Tiber-De: Mit diesem Test wird die Cyber Resilience deutscher Banken optimiert
Wie widerstandsfähig ist unser Bankensystem in der Pandemie? Das ist die zentrale Frage, die Burkhard Balz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank anlässlich der Handelsblatt-Jahrestagung zum Themenkomplex Cyber-Security erörtert hat. In seiner Rede zum Cyber-Resilience-Konzept Tiber-De verglich Burkhard Balz die Corona-Pandemie, vor der wir uns derzeit schützen müssen, mit dem Schutzbedürfnis und der Gefährdung der Banken und Sparkassen sowie der gesamten Finanzinfrastruktur im Hinblick auf Internetsicherheit. „Angreifer kreieren hier sogar gezielt digitale Viren und andere Schädlinge, um Computersysteme zu infizieren. Auch um sich vor ihnen zu schützen, sind Cyber-Hygiene und eine geeignete Sicherheitsvorkehrung unerlässlich.“
Die Bundesbank biete, trotz des Restrisikos, das hier bleibt, mit Hilfe von Tiber-De einen passenden Test, der sich gewissermaßen auf das „IT-Immunsystems“ auswirke. In der Tat stellt die Corona-Pandemie eine Sondersituation dar – im Banking wie in allen anderen Lebensbereichen auch. Das Kundenverhalten habe sich dadurch geändert, die Interaktion ist virtueller geworden und nicht zuletzt unterliegt auch die Arbeitswelt in den Banken und Sparkassen einem dynamischen Wandel, der das Bedürfnis nach Cybersecurity aufzeige.Doch man habe sich an das veränderte Risiko angepasst die Mitarbeiter mit entsprechenden Endgeräten ausgestattet und ins Homeoffice beordert. „Der Einsatz mobiler Technologie, schnell etablierte digitale Prozesse und die neue, ungewohnte Art des Zusammenarbeitens haben den Angreifern eine günstige Gelegenheit geboten“, führt Balz aus.
Die Pandemie führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, sich schnell, dauerhaft und präventiv mit dem Thema Cyber-Widerstandsfähigkeit auseinanderzusetzen. Eine schnelle Reaktion auf Angriffe ist gut, möglichst gar keine Angriffe zuzulassen ist besser.“
Burkhard Balz Vorstand Deutsche Bundesbank
Relevante Risiken per Bedrohungsanalyse identifizieren
Blaupausen für ein solches Verhalten gab es beispielsweise bereits seit 2016 bei den Kollegen der niederländischen Zentralbank. Dies hatten bereits ein Rahmenwerk namens Tiber, mit dem die eigene Cyber-Widerstandsfähigkeit realitätsnah getestet werden kann: „Tiber steht für Threat Intelligence Based Ethical Red Teaming – oder zu Deutsch: Bedrohungsorientiertes, ethisches Hacking.“ Mit Hilfe einer Bedrohungsanalyse sollen besonders relevante Risiken identifiziert werden.
Dazu wird das Risiko, zum Angriffsziel zu werden, aus zwei Perspektiven beleuchtet. Zum einen geht es dabei um Schwachstellen und attraktive Angriffsziele, zum anderen um die Motivation möglicher Angreifer und die damit verwendeten Angriffsmethoden. Hieraus ließen sich Szenarien passend zum Testkandidaten erarbeiten, die für jeden Test neugestaltet werden.
Dabei geht Balz auch auf den Begriff des ethischen Hackens ein: Für die Simulation der Techniken, Taktiken und Prozeduren echter Angreifer hat sich diese Begrifflichkeit „ethisches Hacking“ etabliert. Ethisch sei ein solcher Tiber-Test schon darum, weil es gelte, nicht nur die rechtlichen Vorgaben einzuhalten, sondern auch in ethischen Graubereichen einer klar definierten Linie zu folgen.
Diese maßgeschneiderten Szenarien werden durch ein Red Team getestet. Dadurch bekommen die Ergebnisse des Tests für die Kandidaten nicht nur einen theoretischen Wert, sondern direkte, praktische Implikationen. Für die Simulation der Techniken, Taktiken und Prozeduren echter Angreifer hat sich der Begriff „ethisches Hacking“ etabliert – will sagen: es gilt, nicht nur die rechtlichen Vorgaben einzuhalten, sondern auch in ethischen Graubereichen einer klar definierten Linie zu folgen.
Tiber-De will deshalb die Widerstandsfähigkeit eines IT-Systems durch kontrollierte und gezielte Angriffe von außen überprüfen. Penetrationstests und Schwachstellen-Scans gehören zum Status quo. Diese Werkzeuge sind gut und wichtig, aber Sie reichen nicht mehr aus, weil Angreifer neben den technischen Schwachstellen auch auf social engineering setzen, also die organisatorischen und menschlichen Defizite für sich nutzen.
Tiber-De: Europaweiter Austausch für mehr Sicherheit
Die Bundesbank hat bereits 2016 die Chancen und das Potenzial der niederländischen Lösung verstanden und daher gerne an der Entwicklung einer europäischen Lösung mitgewirkt. Tiber-EU, so der Name der europaweiten Initiative, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für europäische Zusammenarbeit, so erklärt es Bundesbankvorstand Burkhard Balz, der von 2009 bis 2018 selbst dem Europäischen Parlament angehörte. Dabei kooperierten die verschiedenen Kompetenzzentren aus den Ländern des Europäischen Systems der Zentralbanken eng zusammen. Schon 2019 hat die Bundesbank mit dem Bundesministerium der Finanzen das europäische Rahmenwerk mit Tiber-De in Deutschland umgesetzt und ein entsprechendes nationales Kompetenzzentrum ins Leben gerufen. Dabei hebt die europäische Kooperation auch Synergieeffekte, weil sich Ressourcen und Kosten einsparen lassen und die Erfahrungen aus den zahlreichen Tests in ganz Europa reihum allen zugute kommen.
