Kommt die bargeldlose Gesellschaft?
Das Plädoyer für Bargeld vom Londoner FinTech Ebury
Jüngst beschloss die Europäische Zentralbank, den 500 Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen, da er der organisierten Kriminalität Vorschub leiste und im normalen Wirtschaftsverkehr kaum vorkomme. Rob Adrichem, DACH-Chef des Londoner FinTech Ebury hat die Geschichte des Geldes genauer betrachtet und sich für die Zukunft gefragt, wie eine bargeldlose Gesellschaft aussehen könnte.
von Rob Adrichem, DACH-Chef Ebury
Jüngst beschloss die Europäische Zentralbank (EZB), bis Ende 2018 den 500 Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen, da die große Stückelung der organisierten Kriminalität, Schwarzarbeit und Terrorfinanzierung (im spanischen Volksmund hieß der Schein übrigens “Bin Laden” – es war bekannt, dass er existierte, doch ward er nie gesehen ) Vorschub leiste. Gleichzeitig erklärten sowohl die EZB als auch die Bundesbank, weiterhin an Bargeld festhalten zu wollen.Was geschieht, wenn das Bargeld der Gesellschaft weiterhin entzogen würde?
Das Beispiel Schweden erlaubt eventuell einen Blick in die Zukunft. Selbst Kleinstbeträge werden elektronisch bezahlt und noch in der abgeschiedensten Bergregion Lapplands wird ein Kartenlesegerät zur Zahlung angeboten. Zwar führte die schwedische Reichsbank erst kürzlich eine neue Serie von Kronen in Münz- und Papierform ein, trotzdem machen verschiedene Faktoren das bargeldlose Zahlen für die Schweden so attraktiv, nämlich die Entfernung zum nächsten Geldautomaten in dem weitläufigen Land, der Glaube an den technologischen Fortschritt und an die eigene Regierung. Dazu kommt, dass die Abschaffung von Bargeld etwa Banküberfälle schlagartig reduziert. Transaktionen sind für Kreditinstitute jederzeit nachvollziehbar, wodurch plötzliches Hin- und Herschieben von großen Summen auf unbekannte Konten Misstrauen weckt. Ob die Datensicherheit gewährleistet werden kann, bleibt dahingestellt.
Die bargeldlose Gesellschaft
Im Grunde genommen ist die Gesellschaft bereits mehrheitlich bargeldlos organisiert. Nur noch ein Bruchteil des Geldes liegt in physischer Form vor; stattdessen wird es lediglich elektronisch als Buchgeld verwaltet. Laut Bundesbank war das Gesamtvolumen der Sichteinlagen im Euroraum im November 2014 mit 4.858 Milliarden Euro mehr als fünfmal so groß wie der Bargeldumlauf mit 957 Milliarden Euro. Ende März 2016 befanden sich Euro-Scheine im Gesamtwert von 1,07 Billionen Euro im Umlauf, was einer Verfünffachung der Menge seit Einführung des Euro 2002 bedeutete. In der Zwischenzeit waren sieben kleinere Volkswirtschaften der Euro-Zone beigetreten.
Die indische Regierung führt gerade flächendeckend einen Ausweis mit biometrischen Merkmalen ein, das System heißt Aadhaar (“Basis”). Zunächst geht es darum, dass Milliardenvolk noch in den entlegensten Regionen sämtlich zu registrieren und Berechtigten Zugang zu staatlichen Mitteln zu ermöglichen. Aadhaar lässt Startups und Finanzinstitute in dem Land mit schwacher Infrastruktur noch von ganz anderen Dienstleistungen träumen und erst jüngst kündigte die Zentralbank die Einführung eines einheitlichen Bezahlsystems auf Basis von Aadhaar an. Somit könnte Bargeld in Indien bald Geschichte sein.
Ist ein bargeldloser Finanzzyklus wirklich erstrebenswert? Die Tücken des E-Cash …
Eine bargeldlose Gesellschaft stößt manchmal erstaunlich schnell an ihre Grenzen.”
