Kritik: Vergleichsportale – KI für die Managerhaftpflicht von der Stange?
95 Prozent der Deutschen kennen Check24 – hier vergleichen sie alles, glaubt man der Werbung für das Online-Portal. Die besten Angebote finden und möglichst direkt kaufen. Wer den günstigsten Flug in den Urlaub oder die billigste Waschmaschine sucht, wird schnell fündig. Komplizierter wird es allerdings bei Bedürfnissen, die sich nicht so leicht vergleichen lassen oder beim Nutzer bereits sehr viel Fachwissen voraussetzen.
von Diederik Sutorius, Geschäftsführer beim Kölner D&O-Spezialisten VOV
Seit kurzem etwa können Entscheider online D&O-Policen vergleichen und sogar auf digitalem Wege abschließen. Portale wie Finanzchef24 – andere stehen schon in den Startlöchern – wollen dabei die besten Tarife liefern und Kunden so möglichst viel Arbeit abnehmen. Die Antwort auf die erfahrungsgemäß hochgradig komplizierten Haftpflichtrisiken von Geschäftsführern, Aufsichtsräten und Führungskräften liegt nur wenige Klicks entfernt, so das Versprechen.Das klingt verlockend, wer hat schon Lust, lange Fragebögen auszufüllen und dutzende Seiten Versicherungsbedingungen zu lesen? Ganz so einfach ist es aber leider doch nicht.”
Online-Rechner setzen zu viel Fachwissen voraus
Wer sich etwa als angestellter Geschäftsführer einer mittelständischen GmbH durch die tatsächlich überschaubare Anzahl an Eingabefeldern klickt, kann sich angeblich schon auf dem Preisniveau einer Privathaftpflicht gegen mögliche Risiken absichern. Das Problem: Bei dem günstigsten Tarif ist die Deckungssumme auf 100.000 Euro begrenzt und der Insolvenzfall ist ausgeschlossen. Das ist sehr riskant: Insolvenzverwalter machen inzwischen regelrecht Jagd auf die Portemonnaies ehemaliger Manager, um möglichst viel verlorenes Geld einzutreiben.
Viele denken jetzt: das passiert mir nicht. Doch das geht schneller als man denkt. Chefs, Aufsichtsräte und sogar Führungskräfte können sich beispielsweise schlecht darauf berufen, im Ernstfall von nichts gewusst zu haben. Denn in solchen Fällen gilt die Beweislastumkehr. Beschuldigte müssen sich also im Verfahren freibeweisen. Und das kostet. Erfahrungsgemäß liegt allein der Aufwand für Rechtsstreitigkeiten im Insolvenzfall bei bis zu einer halben Million Euro. Eine Verurteilung endet, wenn die Deckungssumme nicht ausreicht, häufig in Privatinsolvenz, denn die Manager haften mit ihrem gesamten Vermögen.
Privatinsolvenz, denn die Manager haften mit ihrem gesamten Vermögen.
Eine gute D&O-Police kommt für all diese Schäden auf. Vereinfacht ausgedrückt versichert das Unternehmen angestellte oder bestellte Organmitglieder vom Geschäftsführer über Mitglieder im Aufsichtsrat bis hin zu Führungskräften. Doch Hand aufs Herz: Wer kann wirklich wissen, ob der Schutz aus dem Netz etwas taugt? Der Teufel bei D&O-Versicherungen – und ähnlichen Produkten – steckt in Details wie etwa Unterstützungen bei Firmenstellungnahmen oder Sonderuntersuchungen durch die BaFin. Zwar verlinken die Vergleichsrechner korrekt auf diese Formalitäten. Wer aber beschäftigt sich ernsthaft mit solchen Fragen und kann dann auch noch mit Sicherheit sagen, ob er davon betroffen sein wird oder nicht?
Mit KI individuellen Bedürfnissen auf der Spur
Nutzer verkennen bei etwas komplizierteren Produkten wie einer D&O-Police häufig die eigenen Bedürfnisse. Es zeigt sich, dass sich die individuellen Bedürfnisse nur sehr schwer über einige wenige Standardabfragen erfassen lässt, wenn der Benutzer sich mit der Materie gar nicht oder zumindest nicht hinreichend gut auskennt.
Darauf zielt auch das renommierte Forschungsinstitut ibi research ab, das in einer Studie über Vergleichsportale für Versicherungen auf mangelhafte Beratung hinweist und „Handlungsbedarf in allen Phasen des Kaufprozesses“ sieht.”
