Tradition trifft auf Moderne: Warum immer mehr Banken auf Künstliche Intelligenz setzen
Künstliche Intelligenz hält in der hochregulierten Welt der Banken Einzug. Und nicht nur die GAFA Silicon Valley High-Tech Unternehmen sehen darin die Technologie der Zukunft, sondern auch FinTechs und etablierte Bankhäuser. Wie es dazu kam, welche Möglichkeiten und Grenzen es aktuell gibt und warum der Mensch nicht nur beim Thema Geld unersetzlich bleiben wird – der Kommentar
von Jochen Werne, Innovations- und Transformationsexperte
Münchner Privatbank Bankhaus August Lenz
Künstliche Intelligenz und Big Data sind derzeit die stärksten und lebendigsten Innovationsfaktoren im Finanzsektor …”
… war auch einer der Leitsätze von Prof. Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, in seiner Rede zum Thema „Künstliche Intelligenz“ auf der zweiten jährlichen FinTech- und Digital-Innovationskonferenz im Februar 2018 in Brüssel.
Die Wahl des Konferenzortes, der wie kaum eine andere Stadt sowohl Fortschrittsglaube als auch tief verwurzelte europäische Tradition verbindet, kann symbolischer für die bevorstehende Veränderung kaum sein. Tatsächlich ist das Thema keineswegs neu: Die Entwicklung hin zu einer verstärkten Nutzung sogenannter nichtmenschlicher Intelligenz basiert auf Ansätzen aus den 1940er Jahren – mit der Erfindung der ersten Computer.
Künstliche Intelligenz: Revolution als Reaktion auf Datenberge
Was aber nun in Zeiten exponentieller Technologien möglich wird, ist de facto nichts weniger als eine Revolution. Die Finanzbranche sitzt auf einem wertvollen Datenberg, dessen Ausmaße derzeit nur schwer abgeschätzt werden können. Durch die reifenden KI-Systeme würde das Aufbereiten und Verarbeiteten dieser Daten nicht nur einfacher, sondern sehr viel kostengünstiger, schneller und zielgerichteter werden. Bereits erhobene Daten könnten durch die Techniksprünge beim Thema KI zum wertvollsten Rohstoff und zu einer Ressource werden, die es in Kombination mit der Anreicherung externer, nicht-strukturierter Daten sinnvoll „nutzbar“ zu machen gilt.
Hierbei ist die Branche gefragt, diese privaten und sensiblen Daten im Sinne des Kunden, des Menschen, ideal zu nutzen – eine Zielsetzung, die sicherlich für alle KI-basierten Ansätze gelten sollte.”
„Digitales Händchenhalten“ im Falle eines Finanz-Crashs reicht nicht aus
Aktuell ist es noch zu früh, um zu sagen, welche operativen Bereiche der Finanzwelt früher oder später – teilweise oder sogar gänzlich – durch den Einsatz von KI-Systemen gestützt werden. Was die bisherigen Finanzkrisen aber immer wieder gezeigt haben:
Vertrauen ist beim Thema Geld entscheidend. Vertrauen in die Märkte, das Bankensystem und in den menschlichen Ansprechpartner als Intermediator einer komplexen Thematik.”
Wie leicht vom Kunden gegebener Vertrauensvorschuss jedoch verspielt werden kann, weiß die Bankenbranche aus eigener Erfahrung sehr gut. Eine Erfahrung, die jüngst auch Mark Zuckerberg und Facebook im Zusammenhang mit dem Cambridge-Analytica-Skandal machen musste. Wie bei jeder neuen Technologie und jedem neuen Ansatz ist es auch beim Thema „intelligenter“ Systeme: Viel Vertrauensvorschuss, gepaart mit Halbwissen und einem großen Schuss Emotionalität ergibt einen beliebten Trendcocktail, der jedoch ein gewisses Kopfschmerzrisiko am Folgetag birgt.
