PoC: Recht verständlich mit NLP & KI
Die Durchsicht regulatorischer Vorschriften und die Ableitung notwendiger Maßnahmen daraus binden bei den Finanzinstituten zunehmend mehr Ressourcen. Aber die Analyse von Rechtstexten lässt sich nicht automatisieren – oder? Ein PoC (Proof of Concept) beweist, dass Natural Language Processing (NLP) als Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz inzwischen eine Möglichkeit ist, Zeit und Kosten zu sparen und in der Rechts-Abteilung (Compliance) die digitale Transformation voranzutreiben.
von Astrid Freier, Head of Fintech Banking PPI
und Alexander Hummel, Consultant PPI
Nach dem Global Regulatory Outlook 2021 von Kroll erwartete ein knappes Drittel deutscher Finanzinstitute im vergangenen Jahr Ausgaben z.B. für Compliance-Maßnahmen von mehr als fünf Prozent der eigenen Einnahmen.”
Ablösung händischer Prozesse möglich
Bei den meisten anderen Arbeitsfeldern von Kreditinstituten hat die digitale Transformation längst für effizientere Prozesse, Kostensenkungen und – zumindest teilweise – Automatisierungen von Arbeitsschritten geführt. Die Analyse von Rechtstexten und die Ableitung notwendiger Maßnahmen finden dagegen in aller Regel händisch statt. Schließlich können Computer keine komplexen Texte verstehen. Oder etwa doch? In jüngerer Vergangenheit haben Technologien wie Natural Language Processing (NLP) als Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz (KI) erhebliche Fortschritte gemacht und sind zu überschaubaren Kosten in praktischen Anwendungen nutzbar. Das Beratungs- und Softwarehaus PPI AG und der Compliance-as-a-Service-Spezialist Harpocrates Solutions haben die Probe aufs Exempel gemacht und eine entsprechende NLP-Anwendung einem Proof of Concept (PoC) unterzogen.
PoC mit EBA-Richtlinien
Untersucht wurden zwei Richtlinien der European Banking Authority (EBA), konkret die Outsourcing-Richtlinie EBA/GL/2019/02 und die IT-Sicherheitsrichtlinie EBA/GL/2019/04. Für beide Vorschriften standen die Ergebnisse einer herkömmlichen, also händischen Auswertung bereits zur Verfügung. Damit war zum einen eine Kontrolle der erzielten Ergebnisse einer KI-Anwendung mit NLP-Funktionalität möglich. Zum anderen dienten die vorliegenden Erkenntnisse zu einer weitergehenden Verfeinerung des Algorithmus. Grundsätzlich sollten folgende Fragen geklärt werden:
- Wie hoch ist die Genauigkeit eines NLP-Algorithmus bei der Textverarbeitung und -extraktion?
- Welche Zeitersparnis ergibt sich gegenüber einer manuellen Bearbeitung der Vorschriften?
- Welche Produktivitätsgewinne entstehen dadurch?
- Welche Einsparungen ergeben sich im Hinblick auf Kosten und Gesamtverarbeitungszeit?
Genauigkeit über neunzig Prozent
WhitepaperDie Grundlagen von NLP sowie die Ergebnisse des PoC sind im gemeinsamen Whitepaper „Prozessverbesserung in der Regulatorik durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz“ von PPI AG (Webseite) und Harpocrates Solutions nachzulesen. Dieses kann hier zum Download angefordert werden: Downloadlink
Die KI sollte potenzielle Handlungsfelder für Kreditinstitute aus den Vorschriften extrahieren und kategorisieren. Bereits das ursprünglich verwendete NLP-Modell erreichte hohe Genauigkeitswerte, 73 Prozent bei der Outsourcing-Richtlinie und 64,1 Prozent bei der Sicherheitsrichtlinie. Für eine zweite Iteration wurde die Ontologie des Modells mithilfe der Erkenntnisse aus den vorliegenden händischen Analysen verfeinert. Zudem wurden die Dokumente noch einmal sorgfältig für die Nutzung in der Anwendung aufbereitet. Die Qualitätssprünge waren enorm: Die Genauigkeit der Ergebnisse stieg auf 93,1 Prozent bei der Outsourcing-Vorschrift und auf 95,4 Prozent bei der Sicherheitsrichtlinie. Eine alleinige Betrachtung der Kategorisierung ergab sogar eine Quote von über 99 Prozent. Das ist besser als in der manuellen Bearbeitung.
Wissen maschinenlesbar darstellen
Das Erfolgsgeheimnis liegt in der Erstellung einer geeigneten Ontologie für die in Rede stehenden regulatorischen Anforderungen und dem Wissen um deren Anwendung zu finden.”
Das Erfolgsgeheimnis liegt in der Erstellung einer geeigneten Ontologie für die in Rede stehenden regulatorischen Anforderungen und dem Wissen um deren Anwendung zu finden.”
Diese ermöglicht es, domänenspezifisches Wissen in einem maschinenlesbaren Format darzustellen. Die Vorteile zeigen sich vorwiegend dann, wenn die Untersuchungsgegenstände sehr unstrukturiert sind, wie zum Beispiel bei juristischen Textdatenquellen. In solchen Fällen lohnt der Aufbau einer eigenen Ontologie, die auf hochspezifischem Wissen zur Finanzregulierung einerseits und öffentlichen Wissensontologien andererseits gespeist wird.
Verbesserte Compliance bei weniger Aufwand
Die Bearbeitungszeiten für die Analyse regulatorischer Vorschriften lassen sich durch die Analyse mittels NLP um etwa 80 Prozent reduzieren. Gleichzeitig ist eine höhere Konformität mit geltenden Verordnungen zu erwarten, gepaart mit einer verbesserten Datenqualität. Die Produktivitätsgewinne dürften insgesamt ähnlich hoch ausfallen. Auf der Grundlage des erfolgreichen PoC sind für Finanzinstitute mehrere Anwendungsszenarien für NLP-Anwendungen denkbar:
- Vorabbewertung neuer Verordnungen und Verordnungsänderungen.
- Pre-Screening relevanter Dokumente angesichts kommender oder geänderter Vorschriften.
- Vollständigkeitsprüfung aller notwendigen Änderungen im Hinblick auf Konformität mit neuen oder geänderten Regularien.
Konzentration auf das Wesentliche
Vor allem die Funktionseinheit Compliance in den Stabsstellen von Finanzdienstleistern würde von dieser Technologie profitieren. Denn so wären auch die heute riesigen Datenmengen, die durch die Explosion regulatorischer Vorschriften entstehen, in einer vernünftigen Zeit analysierbar.
Aktuell garantiert selbst eine gründliche händische Prüfung keine Vollständigkeit und lädt die Regulierungsbehörden geradezu zu Kontrollen ein. Moderne Technologien würden bei den Messgrößen Geschwindigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit in jedem Fall Verbesserungen bringen.”
Die betroffenen Mitarbeiter können sich in der Folge auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich die strategische Ausrichtung und Qualität der Dokumentation. Eine Automatisierung des gesamten Analyseprozesses erscheint in absehbarer Zeit realistisch.Astrid Freier & Alexander Hummel, PPI
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