Retailification ist die Zukunft der Banken – Diebold‑Nixdorf CEO Andy Mattes im Gespräch
Wincor-Nixdorf ist jetzt Diebold-Nixdorf. Zur 47. Bankenfachtagung (wir berichteten) konnten wir ausführlich mit Andy Mattes (Diebold-Nixdorf CEO) diskutieren – über die Fusion, die Zukunft, neue Systeme und wie sich die Bankfiliale in Zukunft verändern wird. Das Stichwort: Retailification. Denn: Will die Bank überleben, muss sie in Zukunft fast schon wie ein Einzelhändler auftreten.
Herr Mattes, wenn Sie die Verbindung von Wincor-Nixdorf mit Diebold betrachten – wie ist es gelaufen? Besteht noch Erklärungs- oder Handlungsbedarf?
Eigentlich gibt es keinen weiteren Erklärungsbedarf. Unsere Kunden haben schnell verstanden, worum es ging: Hier kommen zwei Unternehmen zusammen, die den gleichen Markt bedienen wollen, zwei Unternehmen, die das gemeinsame Ziel haben, Innovationen nach vorne zu treiben und die sich darüberhinaus in ihrer regionalen Abdeckung ideal ergänzen. Und dass wir Nixdorf im Namen behalten haben, hat sowohl für Kunden, aber noch wichtiger für die Mitarbeiter, eine ganz wichtige Signalwirkung ausgesendet.
Warum haben Sie sich überhaupt für den europäischen Markt interessiert?
Das Thema Filial-Automatisierung ist in Europa viel weiter fortgeschritten, als irgendwo sonst auf der Welt. Europa ist ein Wachstumsmarkt für uns.”
Der Kostendruck der Banken ist immens, Banken müssen innovieren. Den Markt, der sich in diesem Umfeld ergibt, können wir am besten als Marktführer mitgestalten. Auch deshalb haben wir die Firmen zusammengeführt. Die Reaktion der Kunden ist unisono positiv. Die meisten Kunden sagen: ‘Wunderbar! Jetzt habt ihr ja mehr Entwicklungs-Ressourcen. Wir haben da noch Anforderungen, die sie jetzt noch schneller umsetzen können als vorher.’
Sie sprachen auf der Bankenfachtagung davon, künftig statt zwei mal 100 Mio. Euro – nun ein mal 200 Millionen US-Dollar in R&D (Research & Development) zu investieren – und dabei Doppelforschung zu vermeiden. Das schürt Erwartungen. Was werden wir in nächster Zeit von Diebold-Nixdorf sehen?
Wir sprechen von drei Blöcken. Erstens das bedeutende Thema Software: Wir wollen die Art und Weise, wie wir Software bereitstellen, künftig ändern.
Meine Vision ist ein Diebold-Nixdorf Financial-App-Store. In diesem Store wollen wir unseren Kunden eigene Lösungen sowie Lösungen von Partnern in einem Eco-System anbieten.
Den zweiten Schwerpunkt setzen wir beim Service. Wenn Banken ihre Angebote immer weiter automatisieren, wird das Thema Hochverfügbarkeit immens wichtig. Deshalb investieren wir in intelligente Tools und Lösungen für die kontinuierliche Überwachung, die „Predictive Maintanance“. Die Tools erlauben eine vorausschauende Wartung, so dass Probleme behoben werden können, lange bevor es zu einem Ausfall kommt.
Und drittens investieren wir auf der Hardware-Seite. Wir sehen hier auch ganz anfassbare Trends wie zum Beispiel den zur Miniaturisierung. Mit modularen Systemen, die einen Komponentenwechsel oder eine technische Erweiterung möglich machen, können Finanzinstitute flexibel auf neue Kundenanforderungen reagieren.
Die Maschine der Zukunft ist eine Kombination von Lego-Blöcken.”
Daraus ergibt sich auch die Möglichkeit, auf Kundenanforderungen individuell zu reagieren, ohne dass wir individuell geschneiderte Hardware entwickeln. Letzteres kostet zu viel Geld und dauert zu lange.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Es geht also weg von der Hardware hin zur Software. Wie lange wird es dann die klassischen ATMs noch geben? Ist ‘das Blech’ am Ende?
Ich würde es anders formulieren. Die Innovation findet an der Schnittstelle von Maschine und Kunde statt – es geht um „Connectivity“. Die Frage lautet also nicht „Wie lange haben wir den Geldautomaten noch?“ – Geldautomaten werden wir noch lange haben. Das Spannende ist: wie binde ich den Geldautomaten und andere Systeme in Banken in den Commerce ein? Unsere Überschrift dazu heißt „Connected Commerce“. Dahinter steht der Gedanke, dass im digitalen Zeitalter nur derjenige erfolgreich unterwegs ist, der physische und digitale Welten miteinander verbindet.