Autor Rob AdrichemRob Adrichem ist Country Manager Deutschland & Benelux (DACH-Region) des internationalen Währungsdienstleisters Ebury. Der erfahrene Bankier unterstützt klein- und mittelständische Unternehmen bei der Absicherung ihrer transnationalen Geschäfte bei Währungsschwankungen. Adrichem blickt auf mehr als 25 Jahre Erfahrung im Finanzwesen zurück und war bei unterschiedlichen Finanzinstituten – unter anderem bei der ABN AMRO Bank und RBS Global Banking & Markets.
Eine bargeldlose Gesellschaft stößt manchmal erstaunlich schnell an ihre Grenzen.”
Auf den ersten Blick mag elektronisches Geld der herkömmlichen Kriminalität das Wasser abgraben, allerdings ermöglichen Online-Banking und E-Commerce Cyber-Kriminellen, ihren Opfern in bisher unbekannter Größenordnung zu schaden. Jüngst wurde die Zentralbank von Bangladesh nur deswegen um lediglich 81 Millionen statt zwei Milliarden Dollar erleichtert, weil sich die Hacker, die Zugangsdaten für Zahlungsüberweisungen erbeutet hatten, einen Tippfehler leisteten. Umgerechnet in 500 Euro-Scheine wären das beim heutigen Dollar-Kurs übrigens 145.370 Stück und in Bargeld entspräche diese Summe vermutlich dem größten Bankraub aller Zeiten.
Grundsätzlich können sämtliche Transaktionen nachvollzogen werden, dies birgt aber einerseits die Gefahr einer vollständigen Überwachung und andererseits verschieben sich Geschäfte mithilfe von BitCoins und ähnlichen Krypto-Währungen, die von Kriminellen gerne zur Geldwäsche und Verschleierung verwendet werden.
Mit einer bargeldlosen Gesellschaft geht auch ein Grundvertrauen in ein fortwährend stabiles technologisches Netzwerk einher, das niemals zum Stillstand kommen dürfte. Im Falle eines vollständigen Stromausfalls käme der Handel zum Erliegen und alte Schmuckstücke würden zum Tausch gegen ein Brot hervorgekramt – willkommen im Mittelalter.
Seit 2012 sind in Großbritannien, den USA und Schweden bargeldlose Festivals im Trend. Man zahlt mit einem ins Eintrittsarmband integrierten Chip. Eben jener wurde 2014 beim Bråvalla-Festival den Besuchern zum Verhängnis: Das Bezahl-System brach zusammen und Tausende durstige Festival-Gänger saßen auf dem Trockenen. Letztlich kamen altmodische Schuldscheine (IOUs) zum Einsatz, um die Getränkesituation zu retten.
Auch Touristen aus Ländern, in denen wie in Deutschland Bargeld noch eine große Rolle spielt, könnten vor unerwarteten Problemen stehen: Bevor sie verreisen, tauschen sie ihr Geld zu einem guten Wechselkurs um, um an ihrem Reiseziel festzustellen, dass sie mit ihren Mengen an Bargeld nichts finanzieren können.
Mit der Einführung des SEPA-Zahlungssystems wurde zwar eine gesamteuropäische Infrastruktur geschaffen, die es genau wie in Schweden ermöglicht, eine bargeldlose Gesellschaft zu errichten.”
Allerdings: Diese könnte aber ganze Bevölkerungsschichten ausgrenzen. Denn eine reine immaterielle Zahlungsweise setzt den Zugang zu einem Konto, den Besitz einer Giro-Karte und möglicherweise eines Smartphones voraus – für viele selbstverständlich, doch bei weitem nicht flächendeckend vorhanden.
Der 500 Euro-Schein spielt im normalen Wirtschaftsverkehr keine bedeutende Rolle, seine Abschaffung wird keine negativen Effekte zeitigen.
Ganz auf Bargeld zu verzichten, scheint auf absehbare Zeit aber unmöglich zu sein.”aj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/33317
Schreiben Sie einen Kommentar