Risiken für das europäische Finanzsystem einschätzen
Einerseits wurde Tiber zwar als sektorunabhängiges Rahmenwerk konzipiert – dennoch liegt der Fokus inzwischen auf den Finanzsystemen, da diese besonderen Risiken ausgesetzt sind. Dies hat mindestens drei Gründe: erstens, ist das Finanzsystem für die Gesellschaft und die Realwirtschaft von essenzieller Bedeutung; zweitens, das Finanzsystem nutzt in nicht unerheblichem Maß Informationstechnologien und ist drittens hochgradig vernetzt.
Ich halte es deswegen keineswegs für übertrieben, von einer ernsthaften Gefahr für unsere Gesellschaft zu sprechen, sollte die zentrale Infrastruktur für Zahlungs- und Kapitalflüsse für längere Zeit außer Gefecht gesetzt sein.“
Burkhard Balz Vorstand Deutsche Bundesbank
In seiner Rede führt Balz aus, wie wichtig die Bundesbank das Aufrechterhalten und die Stabilität der Zahlungs- und Verrechnungssysteme nimmt. Das Thema der Cyber Resilience stellt dabei schon seit vielen Jahren einen wichtigen Teilbereich dar, der nicht zuletzt durch die Digitalisierung an Wichtigkeit gewonnen hat. Spätestens seit der Finanzkrise sei klar, dass Finanzstabilität nicht ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniert und dass ein solches System nur so gut und stark wie das schwächste Glied der Kette sein kann.
Wenn ein Marktteilnehmer Opfer einer Cyber-Attacke wird, kann dies einen Dominoeffekt zur Folge haben und die Finanzstabilität gefährden. Deshalb sind innovative Verfahren wie eine möglichst flächendeckende Implementierung von Tiber notwendig, um sich gegen solche Gefahren zu wappnen.“
Tiber: Prozesse auf dem Prüfstand
Das Tiber-Konzept sei somit wichtig für alle Unternehmen der Finanzwirtschaft, also neben Banken und Versicherungen auch Dienstleister der Finanzinfrastrukturen. Es geht dabei um klare, etablierte und validierte Anforderungen an Dienstleister, Prozessabläufe und Meilensteine. Man müsse somit die eigene Cyber-Abwehr auf den Prüfstand stellen, erklärt Balz. Dies sei auch der Grund, warum solche Tests stets auf Produktivsystemen durchgeführt werden müssten, weil Testsysteme hierfür nicht geeignet seien. Die Red Teams arbeiten an konkreten Zielen, etwa Transaktionsdaten, die verändert werden sollen. Auch die Möglichkeit, ein System ganz abzuschalten, kann ein mögliches Test-Ziel darstellen. Die Erreichung der Ziele weist dabei dennoch nur die Möglichkeit solcher Handlungen nach.
„Das Red Team wird daran gemessen, welche Ziele es erreichen konnte und ob es dabei auf Unterstützung durch den Testkandidaten angewiesen war“, erklärt Balz. Echte Angreifer spähen die Opfer dagegen oftmals jahrelang aus. „Am Ende eines Tiber-Tests steht – hoffentlich – eine Liste an Schwachstellen und ein Maßnahmenplan mit konkreten Zeitvorstellungen zur Implementierung.“ Gleichzeitig wirbt Balz für das Cyber Resilience Testszenario: Tiber sei von der Bundesbank als umfassendes Angebot an die Finanzindustrie konzipiert. Systemrelevante Akteure seien gefordert, ihre Abwehrkräfte zu überprüfen und zu stärken. Hier baue die Bundesbank auf das Prinzip einer freiwilligen Selbstverpflichtung, um die Cybersicherheit des deutschen Finanzsystems in einer konstruktiven Atmosphäre voranzubringen.
Wenn große Kreditinstitute, Versicherer, Finanzmarktinfrastrukturen und deren kritische Dienstleister baldmöglichst und in regelmäßigen Abständen einen Tiber-De-Test durchlaufen, verschaffen sie sich selbst Gewissheit darüber, ob und inwieweit sie in der Lage sind, einen Cyber-Angriff abzuwehren. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag für ihre eigene Cyber-Widerstandsfähigkeit und auch für die Stabilität des gesamten Finanzsystems.“
Burkhard Balz Vorstand Deutsche Bundesbank
Balz appelliert an die Banken, die Cyber-Widerstandsfähigkeit und die eigenen Abwehrkräfte zu testen und die Abwehrkräfte zu stärken. Und hier schließt sich der Kreis zur Pandemie: Ähnlich wie es sinnvoll sei, sich selbst und andere in deren Rahmen zu schützen, bedeute Eigenschutz im Banking-Kontext auch, dass man damit die Wirtschaftssysteme der anderen Staaten schütze.
Den vollständigen Text der Rede von Bundesbankvorstand Burkhard Balz bei der Handelsblatt-Tagung Cyber-Security finden Sie hier zum Nachlesen. tw
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