Neue Transparenz zur Überwachung komplexer Finanzprodukte – Blockchain-Experte Ben Naceur im Interview
Blockchain wird eine bedeutende Rolle bei der digitalen Transformation der Banken einnehmen. So viel ist sicher! Doch welche Services und Mehrleistungen sind mit Blockchain oder Smart Contracts möglich? Wo lohnt es sich zu experimentieren und wo macht der Einsatz von Blockchain keinen Sinn? Das Blockchain-Interview mit Med Ridha Ben Naceur, Principal Consultant bei der GFT. Einblicke in die Praxis der neuen Technologie.
Herr Ben Naceur, wenn man derzeit in die Bankenlandschaft horcht, experimentieren derzeit so ziemlich alle Banken – mit Ausnahme der klassischen Retailbanken – mit der Blockchain-Technologie. Ist das nur ein Hype oder steckt da mehr dahinter?
Es ist eine Mischung aus beidem. Natürlich handelt es sich um eine gewisse Art von Hype. Im Moment wird viel über Blockchain diskutiert, aber nur wenige wissen wirklich, was sich dahinter verbirgt und welche Bedeutung dem Thema in Bezug auf ihr Unternehmen oder die Branche zukommt. Was die Technologie und damit verbundene Anwendungsmöglichkeiten angeht, steckt meiner Ansicht nach aber definitiv mehr dahinter: …
Man kann von einer kleinen Revolution sprechen. Die Blockchain-Technologie bietet Banken ein immenses Potenzial und kann den Weg zu innovativen Dienstleistungen und neuen Geschäftsmodellen ebnen.”
Gibt es denn Bereiche, in denen ein Blockchain-Einsatz so gar keinen Sinn machen würde?
So pauschal kann man das nicht sagen. Sicher ist aber, dass es heute schon Anwendungsbereiche im Finanzsektor gibt, bei denen kurz- bis mittelfristig die Blockchain-Technologie eingesetzt werden kann. Durch den Einsatz von Smart Contracts können Banken zum Beispiel manuelle Prozesse in der Abwicklung von Wertpapiergeschäften wie Bonds, Aktien oder Unternehmensanleihen automatisieren und entsprechend effizienter gestalten.
Im Bereich des SEPA-Zahlungsverkehrs wiederum – der heute sowieso schon hochautomatisiert abgewickelt werden kann – macht der Einsatz von Blockchain momentan weniger Sinn. Da die Technologie für solch einen Massenzahlungsverkehr noch nicht den nötigen Reifegrad erreicht hat, kann hier kurzfristig keine Effizienzsteigerung erzielt werden. Das heißt aber nicht, dass sich dies in Zukunft nicht noch ändern kann. In den verschiedenen Bereichen zu experimentieren, lohnt sich in jedem Fall.
Verlieren die Banken mit dieser Technologie nicht ihren Intermediär-Status?
In bestimmten Bereichen sicherlich.
Man kann dieses Phänomen allerdings nicht ausschließlich auf die Blockchain-Technologie zurückführen, sondern darauf, wie Banken insgesamt auf den digitalen Wandel und auf disruptive Geschäftsmodelle von neuen Akteuren auf dem Markt reagieren.”
Die Finanzhäuser müssen eine Entscheidung treffen: Möchte ich in Zukunft nur das klassische Banking anbieten und das Geld meiner Kunden verwalten oder sehe ich mich vielmehr als Dienstleister, der über das klassische Bankgeschäft hinaus erweiterte Services anbietet.
Übrigens: Bereits wenn wir auf das Thema PSD2 blicken – und das hat absolut nichts mit Blockchain zu tun – verlieren Banken in gewisser Weise ihren „Intermediär-Status“ in Bezug auf Zahlungs- und Kontoinformationen, da sie ab 2018 Drittanbietern einen Zugang zu den Bankkonten ihrer Kunden gewähren müssen. Es sei denn, sie bieten auf der Basis von PSD2 selbst attraktive und preisgünstige Serviceleistungen an, die ihren Kunden einen echten Mehrwert bieten. Insofern hat das wenig mit Blockchain an sich zu tun. Der Finanzsektor befindet sich vielmehr in einem umfassenden Wandel.
Wie können sich denn Banken davor schützen, in Zukunft nicht mehr gebraucht zu werden?
Da gibt es nur eine Antwort: Sie müssen selbst innovative und disruptive Geschäftsmodelle entwickeln oder Kooperationen mit Unternehmen eingehen, die dies für sie übernehmen können.”
Das ist aber – wie so oft – leichter gesagt als getan. Banken stehen in vielerlei Hinsicht vor großen Herausforderungen: Sie müssen sich ständig mit neuen Regularien befassen, sich um die Modernisierung ihrer teilweise in die Jahre gekommenen IT-Landschaft kümmern und gleichzeitig versuchen, den steigenden Ansprüchen ihrer Stakeholder gerecht zu werden. Last but not least, gilt es auch, den ambitionierten Newcomern auf dem Markt Paroli zu bieten.
