Digitaler Euro: „Die Notenbanken haben Angst, die Kontrolle zu verlieren“ – Professor Peter Bofinger
Die digitale Transformation des Geldwesens beschäftigt Notenbanken, Industrie und Politik gleichermaßen. Allerdings stochert man beim Begriff des digitalen Euros noch im Nebel und viele wissen nicht, wohin die Reise eigentlich hinführen soll. Werden wir in Zukunft nur noch mit Apple Pay, Google Pay, PayPal oder sogar mit Facebooks neuer Währung Libra bezahlen? Wird das Bargeld durch digitale Währungen auf Dauer ganz verschwinden?
Fest steht: Digitale Zahlungsmittel via Smartphones haben sich in China fest etabliert und Geldscheine sowie Münzen nahezu verdrängt. Notenbanken haben infolgedessen Angst vor dem Verlust über die monetäre Sphäre. Einige Experten fordern daher, dass Europa in den Wettbewerb um programmierbare Geldformen eintreten sollte.
François Baumgartner im Gespräch mit Professor Peter Bofinger zum digitalen Euro und den Perspektiven, die ein europäisch geprägtes Zahlungssystem bieten würde.
Herr Professor Bofinger, was kann man sich unter dem digitalen Euro genau vorstellen und wie funktioniert diese Währung?
Für mich besteht der Sinn von Central Bank Digital Currencies (CBDCs) und des digitalen Euro darin, dass man jedem Privathaushalt oder Unternehmen die Möglichkeit gibt, ein Bankkonto direkt bei der Notenbank haben zu können. Parallel dazu wird auch die Option diskutiert, bargeldähnliche und digitale Formen von Zentralbankgeld zu schaffen. Hier werden etwa Geldkarten oder Smartphones mit Guthaben der Notenbank aufgeladen. Damit kann man dann, wie mit Bargeld auch, direkt in E-Euros bezahlen.Wir unterscheiden also zwischen Account-based-CBDCs und Token-based-CBDCs.”
Halten Sie diese Ansätze für realistisch?
Unter wettbewerbs- und ordnungspolitischen Aspekten gibt es eigentlich keine stichhaltigen Argumente, die ein Engagement der Notenbanken im normalen Bankgeschäft rechtfertigen. Jeder Bürger, der hierzulande ein Konto braucht, bekommt es auch bei einer normalen Bank. Überdies besteht für Bankkunden aktuell kein Anreiz, neben der eigenen Hausbank ein weiteres Gehalts- oder Geschäftskonto für Zahlungen bei der Notenbank zu eröffnen. Kontoführung bei mehreren Banken ist doch mühsam. Fernab dessen fehlt den Zentralbanken im Vergleich zu innovativen Zahlungsdienstleistern und normalen Finanzinstituten vor allem eines: die Kompetenz.
Die Notenbanken denken bislang nicht aus der Sicht der Nutzer solcher Zentralbankkonten.”
Gibt es tatsächlich keinerlei Anreize für solche Konten?
Aktuell gilt die Einlagensicherung für Bankkunden bis zu 100.000 Euro. Wenn ich als Kunde höhere Sichteinlagen habe, muss ich damit rechnen, dass bei einer Bankenpleite meine Ersparnisse zum Teil weg sind. Diese Kundensegmente wären an einem Konto bei der Notenbank interessiert, weil jenes weniger ein Zahlungs- als vielmehr ein Wertspeicherkonto für große Guthaben wäre. Alles ohne Ausfallrisiken. Das möchten aber die Notenbanken nicht, weil diese die Sorge haben, dass riesige Geldbeträge von Geschäftsbanken in die Bilanzen der Zentralbanken fließen. Die Folge wäre schließlich, dass diesen Instituten dadurch massiv Liquidität genommen wird, welche die Notenbanken sodann wieder bereitstellen müssten.
Professor Dr. Peter Bofinger forscht am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg unter anderem zu Digitalisierung des Geldwesens, Kryptowährungen und neuen Ansätzen der Geldtheorie (Website). Der Ökonom war von 2004 bis 2019 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und beriet die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen. 2016 erhielt er den Kurt-Rothschild-Preis für Wirtschaftspublizistik des Karl-Renner-Instituts. Er zählt zu den einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum.
Und wie sieht es bei aufladbaren Geldkarten aus?
Für Geldkarten gibt es sehr strenge Geldwäschegesetze. Es ist also nicht möglich, anonym etwa 1.000.000 Euro auf eine Geldkarte zu laden und anstatt einer schweren Tasche mit Geld auch noch durch ganz Europa mitzunehmen und damit Transaktionen durchzuführen (lacht). Und das zurecht. Was die Notenbanken hingegen eher diskutieren müssten, wäre der Aufbau von Zahlungsplattformen.
