IT-Systeme als Nervenzentrum eines Unternehmens: Erfolgsfaktoren für Fusionen bei Versicherungen
Ob der Deutsche Ring zwischen Signal Iduna und Basler Versicherungen aufgeteilt wird oder die Axa Versicherung die Winterthur Group übernimmt – die Integration nach Übernahmen stellt Firmen in der Regel vor beachtliche Herausforderungen. Ein Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre im Versicherungssektor zeigt: Zusammenschlüsse sind keine Seltenheit. Die Anzahl der eigenständigen Versicherungsunternehmen hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen.
von Christian Schreyer, Berater und Projektleiter bei NTT Data
Im europäischen Raum gibt es immer noch circa 5.000 unterschiedliche Versicherungsunternehmen. Der Markt ist also stark fragmentiert. In Deutschland kommen die Top Fünf nur auf Marktanteile zwischen 40 und 50 Prozent. In anderen Ländern hingegen liegt die Quote bei 65 Prozent und mehr.Eine umfassende Post-Merger-Integration (PMI), die den Zusammenschluss begleitet, ist daher ein wichtiger Erfolgsfaktor, um die Schlagkraft des neuen, größeren Unternehmens zu erhalten.
Hierbei spielen nicht nur Organisation und Geschwindigkeit eine Rolle, auch die IT-Integration ist zentral für eine erfolgreiche Übernahme.”
Schließlich nutzen alle Bereiche in beiden Unternehmen – vom Controlling bis zum Schadenmanagement – spezifische Anwendungen und Netzwerke, die für reibungslose Geschäftsabläufe unerlässlich sind. Hierbei spielen meist externe Dienstleister eine wichtige Rolle, die die Integration der IT-Systeme gemeinsam mit Entscheidungsträgern aus beiden Unternehmen umsetzen.
Im Versicherungssektor gibt es eine Reihe an Faktoren, die in Zukunft zu Übernahmen führen werden: neue gesetzliche Regeln zum erforderlichen Eigenkapital gemäß des Solvency Capital Requirement (SCR), die schlechte Zinssituation (insbesondere für Lebensversicherungen) und immer komplexere Anforderungen der Kunden.
Durch das Hinzukaufen anderer Firmen können Versicherungen neue Märkte erschließen, Know-how hinzugewinnen und Kosten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg senken. Meist formulieren Entscheider sehr ambitionierte Ziele, um den Erwartungen der Investoren an das Return on Investment (ROI) Rechnung zu tragen. Dies erfordert eine schnelle Umsetzung des Zusammenschlusses. Gerade deshalb müssen sich zuständige Manager darüber im Klaren sein, dass eine Übernahme keineswegs mit dem juristischen Vollzug erledigt ist.
Des Weiteren sollten im Rahmen der PMI nicht einfach die Prozesse des größeren Unternehmens auf das kleinere übertragen werden. Trotz pragmatischer Argumente für ein solches Vorgehen, birgt es die Gefahr, dass das kleinere Unternehmen durch überdimensionierte Prozesse und Systeme gewissermaßen verschwindet. In der Folge verliert die gesamte Firma an operativer Schlagkraft – Prozesse verlangsamen sich beispielsweise. Im schlimmsten Fall können die eigentlichen Gründe für den Erwerb eines Unternehmens – etwa von seiner Innovationskraft zu profitieren – nicht genutzt werden.
Der frühe Vogel fängt den Wurm: Schnelligkeit ist entscheidend
Meist ist eine ganze Reihe an Anwendungen auf beiden Seiten betroffen: zum einen angepasste Standardsoftware, wie Datenbanken und Finanzanwendungen, zum anderen über einen langen Zeitraum gewachsene Legacy-Systeme. Viele Lösungen müssen funktionell angepasst oder migriert werden. Während der Integrationsphase führt dies zu erhöhten IT-Kosten, die sich später durch Synergieeffekte rechnen müssen. Um dem operativen Geschäft so wenig wie möglich zu schaden, setzen beide Unternehmen die PMI parallel zum laufenden Betrieb um. Große Übernahmen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sich Synergieeffekte entweder innerhalb von zwei Jahren nach dem Zusammenschluss einstellen oder gar nicht mehr.
Für Versicherungen heißt das konkret: zunächst die Vertriebseinheiten zusammenführen, um die Marktposition zu stärken. Hierzu sollten die Verantwortlichen eine klare Produktstrategie entwickeln.