Doch gerade die in den Finanzmarkt stürmenden Start-ups, die FinTechs, haben das, wovon die etablierten Finanzinstitute momentan nur träumen können: Sie sind innovativ und agil. Sie haben schlanke Strukturen und moderne, technologisch hochentwickelte Systeme, die dem Digitalisierungsansatz in vollem Umfang Rechnung tragen.
War es das also für die großen Banken? Nein.”
Denn sie wiederum besitzen einen entscheidenden Vorteil: Den Zugang und das Vertrauen ihrer Kunden. Warum also nicht gezielte Kooperationen eingehen, von der alle Seiten profitieren? Der gemeinsame Weg muss das Ziel sein.
So hat auch GFT im September eine neue Innovationspartnerschaft mit Fidor geschlossen. Der Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt auf der agilen Entwicklung mobiler Finanz- und Banking-Lösungen. In einem ersten gemeinsamen Projekt, der O2 Banking App, haben wir bereits sehr positive Erfahrungen miteinander gemacht. Logische Konsequenz also, diese Partnerschaft weiter zu vertiefen.
Welche Services und Mehrleistungen wären denn mit Blockchain oder Smart Contracts möglich?
Genau dieser Fragestellung gehen wir bei GFT momentan auch nach. Um auszuprobieren, was alles möglich ist, haben wir bereits im vergangenen Jahr einen Blockchain-Inkubator gegründet und testen verschiedene Szenarios. Im September haben wir uns außerdem dem Google Cloud Plattform Partnerprogramm angeschlossen. Mit Hilfe der Plattform sind wir in der Lage, unseren Kunden detaillierte und spezifische Einblicke, wie ihre Blockchain-Lösungen in der realen Welt funktionieren, zu geben. Eine auf Grundlage von Ethereum entwickelte Anwendung der Royal Bank of Schottland haben wir auf diese Weise bereits erfolgreich getestet.
Durch das rasante Prototyping in unserem Blockchain-Inkubator ist es uns möglich, nicht-erfolgversprechende Ansätze schnell zu verwerfen und nur in effektive und existenzfähige Entwürfe zu investieren.
So sind wir beispielsweise überzeugt davon, dass sich durch den Einsatz von Smart Contracts im Asset-Tracking, das heißt konkret beim Verfolgen des Eigentumswechsels und des Standorts der gehandelten Wirtschaftsgüter (Assets), vielversprechende „Quick Wins“ erzielen lassen.”
Auch beim Handel von Credit Default Swaps mit Smart Contracts in der Blockchain sehen wir großes Potenzial. Während der Smart Contract die Informationen und Berechnungslogik enthält, um Events zu verarbeiten und Aktivitäten durchzuführen, werden alle relevanten Informationen zu diesen Aktionen – wie beispielsweise individuelle Handelsdetails, Risikobewertung der Handelspartner und die systematische Aussetzung für jede Referenzeinheit – in der Blockchain aufgezeichnet. Hierdurch kann ein neuer Grad an Transparenz zur Überwachung komplexer Finanzprodukte für Kunden, Banken und Behörden erreicht werden.
Durch das Experimentieren mit ersten Prototypen konnten wir bereits viele Erkenntnisse dazugewinnen – diese Entwicklungsarbeit führen wir auch in 2017 weiter fort.
Nun gibt es ja einige Anbieter, die teils die klassische Blockchain-Technologie anbieten, aber auch einige die besonderen Varianten (R3, Microsoft, IBM, …) im Angebot haben. Sollen Banken alle Varianten ausprobieren, um die für sich geeignete herauszufinden? Oder welche Vorgehensweise würden Sie empfehlen?
Ich persönlich würde mir zunächst alle Optionen offenhalten und ein Expertenteam mit der Priorisierung beauftragen. Kurzfristig macht es meiner Meinung nach aber durchaus Sinn, mit den Varianten zu starten, um die sich bereits eine größere Community gebildet hat. Ethereum zum Beispiel hat schon einige messbare Ergebnisse hervorgebracht.
Von R3 hat man bislang eher weniger wahrgenommen. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit sich der Ansatz der R3-Gruppe und der damit verbundenen technologischen Umsetzung eines Blockchain-Standards in der Zukunft durchsetzen wird.”
Einige Banken (JP, Morgan Stanley und Banco Santander) haben dem Konsortium ja in der letzten Zeit schon wieder den Rücken zugekehrt.
Wie viele Jahre wird es dauern, bis die ersten Produkte dann tatsächlich in den produktiven Einsatz kommen?
Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten.
Bei der GFT haben wir momentan einen Entwicklungsplan, der sich auf die nächsten fünf bis zehn Jahre konzentriert.”
Wir gehen davon aus, dass die Kunden bis dahin nicht mehr von der Blockchain an sich reden, sondern über die Lösungen und Produkte in der Blockchain selbst. Das schließt aber nicht aus, dass auch kurzfristig schon bestimmte Produkte auf den Markt kommen können. Smart Contracts bieten für Banken gerade in der Wertpapierabwicklung und bei allen Prozessen der Dokumentation eine große Chance, kurzfristig die Effizienz zu steigern.
Herr Ben Naceur, vielen herzlichen Dank für die äußerst spannenden Einblicke!aj
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– STRATEGIE: Digitale Transformation – Blockchain & Smart Contracts – steht uns eine Revolution bevor?
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