Wir haben in Las Vegas eine neue Design-Studie vorgestellt, den „Extreme ATM“. Den kleinsten ATM der Welt. Er ist nur so breit wie eineinhalb Banknoten, also 10 Zoll, das sind etwa 25 Zentimeter.
Ein winziger ATM mit einem Touchscreen. Er sieht letztendlich aus wie eine Kombination aus iPad und einem kleinen ATM.”
Diese Maschinen haben keinen Kartenleser mehr und keine Tastatur. Die Identifikation erfolgt über ein Smartphone oder über eine Smart Card per NFC oder Bluetooth. Das Blech schützt nur das darin gelagerte Geld. Der Punkt aber ist:
Der gesamte Anwendungs-Case sitzt in der Software, sitzt in der Connectivity. Es geht nicht mehr nur um die Maschine, sondern um die Anwendung.”
Ein Beispiel dazu: Kunde Mustermann, der bei jedem Filialbesuch 1000 Euro in bar abhebt, betritt die Bank, sein Kundenberater erhält unmittelbar eine Benachrichtigung dazu auf sein iPad. Der Kundenberater ruft alle Informationen über seinen Kunden Mustermann auf seinem Tablet ab und kann ihm passende Angebote machen – eine Geldanlage, oder einen Kredit zum Beispiel.
Dass heißt – es geht darum, den Kunden in die gesamte Prozesskette einzubinden. Es geht um Kundenbetreuung.”
Wann werden wir das in Deutschland sehen?
Alle großen Banken weltweit pilotieren solche Lösungen, manche sogar schon mit Kundenverkehr. Hier in Deutschland dauern Innovationsprozesse manchmal etwas länger. Wenn die Nachfrage da ist, werden wir auf jeden Fall schnell liefern können: Erstens, weil wir über Projekterfahrungen aus anderen Ländern verfügen und zweitens weil wir als Diebold-Nixdorf nun deutlich mehr Ressourcen für die Entwicklung und Implementierung haben.
Diebold hat mit Wincor-Nixdorf nun eine Menge Retail-Know-How erhalten. Werden Bankfilialen – wenn man in Richtung Connected Commerce denkt – möglicherweise in Zukunft mehr wie ein Einzelhändler sein? Wird sich grundlegend etwas am Auftritt ändern?
Ja, in den USA sprechen wir bereits von der ‚Retailification‘ der Banken-Industrie.”
Wenn Sie zum Beispiel den CEO der TD Bank in Kanada hören –- er spricht nicht mehr von einer Filiale, sondern der nennt seine Filialen „Stores“. Bei den Banken gibt es einen Veränderungsprozess. Viele denken über ihre Filialen nach, gerade innovative Banken.
In Italien ist das Thema ‘Branchautomation’ sehr weit fortgeschritten – und dort ist die Espressomaschine wichtiger als unsere Produkte.”
Das heißt, die Bank wird sich auch in ihrem Auftritt und Angebot verändern?
Ich habe in China Banken gesehen, die die notwendigsten Haushaltsprodukte mit aufgenommen haben. Da konnten sie also Coca Cola und Seife kaufen. Interessant ist: Umgekehrt passiert aber das Gleiche. Sie finden dort im Einzelhandel plötzlich Bankdienstleistungen – denn: ich kann die hoch automatisierten Filialen – wir nennen das liebevoll „Branch in a Box“ – auch bei einem Handelsunternehmen integrieren. Die Engländer sind hier ganz vorn.
So bieten zum Beispiel große Handelskonzerne den Banken Flächen in ihren Stores an. Nach dem Zusammenschluss sind wir sowohl in der Banking- als auch in der Retail-Industrie zu Hause. Das Retail-Geschäft betrachte ich als Sahnestückchen. Einerseits, weil ich dafür in den USA Potenzial sehe, andererseits, weil die Retail-Branche nicht so reguliert ist und kurze Innovationszyklen und nicht so lange Zertifizierungsprozesse hat. Im Moment ist die Innovationsgeschwindigkeit auf der Retail-Seite höher als auf der Banking-Seite.
So können wir hier sehr viel testen und dann möglicherweise später auf die Banking-Seite übertragen – sei es bei Selbstbedienungskonzepten, mobilen und bargeldlosen Bezahlverfahren oder der Integration von Online- und mobilen Konzepten.
Herr Mattes, vielen herzlichen Dank für die äußerst spannenden Einblicke!aj
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