Programmmanagement als erfolgversprechende Methode
Einige Methoden haben sich bei großen Fusionen bewährt. Bereits zu Beginn des Projektes sollten Rollen festgelegt werden, die allen Beteiligten bekannt sind. Im zweiten Schritt erfassen Projektverantwortliche systematisch die Anforderungen der internen und externen Stakeholder an das Projekt. Zuletzt priorisieren und kategorisieren sie die Ziele und entwickeln eine Zielarchitektur für die neuen IT-Systeme.
Geschäftskritische Prozesse bestimmen
Nicht nur Geschwindigkeit ist wichtig für den Erfolg von IT-Integration. Dabei müssen Verantwortliche auch Prioritäten setzen. Besonders wichtig ist die Bestimmung unternehmenskritischer Prozesse. Diese können auf einfache Weise ermittelt werden: Eine Anwendung ist geschäftskritisch, wenn ihr Ausfall nach kurzer Zeit dazu führen würde, dass das Unternehmen seine Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr am Markt anbieten kann.
Ein Beispiel für eine geschäftskritische Anwendung im Versicherungssektor ist das Bestandsführungssystem. Bei einem Zusammenschluss müssen die Manager, die mit der PMI beauftragt sind, entscheiden, mit welcher Software die gesamte Firma weiterarbeitet. Da die einzelnen Unternehmen darin Daten über die gesamte Kundenbasis speichern, ist diese Entscheidung sehr weitreichend.
Die bestehenden Bestandsführungssysteme sollten zunächst nur noch verwaltend genutzt werden, um diese dann sukzessive – je nach Geschäftsart – in andere Systeme zu überführen. Dies ist der zweite Schritt nach einer entsprechenden vertrieblichen Stärkung.
Die Ablösung der nicht mehr benötigten Bestandsführungssysteme kann je nach Geschäftsart unterschiedlich komplex sein. Versicherungsprodukte haben meist sehr viele Ausprägungen, da Alleinstellungsmerkmale dem Vertrieb helfen. Hier steckt der Teufel im Detail. Ein weiterer Faktor ist die Dokumentation: Wie arbeitsintensiv die Migration ist, hängt davon ab, wie gut die vorliegenden Unterlagen über die einzelnen Tarife sind.
Erfolge messen mit Program Benefits Management
Um die Ziele und erwünschten Synergieeffekte der Übernahme im Blick zu behalten, müssen Projektverantwortliche von Beginn an beobachten, welche Vorteile zum jeweiligen Stand der IT-Integration bereits realisiert werden konnten. Das Benefits Management umfasst dabei zwei wesentliche Phasen: die Planung, welche Ziele erreicht werden sollen und die Umsetzung dieser Pläne. Auch das Abwägen von Vorteilen gegenüber möglichen Risiken ist entscheidend.
Stakeholder kommunikativ an Bord holen
Nicht zuletzt ist es während einer Übernahme von großer Bedeutung, Integrationsschritte sichtbar zu machen. Intern gilt es, die Mitarbeiter mithilfe von Erfolgen von den Vorteilen der Übernahme zu überzeugen. Unternehmen bestehen aus Menschen. Wenn diese nicht gut zusammenarbeiten, wird es nicht klappen. Zukunfts- und Verlustängste sind die stärksten Bremser bei einem Merger und bedingen – nach einer klaren Umsetzungsstrategie – maßgeblich den Erfolg.
Extern müssen die Investoren an Bord geholt werden. Gerade gegenüber Geldgebern sollten Unternehmen zeitnah über Fortschritte sprechen, um ihnen zu zeigen, dass sich ihre Investitionen gelohnt haben.
Ran an die Daten: die Migration
Nach Abschluss der Planung gilt es, die PMI operativ umzusetzen. Dazu gehört die Konzeption und Durchführung der Datenmigration. Projektverantwortliche müssen einen Starttermin für die Migration bestimmen (zu Beginn oder während des Kalenderjahres) und entscheiden, welche historischen Daten übernommen werden.
Fazit: Digitalisierung oder Übernahme?
Im Zeitalter der Digitalisierung müssen sich Versicherungen noch ein ganz andere Frage stellen: Lohnt es sich, in eine Übernahme zu investieren oder sollte das Geld lieber in die Digitalisierung der Produkte und des Vertriebs fließen? Versicherungen können heutzutage über digitale Kanäle direkter Kontakt zum Kunden aufbauen. Damit übernehmen sie stärker die Vertriebsarbeit, die früher ausschließlich Makler leisteten. Zudem büßen Unternehmen, die eine Übernahme umsetzen müssen, oft an Effizienz ein. Gerade in der digitalen Welt ist Schnelligkeit jedoch entscheidend für den Erfolg.aj
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