Plattform-Ökonomie: Alte Banken werden chancenlos; Bank-IT kapituliert vor den IT‑Supertankern
Wenn man die Finanzwelt mit dem Hamburger Hafen vergleicht, kommt man zu dem Schluss, dass Kreditinstitute ihre Rolle verkennen: Einige etablierte Banken sehen sich immer noch als Hafenbetreiber – werden in Wirklichkeit aber nur noch Umschlagterminals mit veralteten Kränen sein, die nicht dem Kundenbedarf entsprechen. Die Kunden-Entscheidungen werden künftig von Plattformen bestimmt – oder zumindest festgelegt. Eine Bestandsaufnahme.
von Florian Bongartz
Vor hundert Jahren haben Hafenbetreiber ankommenden Schiffen ihre Liegeplätze zugewiesen und in eigenem Takt die Waren gelöscht. Reeder mit größeren Schiffen und mehr Containern haben das Kräfteverhältnis inzwischen aber umgekehrt.Wer moderne Supertanker nicht mehr abfertigen kann, fällt als Zielhafen aus. Anfangs hat es noch ausgereicht, in die Hafenlogistik zu investieren und ankommende Container weitgehend automatisch auf dem Gelände hin und her zu fahren. Bezogen auf Banken ist diese Infrastruktur für die digitale Plattform-Ökonomie allerdings kaum gerüstet.”
Datenlawine erschlägt heutige Banken-IT
Im Bankhafen sind die ankommenden Container vor allem mit Finanztransaktionen beladen, die möglichst zügig und mit wenig Aufwand ausgeführt werden sollen. Das Problem: mit der „digitalen Elbvertiefung“ durch G5-Mobilnetze und immer mehr Geräten, die vernetzt online gehen, steigt nicht nur die zu verarbeitende Datenmenge immer weiter an. Die Blockchain-Technologie sorgt zudem dafür, dass sich die Banken auf eine vollkommen neue Art sowohl der Datenverarbeitung als auch der Datenbereitstellung einstellen müssen.
In der Blockchain (mehr zur Funktion) schreibt sich jeder neue Zustand etwa hinsichtlich Kontoständen oder Eigentumstiteln in eine transparente Datenkette ein. Dies geschieht dadurch, dass die Böcke zusammen einen Hash-Wert ergeben, der ebenfalls transparent in der Datenbank abgelegt wird. Damit ist die Gültigkeit jederzeit überprüfbar. Dieses dezentral organisierte Grundbuch macht nachträgliche Änderungen deshalb heute so gut wie unmöglich. Allerdings setzt das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Systems voraus, dass Banken quasi in Echtzeit am Datenaustausch teilnehmen – das überfordert viele Kernbankensysteme und nächtliche Batchläufe.
Fest im Sattel? Institute reiten totes Pferd
Viele Häuser reagieren darauf, indem sie eine im Filialzeitalter noch undenkbare Entscheidung treffen, um bis dahin unerreichbare Skaleneffekte zu realisieren. Sie spezialisieren sich entweder darauf, weiterhin den Kundenkontakt zu bedienen und greifen dabei auf Partner zurück, die im Hintergrund für die bankfachliche Infrastruktur sorgen. Oder sie positionieren sich selbst in dieser zweiten Rolle und öffnen die eigenen Kernprozesse für Partner, die sich um das Frontend zum Kunden kümmern. Überspitzt ausgedrückt, retten sich die Geldsaurier dadurch, dass Dritte auf ein technologisch veraltetes Fahrwerk ein modernes Chassis setzen, das die Kunden begeistert und auch noch einfach zu bedienen ist.
Diese Arbeitsteilung dürfte jedoch schon überholt sein, noch bevor sie sich überhaupt flächendeckend zu entfalten vermag. Der Grund liegt in der künftig erwarteten Geschwindigkeit von Finanztransfers.
Einfaches Beispiel: ein Gebrauchtwagenkauf. Zwei Personen stehen sich auf einem Parkplatz gegenüber und kennen sich nicht. Person A bestätigt per Blockchain auf dem Smartphone, dass das Auto tatsächlich seins ist, und Person B zahlt per Fingerabdruck. Die Blockchain authentifiziert die Transaktion, A übergibt B den (künftig vermutlich ebenfalls komplett digitalen) Schlüssel – und das Geschäft ist abgeschlossen.
