeln, bleibt abzuwarten.

Autor Klaus Igel
Klaus-Igel-516Banking und IT-Experte und seit mehr als 25 Jahren in diesem Bereich tätig. Beschäftigt sich als selbständiger Berater und Softwareentwickler mit den Themen Retail Banking, Zahl­ungs­ver­kehr, Mobile Payments, Authen­ti­fi­zier­ungs­lö­sungen und Banking Schnitt­stellen wie z.B. FinTS/HBCI. Neben Projekten im Inland hat er auch in Asien/Nordamerika Lösungen für den Finanzsektor entwickelt. Klaus Igel äußert sich zu Themen bei Twitter unter https://twitter.com/kig_de

SECCOS-Feature: Abschaltbarkeit der NFC-Funktion

Interessant ist auch noch ein technisches Exklusiv-Feature, das unter der Haube des bei der girocard verwendeten Chipkarten-Betriebssystems (SECCOS) steckt – die Abschaltbarkeit der NFC-Funktionen. Obwohl das kontaktlose Bezahlen immer mehr gewünscht wird, so gibt es noch immer eine große Anzahl Kunden, die dies für „gefährlich halten“ und es „niemals einsetzen würden“. Diese Kunden nicht aus dem Auge zu verlieren, könnte sich noch als geschickter Schachzug herausstellen.

Fazit: Noch ist girocard gut aufgestellt

Für die aktuellen Marktanforderungen ist die girocard sehr gut positioniert und der „neue Stoff“ wie kontaktloses und mobiles Bezahlen ist auch in 2016 noch nicht ganz bei den Kunden angekommen. Vielleicht kann man sogar einen Schritt weitergehen und sagen, dass es ohne „girocard“ schwierig wird, den Durchbruch beim kontaktlosen/mobilen Bezahlen zu erreichen – eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Sobald attraktive Lösungen von Playern wie Apple oder Google verfügbar sind, werden die Karten möglicherweise ganz neu gemischt. Vor nicht allzu langer Zeit gab es mal eine Firma Nokia, die den weltweiten Handymarkt dominierte …

Wenn die bereits gestarteten Projekte girocard kontaktlos/mobile wie geplant umgesetzt werden, ist man auch für einen technologischen Wandel gut positioniert.

Hier gilt es, vor allem auch die jüngeren / Smartphone-affinen Kunden mit attraktiven Anwendungen zu bedienen und sich sinnvollen Partnerschaften nicht zu verschließen. Käme die girocard in Apple/Android Pay, wäre das vermutlich der Durchbruch für das mobile Bezahlen in Deutschland. Ich bin zuversichtlich, dass die girocard auch 2020 noch die beliebteste Karte der Deutschen sein wird.Klaus Igel

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