Postbank spürt Nachwehen der IT-Migration
Die Systeme laufen wieder alle normal – aber Normalbetrieb herrscht sicherlich noch nicht bei der Deutsche-Bank-Tochter Postbank. Viele Kundenanfragen müssen noch abgearbeitet werden. Aber nicht alle Probleme haben tatsächlich mit der Unity genannten Kundenmigration zu tun.
Ein langes Update-Wochenende hatte die Postbank zum 1. April angekündigt. Unser Status-Bericht danach hat zu einer Rekordzahl an Leser-Reaktionen geführt, sowohl direkt unter dem Betrag als auch hier. Wir haben die wichtigsten Fragen und Vorwürfe aufgegriffen und direkt bei der Pressestelle der Postbank um Aufklärung gebeten. Hier die wichtigsten Ergebnisse:1. Die Bank meldete Montagvormittag „keine Störungen“, die Kunden konnten sich aber oft nicht einwählen, oder nach dem Log-in keine Aufträge ausführen. Was ist da passiert?
Die Übertragung von 6,5 Millionen Produktverträgen von rund 5 Millionen Postbank Kundinnen und Kunden wurden aus Sicht der Bank reibungslos auf die gemeinsame IT-Plattform von Deutscher Bank und Postbank übertragen. Am darauffolgenden Montag konnten wie geplant bundesweit alle Filialen geöffnet sowie Geldautomaten und Service-Terminals in Betrieb genommen werden.
Zusätzlich wurden circa 2,7 Millionen Kunden in das neue Google-Cloud basierte Online- und Mobile-Banking übertragen. Aufgrund des guten Programmfortschrittes seien beide Systeme früher als ursprünglich geplant für die Kundinnen und Kunden aktiviert worden. Dass die Systeme im Verlauf des Montagnachmittags zeitweise nicht mehr zur Verfügung standen, sei die Folge von sehr hohen zeitgleicher Nutzerzahlen bei der Banking-App gewesen. Dies sei nach mehreren Stunden behoben worden. Inzwischen laufen alle Systeme stabil.
Das meint IT-Finanzmagazin: Bei uns haben sich auch Leser gemeldet, die schon recht früh problemlos Zugang zu ihren Konten und den benötigten Funktionen hatte. Die von anderen geschilderten Probleme deuten tatsächlich darauf hin, dass die Systeme schlicht überrannt wurden – kein Wunder nach mehreren Tagen Stillstand.
2. Waren die Probleme nicht absehbar, wenn eine solche Umstellung genau auf einen Monats- und Quartalswechsel gelegt wird?
Für die Bank ist eine solche Terminierung aus buchhalterischen Gründen alternativlos: Eine Migrationswelle kann jeweils nur zu Ende eines Quartals durchgeführt werden, also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kundenkonten einen Quartalsabschluss vorsehen.
Das meint IT-Finanzmagazin: Für uns ein nachvollziehbares Argument. Ein Quartalsabschluss ist der Moment, in dem ein definierter Status gegeben ist, an dem man einen Stopp einlegen, das Konto übertragen und dann wieder alle Abläufe neu starten kann. Dass man damit in die Zeit eines hohen Buchungsaufkommens gerät, ist dementsprechend nicht zu vermeiden, muss aber in der Ressourcenplanung berücksichtigt werden.
3. „Der Kontostand stimmt nicht“, „eigene Buchungen sind nicht ausgeführt“, „unbekannte Buchungen haben Geld abgezogen“ etc. – sind bei der Datenübertragung Fehler passiert?
Nein, auf keinen Fall, so der Sprecher der Postbank. Sollte es solche Probleme geben, könnten mehrere unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Zum einen waren direkt nach dem Anschalten der Systeme umfangreiche Aufträge abzuarbeiten – Stichwort Monats- und Quartalswechsel. Denkbar sei, dass vorübergehend nicht alle Buchungen aktuell sichtbar gewesen seien. Bei Kreditkartenkonten war das auch zuvor angekündigt worden. Zum anderen gibt es immer wieder Vorfälle, die zwar mit der IT-Migration in Zusammenhang gebracht werden, damit aber nichts zu tun haben. Beispielsweise Betrug beim Online-Banking durch Kriminelle.
Das meint IT-Finanzmagazin: Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass solch gravierende Fehler im Rahmen einer IT-Migration auftreten, wir können es aber nicht mit der Entschiedenheit ausschließen wie der Sprecher der Postbank. Auffällig ist, dass entsprechende Leserberichte sich oft auf die Zeit vor dieser Umstellung beziehen. Denkbar ist, dass einige Postbank-Kundinnen und -Kunden im Rahmen der massenhaften Phishing-Kampagnen, die sich als Postbank-Kommunikation tarnten, Opfer von Cyberkriminellen geworden sind.
4. Kunden beschweren sich über mangelnde Informationen im Vorfeld, dass der Service nicht erreichbar ist oder nicht weiterhelfen kann. Hat die Postbank nicht damit gerechnet, dass bei einer solchen Maßnahme höherer Beratungsbedarf besteht?