Das gilt selbst für Versicherungen mit vermeintlich allgemeinverständlichen Schadenfällen, etwa bei einer KFZ- oder Reiserücktrittversicherung, die viele Verbraucher inzwischen online abschließen. So kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), dass die für Verbraucher optimale Police bei vielen Vergleichsrechnern gar nicht angeboten wird. Die Rankings seien nicht vollständig und nicht zu 100 Prozent nachvollziehbar. Genau das würde aber immerhin jeder zweite Nutzer glauben, der sich auf die Empfehlungen dieser Portale verlässt, so die Verbraucherschützer.
In dieser Situation stellt sich die Frage, wie sich der Wunsch nach einer schnellen Lösung mit dem Angebot der Vergleichsportale verheiraten ließe. Eine Antwort lautet: künstliche Intelligenz (KI).”
Wir brauchen Computer, die Bedürfnisse von potenziellen Kunden intelligent abfragen und diese nicht nur mit bestehenden Daten abgleichen, sondern erkennen, ob Versicherungsmöglichkeiten bestehen und welche das sind. Lernende Maschinen können dann dabei helfen, gewissermaßen interaktiv mit potenziellen Versicherungskunden ein maßgeschneidertes Produkt zu ermitteln.
Online drohen vorschnelle Entscheidungen
Amazons Alexa und Apples Siri machen es im Consumer-Bereich vor. Doch auf komplizierte Fragen haben auch diese Systeme häufig keine Antwort parat. Und das ist kein Wunder, denn das fachliche Know-how ist nicht einprogrammiert. Bei versicherungstechnischen Themen wie unverfallbarer Nachhaftung, Anspruchserhebungsprinzip oder länderspezifischen Ausschlüssen (non admitted countries) müssen diese Automaten häufig noch passen. Den Chefs, die bei Vergleichsrechnern mit solchen Ausdrücken konfrontiert werden, ist also gar nicht geholfen.
Ein Laie dürfte auch den Unterschied zwischen einem Schiedsgutachten und einem Schiedsverfahren nicht auf Anhieb benennen können, geschweige denn eine bewusste und informierte Entscheidung darüber treffen. Zur knappen Orientierung: Zwischen dem einen und dem anderen Fall liegt eine Preisdifferenz von rund 300.000 Euro, die sich naturgemäß auf die zu zahlende Prämie für eine D&O-Police auswirkt.
Technisch gesprochen stehen die heutigen Vergleichsrechner bei Versicherungen also vor zwei großen Herausforderungen: Sie müssen die Bedürfnisse eines Kunden erkennen können, ohne vorauszusetzen, dass dieser bereits ausreichend vorinformiert alle relevanten Angaben über ein standardisiertes Eingabeformular tätigen kann. Und sie müssen – und das fehlt bislang komplett – laufend Veränderungen im rechtlichen Umfeld bewerten, um zu ermitteln, ob bestimmte Klauseln und Bedingungen überhaupt noch Sinn ergeben.
Keine Beratung ohne Interaktion
Auch dafür bietet eine Kombination mit versicherungsrelevanten Daten und „Rechtsdaten“ – gemeint sind Daten über das Recht: also Urteile, Gesetzesänderungen, usw. – gefütterte künstliche Intelligenz einen möglichen Ansatzpunkt, um komplexe Produkte überhaupt erst vergleichbar zu machen. Da Versicherungsnehmer wie gesagt nicht immer Experten in eigener Sache sind, muss die lernende Maschine zudem auch unklare oder sogar widersprüchliche Angaben verarbeiten können und gegebenenfalls Rückfragen stellen.
Zu einem interessanten Forschungsfeld in dieser Hinsicht dürften sich normative Rechtscodizes entwickeln. Auch hier ein Beispiel: Good Governance bedeutet in Deutschland häufig, sich wie ein ordentlicher Kaufmann zu verhalten. In Hamburg gibt es sogar die Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns und einen gleichnamigen Verein, der sich um die jährliche Ausrichtung kümmert. Doch was genau ist eigentlich ein ehrbarer Kaufmann – und was ist unter Ehre in anderen Kultur- und Wirtschaftsunternehmen zu verstehen?
Je nach Branche und spätestens bei länder- und kulturübergreifenden Geschäften lassen sich auf solche Fragen keine universell gültigen Antworten geben. Das müssen die Unternehmen selbst erst lernen – und sei es mit Maschinen, die für sie lernen und dabei über genügend Daten verfügen, um eine sinnvolle Prognose abzugeben.
Ein klassisches Online-Formular ist dazu gar nicht in der Lage. Es ist einfach nicht intelligent genug.aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/54680
Schreiben Sie einen Kommentar