Dazu zwei Vergleiche: Ein Autopilot hätte vor sechs Jahren die Costa Concordia wohl nicht mit einem Felsen kollidieren lassen – der Grund war menschliches, emotionsgetriebenes Verhalten. Ein Autopilot hätte aber auch nicht einen Airbus 320 spontan auf dem Hudson River landen können. Dafür brauchte es menschliche Erfahrung und spontane Kreativität. Etwas, das unser Gehirn leisten kann, jedoch die technischen Möglichkeiten von KI noch auf absehbare Zeit an Grenzen stoßen lässt.
Heißt: Durch KI-Systeme in Banken lassen sich besonders operative Kosten durch den Einsatz intelligenter Features verringern und arbeitsaufwändige Prozesse verschlanken. Für den Umgang mit dem Kunden im Privatbankumfeld, also in der Praxis, bedeutet es jedoch, dass ein rein virtueller „Berater“ nicht für alle Zielgruppen ausreichend ist, um vollumfängliche nachhaltige Betreuung anzubieten.
Der Hintergrund hierfür liegt in den Lehren von Kahneman und Tversky aus dem Forschungsbereich „Behavioral Finance“, einem Untergebiet der Verhaltensökonomik, welches zeigt, dass emotionales – also menschliches – Verhalten zu Fehlern beim Thema Geldanlage führen kann.”
Diese Fehler können nur bedingt durch KI behoben werden. Ein bei Produktabschluss mit hohem kundenseitigen Vertrauensvorschuss versehener, von Algorithmen getriebener digitaler Anlageberater, wird im Falle eines unvorhersehbaren Finanz-Crashs besorgten Anlegern via Chatbot nur schwer die Unterstützung bieten können, die in diesem Moment des starken Ungleichgewichts zwischen Ratio und Emotio gebraucht wird. Spätestens dann liegt der Vorteil beim menschlichen und persönlichen Austausch, um nicht nur Ängste und Sorgen zu teilen, sondern in der Emotionalität des Moments, das Risiko von Fehlentscheidungen und somit Performance-Einbußen zu minimieren und eventuelle Chancen zu nutzen.
Der Begriff einer echten „Vertrauensperson“ könnte somit eine neue Renaissance im Banking erfahren.”
Ein realistisches Bild für den momentanen Einsatz von KI in der Finanzbranche liegt daher aktuell und vereinfacht ausgedrückt in den Bereichen der Verschlankung von Geschäftsmodellen, effizienter Datennutzung, Optimierung der Customer Journey sowie bei RegTech- und FinTech-Themen. Technischer Fortschritt steht und fällt mit konkret erfolgreichen Einsatzszenarien, sogenannten Use Cases. Anders gesagt: Die technische Revolution, in Form der KI-Systeme, wird für Unternehmen nur dann lukrativ sein, wenn sie gesellschaftlich akzeptiert sind und Kunden diese ebenfalls annehmen.
Das ideale Modell im Privatkundengeschäft: Verbindung von KI und persönlichster Beratung
Um die Akzeptanz für KI auch in der Finanzbranche voranzutreiben, ist es wichtig, dass bestehende Digital-Tools noch besser auf Kundenbedürfnisse angepasst werden. Die erfolgreiche Symbiose zwischen Mensch und Digital-Technik ist dabei unabdingbar. Mit Hilfe von Online-Finanzforen, Vlogs und digitalen Branchenvergleichen können Privatpersonen heute zwar im Grunde den gleichen Wissenstand erreichen wie Finanzprofis.
Doch was in der Regel fehlt, ist die Verknüpfung mit der individuellen Situation. Diese Verbindung kann der persönliche Berater schaffen, der durch langjährige Betreuung sämtliche Bedürfnisse des Kunden kennt und zu einer wahren „Vertrauensperson“ wird. Und das ist der Mehrwert, den Banken in diesem Umfeld heute leisten: Persönliche Wegweiser im digitalen Dschungel zu sein – und Kunden vor reinen Bauchentscheidungen zu bewahren.”aj
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