Facebook, Alipay und WeChat haben bei digitalen Währungen die Nase vorn und Europa schaut bislang durch die Röhre. Warum ist es gefährlich, in diesem Fall ein Nachzügler zu sein?
Die Notenbanken haben Angst, die Kontrolle über die monetäre Sphäre zu verlieren.”
Die sagen sich: Am Schluss braucht uns keiner mehr, weil schon bald vielleicht keiner mehr mit unserem Bargeld Waren und Dienstleistungen bezahlen möchte. Die Antwort auf Bezahlsysteme wie PayPal und digitale Währungen wie Libra sollte deshalb die Etablierung eines europäisch geprägten und globalen Payment-Systems sein.
In China haben digitale Zahlungsmittel via Smartphones mittlerweile Geldscheine und Münzen nahezu verdrängt. Diese Zahlungen verwenden die chinesische Währung Renminbi als Recheneinheit. Marc Zuckerberg setzt mit Libra auf einen Stable Coin. Andere Währungen wie etwa Bitcoin schwanken sehr stark.
Aus meiner Sicht ist die Aussage, dass Libra ein Stable Coin ist, für mich reine Augenwischerei. Auch der Bitcoin ist für den Zahlungsverkehr völlig ungeeignet und ein hoch spekulatives Anlagevehikel. Deshalb brauchen wir bei Payment-Systemen einfach mehr Wettbewerb.
Wir haben in Europa ein Defizit an digitalen Plattformen.”
Die Blockchain ist eine verschlüsselte Datenbank, in der alle Informationen zu einer Transaktion zwischen mehreren Parteien auf deren Computer dezentral gespeichert werden. Macht die Blockchain zur Einführung digitaler Währungen Sinn?
Ich finde der Distributed-Ledger-Ansatz für Zahlungsmittel nicht nachvollziehbar.
Es ist doch völlig irrelevant, wer den Geldschein schon alles in der Hand hatte.”
Bei Immobilien oder Nahrungsmitteln kann die Blockchain ihren Zweck dagegen schon eher erfüllen.
Was ist ein digital programmierbarer Euro?
Ich weiß gar nicht, was ein programmierbarer Euro sein soll.
Ich weiß es auch nicht. Deswegen frage ich Sie.
Was man machen kann ist, dass man Zahlungssysteme schafft, die unter bestimmten Bedingungen Transaktionen durchführen und mit denen man Geldbeträge hin und her schieben kann.
Was da aber ausgetauscht wird, ist kein programmierbarer, sondern ein ganz normaler Euro.”
Kurzum: Der Euro kann eine Banknote, eine Münze oder ein Guthaben bei einer Geschäftsbank sein.
Hierzulande forcieren vor allem relevante Vertreter der deutschen Industrie den sogenannten programmierbaren Euro. Weshalb und was sind Smart Contracts?
Die Bargeldwirtschaft ist schon seit Jahrzehnten elektronisch und digital. Das ist nichts Neues. Das Bargeld wird bleiben, aber dennoch im Zahlungsverkehr zunehmend durch moderne Payment-Lösungen wie etwa Apple Pay oder Google Pay ersetzt werden. Ich könnte mir ferner vorstellen, dass die Industrie mit „Smart Contracts“ effiziente Abrechnungssysteme sucht. Es geht möglicherweise ebenso um bestimmte Transaktionen, die vielleicht auch sehr kleine Beträge erfordern.
Das ist aber eher eine Frage des Abrechnungs- und Zahlungssystems als eine Frage des Euros, der zum Schluss sowieso abgerechnet wird.”
Es geht also hier nicht um Zahlungsobjekte.
Mit welchen Währungsregimen ist im Jahr 2030 zu rechnen?
Es ist damit zu rechnen, dass globale Zahlungsplattformen noch erheblich an Bedeutung gewinnen und dass sie dabei insbesondere in das traditionelle Kreditgeschäft eindringen werden. Es kann so zu einer „Uberisierung“ des Bankgeschäfts kommen. Bargeld wird nur noch für Zahlungen in der Schattenwirtschaft verwendet werden.
Die Notenbanken müssen umdenken. Es geht nicht darum, digitale Substitute für Bargeld zu schaffen. Es geht darum, dass sie die Kontrolle über die digitalen Zahlungssysteme nicht verlieren.”
Herr Professor Bofinger, vielen Dank für dieses Gespräch. François Baumgartner
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/109437
Schreiben Sie einen Kommentar