Die Postbank verweist auf umfangreiche Maßnahmen im Vorfeld: alle betroffenen Kunden wurden über den geplanten Umzug und erwartete Einschränkungen frühzeitig informiert, beispielsweise mit über 5 Millionen Schreiben seit Januar. Als unterstützende Maßnahme wurden mehrere Wochen vor dem ersten Aprilwochenende eine ganze Reihe von ergänzenden und erinnernden Formaten auf der Postbank-Webseite, im Online-Banking und auf Social Media geschaltet. Darüber hinaus hat die Postbank über die Medien informiert und eine eigene Landingpage www.postbank.de/gut-zu-wissen aufgesetzt. Hier wurden beispielsweise Erklärvideos und Kurzanleitungen, letztere in mehreren Landessprachen, veröffentlicht. Sollten Kundinnen und Kunden noch individuelle Schwierigkeiten, beispielsweise mit ihrem persönlichen Zugang zum Online-Banking haben, so helfe man gerne weiter. Dafür hat die Bank die Kapazitäten in der Kundenbetreuung vervielfacht und setzt beispielsweise im CallCenter mehr als dreimal so viele Personen ein.
Das meint IT-Finanzmagazin: Tatsächlich kamen Postbank-Kunden vor dem Migrationswochenende beim CallCenter teils ohne jede Wartezeit durch, die Aufstockung hat sich direkt bemerkbar gemacht. Eine Kommunikation im Vorfeld über verschiedene Medien lief auch bei IT-Finanzmagazin. Anscheinend wurden die Kundinnen und Kunden jedoch nicht in ausreichendem Maße erreicht – möglicherweise war nicht immer klar, was Werbung und was relevante Kundeninformation ist. Und mit häufigen Problemen beim Online-Zugang und Mitarbeitern, die einem nicht weiterhelfen können, kämpfen Postbank-Kunden schon länger, auch unabhängig von der IT-Migration. Aktuell ist natürlich ein riesiger Berg von Service-Fällen abzuarbeiten, der anscheinend auch die aufgestockten Personalkapazitäten überfordert. Das betrifft anscheinend nicht nur Anliegen aus der Migration, sondern z.B. auch Anfragen bei Betrugsfällen.
5. „Schon wieder eine neue App – und die kann viel weniger als die alte. Auch beim Online-Banking fehlen neuerdings Funktionen, zum Beispiel der csv-Export. Was soll das?“
Die kurze Antwort lautet: Es soll bald besser werden, sogar mit mehr Funktionen als zuvor. Und hier die ausführliche Antwort der Postbank:
„Im Rahmen des Programms Unity werden zudem insgesamt über 5 Millionen Kundinnen und Kunden ein neues Google-Cloud basiertes Online- und Mobile-Banking überführt. Diese Cloud-Technologie ermöglicht es, neue Funktionen und Verbesserungen künftig deutlich schneller umzusetzen. So auch am Beispiel der Banking-App: Diese war zu Jahresbeginn zunächst in einer Basisversion gestartet, wird aber bereits in wenigen Wochen den Funktionsumfang des bisherigen Postbank Finanzassistenten erreicht und bis Jahresende übertroffen haben.
Dieser Funktionsumfang wurde bereits regelmäßig erweitert, unter anderem um iPad-Kompatibilität, Lokalisierung von Geldautomaten sowie Filialen, Transaktionssuche, interner Übertrag/Überweisung, „Erneut überweisen“, Kreditkartenanzeige, inklusive Transaktionen. Diese Updates weiterer Funktionen werden über die kommenden Wochen und Monate kontinuierlich fortgesetzt. Der Plan sieht unter anderem vor, die Nachrichtenfunktion sowie Mobile-Payment-Lösungen im Laufe des zweiten Halbjahres zu implementieren.“
Das meint IT-Finanzmagazin: Wir können nur hoffen, dass die neue Postbank-App zuverlässiger läuft und insbesondere die Zugangsprobleme reduziert werden können. Dass man zunächst nur mit begrenztem Funktionsumfang startet, ist angesichts der umfangreichen Änderungen in der Systemlandschaft nachvollziehbar. Jetzt sollte die Postbank aber auch schnell nachlegen – „versprochen ist versprochen!“ Übrigens ist auch im Self-Service eine Verbesserung angekündigt: Im Laufe des Jahres soll es auch möglich werden, dass Kunden der Postbank die Service-Terminals in den Deutsche-Bank-Filialen nutzen können und umgekehrt.
6. War’s das jetzt, oder ist noch mehr Drama zu erwarten?
Eine letzte Welle und damit der Abschluss der Migration ist zur Jahresmitte 2023 geplant. Diese betrifft unter anderem Kunden mit Ratenkrediten. Im Anschluss werden die Altsysteme der Postbank IT-Umgebung peu à peu abgeschaltet, die letzten voraussichtlich Anfang 2025. Die Bank rechnet mit erheblichen Kostensynergien. Wenn die Postbank-IT komplett stillgelegt ist, spart die Deutsche Bank voraussichtlich rund 300 Mio. Euro pro Jahr.
Das meint IT-Finanzmagazin: Ja, auch die nächste Migration kommt unvermeidlich an einem Wochenende mit Monats- und Quartalswechsel, nämlich zum 1. Juli. Nicht nur die Bank, auch die Kunden können aus dem Ablauf der jetzt durchgeführten Migrationswelle lernen – und sich genau informieren, was passiert und was sie eventuell beachten müssen. Das Drama einer Umstellung auf eine neue App wird sich nicht wiederholen, das dürfte für erheblich weniger Servicefälle sorgen.
Übrigens: Ob die in den Leserkommentaren vielfach angedrohten Konten-Kündigungen tatsächlich eingetroffen sind bzw. inwieweit sich die Kundenzahl im Umfeld der Migrations-Wehen verändert haben – dazu konnten wir der Postbank keine Antwort entlocken. hj
Sie finden diesen Artikel im Internet auf der Website:
https://itfm.link/152498
Schreiben Sie einen Kommentar