Wahlfreiheit beim Bezahlen? Pro und Contra: Julian Grigo (Bitkom) und Rudolf Linsenbarth
Julian Grigo (Bereichsleiter Digital Banking & Financial Services Bitkom e.V.) tritt für die Wahlfreiheit beim Bezahlen ein, das fordert auch der bitkom in seinem aktuellen Positionspapier. Die andere Seite: Vielfältige Bezahlmöglichkeiten im Handel seien wichtig und richtig, aber der Handel muss weiterhin Kontrolle über seine Angebote haben, sagt Rudolf Linsenbarth. Die Positionen im Vergleich.
Niemand soll in Deutschland gezwungen sein, Bargeld in der Tasche zu haben. Das ist das Ziel der Bitkom-Initiative für Wahlfreiheit beim Bezahlen.
Ziel ist, dass es an jedem Point of Sale, also im Geschäft, beim Bäcker und in der Bar, mindestens eine elektronische Möglichkeit des Bezahlens gibt.”
Um diese Freiheit zu ermöglichen, bedarf es klarer Regeln, auf die sich jeder verlassen kann. So wie sich jeder darauf verlassen kann, dass ein Taxi ihn zum festgelegten Preis von A nach B fährt oder dass ein Händler ein mangelhaftes Produkt nachbessern oder zurücknehmen muss, so muss sich jeder Kunde darauf verlassen können, dass er überall auch ohne Bargeld bezahlen kann.
Sicher, auch ohne eine solche garantierte Wahlfreiheit würde der Anteil der Unternehmen, die elektronische Bezahlverfahren anbieten, immer weiter steigen – aber leider dauert das viel zu Lange. Viel zu Lange für die vielen Kunden, die sich über den aktuellen Bargeldzwang ärgern, für ausländische Besucher, die sich beim Urlaub in Deutschland Jahrzehnte in der Zeit zurückversetzt fühlen, wenn sie „Cash only“-Schilder sehen, und auch für innovative Tech-Unternehmen und FinTechs, die mit ihren Ideen hierzulande ausgebremst werden. Schon heute ist Deutschland in dieser weltweiten Wachstumsbranche eher Nachzügler als Vorreiter – die globalen Player kommen aus den USA und China, sie heißen Paypal, Google und Apple oder auch Tencent, Alibaba und Baidu. Dadurch, dass der Händler frei in seiner Auswahl des elektronischen Bezahlverfahrens und -systems ist, wird der Wettbewerb unter den bestehenden Anbietern zunehmen und es bekommen auch innovative Lösungen – etwa von Startups aus Deutschland – viel bessere Startchancen als heute.
Dabei muss gelten, dass kein Händler und kein Gastwirt überfordert werden darf. Deshalb setzt Bitkom sich neben klaren Regeln und Vorgaben auch dafür ein, dass kurzfristig das elektronische Bezahlen finanziell gefördert wird, etwa durch Umsatzsteuervergünstigungen, um Investitionen in notwendige Hardware zu kompensieren.
Wahlfreiheit beim Bezahlen heißt auch: Es soll und wird weiter Bargeld geben – es besteht keine Notwendigkeit ideologische Debatten über Freiheit zu führen, die sich für manche in Münzen und Scheinen manifestiert. Daher hier noch einmal ganz klar:
Wir wollen das Bargeld nicht abschaffen! Es geht vielmehr um die Freiheit aller, auch auf Bargeld verzichten zu können, und um eine Vielzahl von Vorteilen für Kunden, Händler und nicht zuletzt den Staat.”
Das fängt bei bequemen und schnelleren Bezahlvorgängen an, geht über digitale Quittungen und Kaufbelege und eine Anbindung an moderne Abrechnungstools für den Händler bis hin zu einem Mehr an Steuergerechtigkeit dank transparenter Bezahlvorgänge.
Oder kurz: Niemandem wird etwas weggenommen, aber viele können neue Möglichkeiten nutzen – und Deutschland kommt auch beim Payment endlich im digitalen Zeitalter an.