Das ist die alte Hafenlogik: man räumt alle Container erstmal zur Seite, Hauptsache die Schiffe sind leer und können weiterfahren. Nochmals schwieriger stellt sich die Lage mit Blockchain-Beibooten da, die quasi in Echtzeit mit dem Kernbankensystem synchronisiert werden müssen. Anderenfalls buchen Banken möglicherweise Werte, die schon längst wieder den Besitzer gewechselt haben.Kein Thema, sagt der Bankvorstand alter Schule: Wir bauen um das Kernbankensystem einfach ein zweites, das die Daten temporär verwaltet und wie gewohnt über Nacht in die zentrale Datenbank schreibt. Banken, die so planen, schaffen sich damit den Vorhof zur Hölle.”
Plötzlich vom Kunden abgeschnitten
Anders ausgedrückt: ohne einen beherzten Eingriff in die Zentral-IT bremsen Banken den digitalen Werteverkehr aus und werden vermutlich von den beteiligten Akteuren ausgeschlossen. Genau das wird passieren, wenn sich die Plattform-Ökonomie auch im Finanzmarkt endgültig durchgesetzt hat. Die digitale Konkurrenz bereitet sich bereits auf den Angriff vor: Amazon beispielsweise baut derzeit massiv Versicherungs-Know-how auf. Das Unternehmen hat die Kapazität, jede Branche radikal zu verändern – und den erklärten Willen dazu. Die Folge: Digitale Disruptoren setzen einen Keil zwischen alteingesessene Anbieter und ihre Kunden. Anschließend treiben sie diesen Keil tief ins Fleisch der Kundenbeziehung und übernehmen den Zugang zum Kunden schließlich ganz.
Viele Händler, die in Jeff Bezos’ Konzern (oder seinem Pendant Alibaba in China) zunächst eine Chance erkannt haben, sind nun vollkommen abhängig.”
Das geht so: wer über die Online-Plattform eigene Waren verkaufen möchte, muss gewisse Standards etwa bezüglich Lieferzeiten und Kulanz bei Reklamationen erfüllen. Zu diesem Zweck bietet das Unternehmen sogar eine eigene Dienstleistung an: „Fulfillment by Amazon“. So bleibt gewährleistet, dass der Endkunde gewohnte Standards genießt, obwohl ein völlig anderer Anbieter oder Hersteller hinter dem gekauften Produkt steht. Ähnlich verfahren Lieferdienste, die von Restaurants Provisionen nehmen, dafür deren Essen ausliefern und dem – nicht mehr selbst ins Restaurant gehenden – Kunden seine Lieblingsleckerei in einer bestimmten Lieferzeit garantieren.
Plattform entscheidet für die Kunden
Was das mit Banken zu tun hat? „Alexa, schließe für mein neues Auto eine KFZ-Versicherung ab, bezahle die Prämie von meinem Bankkonto xy und bestätige die Deckung.“ …
Tut mir Leid, das ist bei Deinem Institut nicht möglich.“
„Alexa, eröffne ein Girokonto bei einer Bank, die diesen Service anbietet, und kündige die alte Bankverbindung.“ – „Einen Moment bitte… Du bist jetzt Kunde bei der xy-Bank, Deine IBAN lautet… ich habe Deine Zahlungsverkehrspartner über den Kontowechsel informiert.“
Und das ist nur der erste Schritt. Kunden mögen keine Enttäuschungen. Wenn etwas nicht funktioniert, sind sie nicht sauer auf den Anbieter, der bei einem Leistungsversprechen patzt, sondern auf den Plattform-Betreiber, der solche Anbieter vorab nicht aussortiert hat. Mit der Zeit steigen die Ansprüche. Ähnlich wie in den App-Shops etablierter Technologiegiganten werden immer strengere Kriterien entstehen, die Anbieter erfüllen müssen, wenn sie weiterhin über diese Kanäle ihre Kunden erreichen wollen. Zudem unterliegen sie einem ständigen Audit: wer nachlässt, wird ausgelistet und damit für den Kunden unsichtbar – der Hafen wird nicht mehr angesteuert.
Banken müssen begreifen, dass immaterielle Dienstleistungen genau wie physische Produkte in der digitalen Welt kein Wert an sich mehr sind. Karl-Heinz Land hat diesen Effekt Dematerialisierung genannt. Ein gemeinsam mit Ralf T. Kreutzer veröffentlichtes Buch spricht bereits im Titel von der „Neuverteilung der Welt in Zeiten des digitalen Darwinismus“.
In der Vergangenheit haben Banken IT-Systeme häufig für einen ganz bestimmten Zweck entwickelt. An solchen Systemen festzuhalten, führt deshalb unweigerlich zur ursprünglichen Zweckbestimmung zurück. Das gilt in besonderem Maße für Kernbankensysteme. Institute, die vor dieser Erkenntnis die Arme verschränken, werden in der digitalen Ökonomie untergehen.Florian Bongartz
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