Julian Grigo
Julian Grigo leitet den Bereich Digital Banking & Financial Services beim Tech-Verband Bitkom (Interessenvertretung für FinTech-, Banken- & Finanzdienstleistungsbereich vor Politik und Aufsichtsbehörden). Grigo koordiniert Stellungnahmen zu aktuellen Gesetzesvorhaben und sieht sich als Sprachrohr für FinTechs und Digital-Banken in Medien und auf Konferenzen. Jedes Jahr im Mai organisiert er die Digital Finance Conference. Grigo hat einen Master in Psychologie und kommunizierte bis 2017 für einen Bankenverband.Julian Grigo
Bargeldlose Zahlverfahren sind Teil der Dienstleistung im Produkt- und Serviceangebot des Einzelhandels. Kartenzahlung hat sich zum Beispiel im Lebensmitteleinzelhandel vom Convenience Faktor zu einem „Must Have“ gewandelt. Händler die darauf verzichten, werden möglicherweise nicht am Markt bestehen.
Wenn man aber dem Kunden verpflichtend die Freiheit einräumt, in jedem Geschäft mit Bargeld oder bargeldlos zu bezahlen, nimmt man gleichzeitig dem Handel den Gestaltungsspielraum auf der Angebotsseite.”
Ein Zahlverfahren muss für beide Seiten Kunde und Handel attraktiv sein. In einer Marktwirtschaft entstehen Innovationen im Wettbewerb, das gilt auch für das Bezahlen am POS.
Wenn also in Zukunft bestimmte Zahlverfahren per se gesetzt sind, werden Innovationen nur sehr langsam oder gar nicht mehr vorangetrieben. Die Weiterentwicklung der girocard und deren zukünftige Integration in Apple Pay ist dafür ein gutes Beispiel. Ohne den Druck der Kreditkarten Schemes hätten die deutschen Banken sich nicht bewegt und wären mit ihrer Position als Marktführer zufrieden gewesen.
Wenn es in Zukunft eine Verpflichtung des Handels gibt, die marktgängigen Zahlverfahren anzubieten, wären neue und möglicherweise innovativere Zahlverfahren wahrscheinlich chancenlos. Außerdem hätte der Handel bei den Preisverhandlungen eine noch schwierigere Ausgangsposition.”
Ich sehe allerdings, dass es Branchen gibt, die sich deutlich schwerer tun, Kartenzahlung ins Leistungsportfolio mit aufzunehmen. Das Bäckerhandwerk galt beispielsweise jahrelang als letzte Bastion des Bargeldes. Mittlerweile wandelt sich auch hier das Bild. Nicht nur die filialbasierten Großbäckereien stellen jetzt Kartenterminals im Ladenlokal auf. Der Grund sind veränderte Angebote der Zahlungsdienstleister, die speziell zur Branche passen.
Ein weiteres Problem ist die in Deutschland immer noch mangelhafte Netzinfrastruktur. Ich treffe immer Mal wieder auf Händler mit einer exponierten Lage, die keine Kartenzahlung anbieten können, weil sie schlichtweg kein Internet haben.”
Hier sollten erst mal die Telkos verpflichtet werden, umgehend für eine Netzabdeckung zu sorgen? Dadurch würden dann gleich zwei Probleme auf einmal gelöst!
Hilfreicher als eine Verpflichtung ist eine Aufklärungsinitiative für kleine Händler. Sie brauchen einen besseren Überblick in diesem sehr intransparenten Markt. Außerdem muss ihnen klargemacht werden, dass es nicht genügt Kartenzahlung anzubieten, sondern den Kunden auch darüber zu informieren, welche Zahlverfahren vor Ort angeboten werden. Solche Initiativen begrüße und unterstütze ich gerne.
Rudolf Linsenbarth
Rudolf Linsenbarth beschäftigt sich mit Mobile Payment, NFC, Kundenbindung und digitaler Identität. Er ist seit über 15 Jahren in den Bereichen Banken, Consulting, IT und Handel tätig. Linsenbarth ist profilierter Fachautor und Praktiker im Finanzbereich und kommentiert bei Twitter unter @holimuk die aktuellen Entwicklungen. Alle Beiträge schreibt Linsenbarth im eigenen Namen.Rudolf Linsenbarth
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